Im Jahr 1957 wird mit Sputnik der erste Satellit ins All geschossen. Am 12. Juli 2021 fliegt Richard Branson als erster Weltraumtourist in die Schwerelosigkeit. Der Unterschied? Raumfahrt wurde lange staatlich finanziert, mit den schwerreichen Raumfahrtunternehmern Branson, Bezos und Musk ist jetzt die kommerzielle Raumfahrt auf dem Vormarsch.
Durch das Projekt der MoonBox von DHL und dem amerikanischen Raumfahrtunternehmen Astrobotic erfährt die Kommerzialisierung des Weltraums nun weltweite Aufmerksamkeit. Doch etabliert hat die sich schon längst. „Anfang der 70er Jahre wurde in Deutschland die DFS1 gebaut, der deutsche Fernsehsatellit. Der sollte 1974 Farbfernsehen machen, sollte die Olympiade übertragen per Satellit. Viele Jahre später, in den 80ern gab es Kommunikationssatelliten und seitdem ist Satellitenempfang überhaupt kein Thema mehr. Wir empfangen das Fernsehen, wir empfangen das Radio, wir empfangen Telefonate, wir haben Datenleitungen aus dem All“, erklärt Andreas Schütz, Pressesprecher des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt. „Das, was wir heute sehen, was es für uns sichtbar macht, ist der Weltraumtourismus zum Beispiel. Viele andere Dinge, die kommerziell sind, die nehmen wir gar nicht mehr wahr. Navigationsangebote. Flugzeuge landen automatisch mit Satelliten. Das ist kommerzielle Raumfahrt.“
Apropos Weltraumtourismus: Das Raumfahrtunternehmen Virgin Galactic hat mit Branson’s Flug ins All den Wettlauf der Multimilliardäre eröffnet. SpaceX und Blue Origin ziehen nach. Anfang 2022 sollen die ersten drei Astronauten mit der Crew-Dragon-Kapsel von Elon Musk’s Firma zur Raumstation ISS fliegen. Amazon-Gründer Jeff Bezos will selbst die Erfahrung machen. Andreas Schütz zeigt Verständnis: „Alle, die ich kenne, die dort oben waren, die sagen alle, das muss man mal gesehen haben. Warum sollen nicht andere Menschen, nicht wissenschaftlich-technisch als Astronauten, die Möglichkeit erhalten, das mal zu sehen?“ Die Expansion in den erdnahen Raum ist nicht mehr aufzuhalten. Die Idee hingegen, beispielsweise Schwerindustrie ins All zu verlagern, um die Erde zu entlasten, sieht Schütz problematisch:
„Es sollte keine Option sein, zu sagen: Okay, jetzt hat man mal hier auf der Erde alles belegt, jetzt gehen wir auf den Mond und spielen da weiter. Oder wir gehen auf den Mars und spielen da weiter. Das sollte nicht unsere Option sein.“
Andreas Schütz, DLR
In den letzten zehn Jahren hat es trotz der bereits lange vorhandenen Kommerzialisierung eine Verschiebung von der staatlichen Raumfahrt im Bereich Kommunikation, Navigation, aber auch Medizin und Biologie, hin zum kommerzielleren Aspekt gegeben. „Weil man festgestellt hat, dass man zum Beispiel im Kommunikationsbereich sehr viel Geld verdienen kann. Wir reden heute von sogenannten Mega-Konstellationen mit 10.000 Satelliten“, erklärt Schütz.
Die wären ohne die Arbeit von Start-ups und Organisationen wie GAIA Aerospace an kostengünstigeren Trägersysteme gar nicht möglich. „Wir haben es hier mit Preisunterschieden von teilweise Faktor 5, wenn nicht in Zukunft sogar Faktor 10 zu tun“, sagt Kai Höfner. Der 31-Jährige ist Geschäftsführer des Niedersächsischen Forschungszentrums für Luftfahrt und für die Koordination der Luft- und Raumfahrtforschung im Land Niedersachsen zuständig. 2016 gründete Höfner außerdem das deutsche NewSpace-Netzwerk GAIA Aerospace. „NewSpace beschreibt den Übergang weg von der staatlich betriebenen Raumfahrt, die sich natürlich weiterhin insbesondere mit Forschung beschäftigt, hin zu kommerziellen Produkten. Es geht irgendwann tatsächlich darum, aus dieser Forschungsebene rauszukommen und in einen kommerziellen Betrieb reinzukommen.“ Die Raumfahrt wird durch den damit einhergehenden Wettbewerb zwischen den verschiedenen Unternehmen deutlich kostengünstiger. Um daran beteiligte Raumfahrt-Start-ups vorzustellen, mit Investoren in Kontakt zu bringen und Akteure der Szene untereinander zu vernetzten, veranstaltet GAIA Events, wie die Veranstaltungsreihe „NewSpace Invadors“.
