Einmal Elbe-Elster – nur zurück!

Einmal Elbe-Elster – nur zurück!

Stadt, Land, Zukunft. Die Corona-Krise lenkt den Blick auf ein Leben, welches ortsunabhängig ist, da Arbeit von überall möglich ist. Aber wie wird Heimat wieder zum Zuhause und wie das Landleben attraktiver, um mehr Menschen zum Rückkehren in ihre ländliche Heimatstadt zu bewegen?

„Heeme ist’s eben doch am schönsten“ – © Paul Glaser

Heimat ist da, wo Pellkartoffeln mit Quark gegessen werden

„Einmal in die Sonne, bitte – und ganz weit weg.“ Stephanie Auras-Lehmann hörte den Satz über Jahre hinweg täglich in dem Reisebüro, in dem sie in Finsterwalde arbeitete. Einmal sprach die gebürtige Finsterwalderin den Satz selbst aus. „Wer im Reisebüro arbeitet, bekommt irgendwann selbst Fernweh, fügt Auras-Lehmann lachend hinzu. Als junge Frau zog es die gelernte Reisekauffrau und selbst ernannte Welttouristikfrau in die ferne Großstadt. Von Finsterwalde nach Hessen und von dort aus nach New York. Heute lebt Auras-Lehmann wieder in ihrer Heimatstadt Finsterwalde und möchte mit ihrem Buch „Heeme“ anderen Rückkehrer:innen Mut machen, wieder Fuß in der alten Heimat zu fassen. Vor fast zehn Jahren gründete sie ehrenamtlich die Agentur Comeback Elbe-Elster als Rückkehrer- und Zuzügler-Initiative, die heute vom Land Brandenburg gefördert wird und Modellcharakter hat.

Bevor Auras-Lehmann die Tür zur Willkommensagentur öffnet, fährt sie mit einem Kreidestift die Wörter ‚Heimat‘ und ‚Gerüche‘ im Schaufenster nach, da die Zeit diese ein wenig verwischt hatte. Sie dreht sich zum zoom-Meeting auf dem Handydisplay um und ruft „Heimat ist da, wo Pellkartoffeln mit Quark gegessen werden“. Schwungvoll öffnet sie die Tür und gibt einen Einblick in ihren Wegzug, die Rückkehr – und was sie und die Agentur für die Zukunft planen, um mehr Menschen dazu zu bewegen, auf das Land zu ziehen.

Stephanie Auras-Lehmann