„Es geht ums Netzwerken, ums Connecten“, erzählt Höfner. Das können die Teilnehmer:innen auch in der alljährlichen Yuri’s Night, die an Yuri Gagarins ersten Flug ins All im Jahr 1961 angelehnt ist und immer um den 12. April stattfindet. An dem Tag ist im Jahr 1981 außerdem das erste Spaceshuttle abgehoben, weshalb er als kleiner inoffizieller Feiertag in der Community zu Ehren der bemannten Raumfahrt gilt.
Der Kitt zwischen den Raumfahrtakteuren
„Wie sieht diese ganze NewSpace-Szene überhaupt aus? Wie sieht die Landschaft aus? Wer sind denn für uns eigentlich so die essentiellen Partner? Das ist natürlich eine Herausforderung, der steht jedes Start-up gegenüber.“ GAIA fungiert dabei als der Ansprechpartner für Akteur:innen der NewSpace-Szene. „Die Start-ups sind die Ziegelsteine und wir sind der Kitt dazwischen.“ Und auch an den Nachwuchs ist gedacht. Unter dem Motto „NewSpace@School“ soll die junge Generation an die Raumfahrt herangeführt werden. Mit Erfolg: „Was eine sehr positive Überraschung war, war, dass in dem Kurs ein Mädchenanteil von über 70 Prozent vertreten war. Wir wollen ja einen höheren Frauenanteil in der Raumfahrt, dementsprechend, ja, die Chancen sahen da sehr gut aus“, freut sich Höfner.
Gleichzeitig betreibt GAIA aber auch selbst Forschungs- & Entwicklungsarbeiten. Ihr Steckenpferd: Forschung im Bereich wiederverwendbarer und nachhaltiger Trägersysteme. Daraus soll demnächst auch ein eigenes kommerzielles Start-up entstehen. Denn dieses Thema ist aktuell noch ein großer Schwachpunkt in der europäischen Raumfahrt. Ein großes Problem ist die Verschmutzung der Meere durch die Erststufen, die sich nach dem Start lösen und meistens im Wasser landen. „Resttreibstoff und beispielsweise eben auch Kerosin und fossile Brennstoffe und so weiter will man ja nicht unbedingt in den Weltmeeren haben. Schrott auch nicht unbedingt“, erklärt Höfner.
Müllabfuhr im All
Im Hinblick auf die geplanten Mega-Konstellationen warnt er außerdem vor dem sogenannten Kesseler-Syndrom: „Das besagt prinzipiell, dass einfach so viel Schrott im Erdorbit unterwegs ist, dass man keine sichere Raumfahrt mehr betreiben kann und dementsprechend wäre dann quasi ja der Orbit für uns tabu mit einem Mal. Heißt also, wir könnten keine weiteren Raketen mehr starten, keine weiteren Satelliten ins All bringen und dementsprechend bombardieren wir uns damit quasi in die Steinzeit zurück.“ Damit das nicht passiert, sind Müllabfuhrsatelliten, genannt Active Debris Removal-Satelliten, in Planung. Die docken sich mithilfe von Netzen, Harpunen oder Roboterarmen an ausgefallene Satelliten an und befördern diese auf einen sogenannten Friedhofsorbit oder bremsen sie so ab, dass sie in der Erdatmosphäre verglühen. „Das ist quasi aktivere Schrottentsorgung“, erzählt Höfner lachend.
Auch ein Pfandsystem, vorgeschlagen von Jan Wörner, dem früheren ESA-Generaldirektor, wäre eine mögliche Lösung. „Man zahlt anfangs zusätzlich auch Pfand dafür, dass man einen Satelliten in den Orbit bringt. Dieses Pfand kriegt man nur dann wieder zurück, wenn man den Satelliten wieder entfernt hat.“ Tut man das nicht, wird das Pfand einbehalten und dazu verwendet, den Satelliten aktiv zurückholen zu lassen. „Jetzt stellt sich aber auch gleichzeitig die Frage: Wer soll dieses Pfand verwalten?“ Eine Regelung auf globaler Ebene ist schwierig. Ebenso häufig umstrittenes Thema: der CO2-Ausstoß. Der ist in der Raumfahrt allerdings gar nicht so hoch, wie man vielleicht vermutet: „Man muss das mal ins Verhältnis setzen: Wie häufig erfolgen so Raketenstarts überhaupt? Wenn man mal den gesamten anthropogenen CO2-Ausstoß betrachtet, da liegt die Luftfahrt etwa so bei zwei bis drei Prozent. Um die Raumfahrt mit der Luftfahrt gleichzuziehen, müsste man so 10.000 bis 15.000 Mal mehr starten. Der Anteil von Raketenstarts am gesamten menschengemachten CO2-Ausstoß liegt somit gerade einmal bei bei 0,0002 Prozent. Da auf die Raumfahrt zu schimpfen, macht im Sinne des Klimaschutzes also nicht viel Sinn“, erklärt Höfner. Indes bringt die Raumfahrt sogar einen weitaus effektiveren Vorteil für den Klimaschutz mit: „Erdbeobachtungssatelliten liefern einen großen Beitrag. Ein gutes Beispiel dafür ist das Start-up Ororatech aus München. Die wollen Waldbrände detektieren. Gerade die Waldbrände in Kalifornien oder Australien haben da ja gewaltige Ausmaße.“ Teilweise werden dabei Mengen an CO2freigesetzt, die Deutschland in einem Jahr produziert und dementsprechend einen extremen Einfluss auf das globale Klima haben. Durch Satelliten und eine frühzeitige Erkennung kann dem entgegengewirkt werden.
Bushaltestelle auf dem Weg zum Mond
Die Raumfahrt soll generell effizienter werden. Vor allem im Hinblick auf das nächste große Ziel: den Mars. Dazu soll auch das Lunar Gateway, eine Art Bushaltestelle auf dem Weg von der Erde zum Mond, beitragen. Das Ganze ist ein Projekt im Rahmen des aktuellen amerikanischen NASA-Raumfahrtprogramms. In Planung ist eine Raumstation, ähnlich wie die ISS, die allerdings um den Mond fliegt und deutlich kleiner ist. Sie fungiert als Zwischenstopp für Astronaut:innen auf dem Weg zum Mond, um von dort zum Mars zu starten. „Eine Bushaltestelle, um nicht aufwendig von der Erde aus zu fliegen, was mit sehr viel technischem Aufwand, sehr viel Energieaufwand verbunden ist“, sagt Andreas Schütz vom DLR. Fliegt man von der Erde, muss bei einem Start erst einmal die Erdanziehungskraft überwunden werden, die mitunter das größte Hindernis darstellt. Könnte man allerdings den Mond als Startplattform für die Reise zum Mars nutzen, würde man aufgrund der geringeren Anziehungskraft deutlich weniger Treibstoff benötigen. Und den kann man eventuell sogar vor Ort gewinnen: „Da gibt es schon jede Menge Missionen, die auf der Suche nach den Möglichkeiten sind, Wasserstoff, also Wasser, auf dem Mond zu finden, insbesondere am Südpol, und Möglichkeiten zu generieren, wie man Wasserstoff produzieren kann“, fügt er hinzu. Eine davon brachte NASAs wassersuchenden Rover namens Viper auf den Erdtrabanten. Das DLR prüft bereits Flüssigtriebwerke mit Sauer- und Wasserstoff in seiner Testeinrichtung in Labertshausen, nahe Stuttgart, der größten für Raketentriebwerke in Europa. Irgendwann soll es dann auch ein Moon Village geben, in dem Wissenschaftler:innen aus der ganzen Welt zusammenkommen, als Fortsetzung der Internationalen Raumstation. Die ESA hat schon vor Jahren angefangen, die ersten Pläne zu entwerfen.
Der Mond als Schritt zum Mars
Auch die Chinesen sind aktuell mit einem Rover auf dem Mond, haben bereits eine Probe zurück zur Erde geschickt, um seine Zusammensetzung besser zu verstehen. Indien versucht, wieder auf dem Mond zu landen. Israel ist auch dran. Doch warum wird der Mond gerade jetzt wieder interessant? Man ist sich einig: „Weil wir uns nicht damit zufriedengeben, zu sagen wir waren auf dem Mond und das war’s. Wenn man sich vor Augen führt, dass während der Missionen, die auf dem Mond gelandet sind, nur ein einziger Naturwissenschaftler an Bord war, Jack Smith, gibt es dort oben noch sehr viel zu erfahren, insbesondere über die Geschichte der Erde, da sich die Theorie bestätigt hat, dass der Mond ein Stück der Erde ist. Und damit haben wir natürlich einen Blick in die Vergangenheit. Auch für wissenschaftliche Untersuchungen, denn zum Beispiel für astronomische Untersuchungen gibt es keinen besseren Platz als die Rückseite des Mondes. Da ist es dunkel. Das ist für Wissenschaftler der ideale Platz“, führt Schütz aus. Generell bietet die Schwerelosigkeit eine Vielzahl von Möglichkeiten für Experimente und Untersuchungen für die Wissenschaft, die auf der Erde weiterhelfen können. Beispielsweise für ein besseres Verständnis für das Wirken von Krebszellen, dem Entgegenwirken von Altersschwäche anhand der Beobachtung des Muskelabbaus im Weltraum oder das Erforschen von Mitteln gegen Alzheimer.
Aus einer weniger wissenschaftlichen Perspektive, dafür aber mit Fokus auf Gedanken und Gefühle, hat sich Kira Britten in ihrer Geschichte mit der Krankheit Alzheimer beschäftigt.
„Sobald der Wettlauf ins All vorbei war, schwand das Interesse am Weltraum und an der Finanzierung. Wir haben uns auf andere Dinge konzentriert“, erklärt Alivia Chapla, Marketing- und Kommunikationsspezialistin von Astrobotic. Nächstes Ziel: Mars. Doch der ist viel komplizierter und schwerer zu erreichen. Das macht den Mond wieder attraktiv. „Das ist historisch. Wir werden der erste US-Lander seit den Apollo-Missionen sein, der auf dem Mond landet. Die MoonBox wird mit all ihren Geschichten und Erinnerungsstücken in die Geschichte eingehen. Als Testament der Menschheit“, erzählt sie freudig. Zwar hat die breite Öffentlichkeit noch nicht die Möglichkeit, auf den Mond zu fliegen, doch bringt diese kleine hexagonale Kapsel sie ihm ein Stückchen näher.
Nachhaltige Raumfahrt
Die Raumfahrt ist mit großen Schritten und Zielen unterwegs. Kai Höfner hofft für den deutschen NewSpace auf die ersten Satelliten, die von Deutschland aus ins All starten. Denn Raumfahrt von Deutschland aus ist durchaus möglich. Grundsätzlich ist Cape Canaveral einer der besten Startplätze für Missionen wie die Peregrine Mission One, da man von dort aus direkt aufs Meer hinaus starten und den gewünschten Orbit erreichen kann.
Beim sogenannten AirLaunch aber wird die Rakete einfach unter ein Flugzeug gespannt, sodass der Ort keine allzu große Rolle mehr spielt. Ein möglicher Flughafen für solche Vorhaben ist Rostock Laage, da der unter anderem auch militärisch genutzt wird und dort folglich Raketentreibstoff gelagert werden könnte. Die Forschungen an der AirLaunch-Rakete sind bei GAIA Aerospace in vollem Gange. Ebenso möglich wäre ein Start in den richtigen Orbit von einer Plattform in der Nordsee zwischen den Shetland-Inseln und Norwegen. Auch verbesserte Navigation durch Konstellationen um Mond und Mars für Infrastrukturen und präzises Landen von Raketen auf den beiden Himmelskörpern werden in naher Zukunft eine Rolle spielen. Andreas Schütz schlussfolgert: „Die Zukunft der Raumfahrt wird sich zweiteilen. Es wird eine institutionelle Raumfahrt, heißt staatliche Vorsorge geben. Aber es wird auch eine kommerzielle Komponente geben. Es werden Trägerraketen sein. Es werden Infrastrukturen im Erdorbit sein. Die Herausforderung wird sein, diese Entwicklungen nachhaltig zu betrachten, von vornherein darüber nachzudenken: Welche Konsequenzen hat unser Handeln? Können wir das tun? Können wir es nicht? Sollten wir das tun? Das wird die entscheidende Frage der Zukunft der Raumfahrt sein.“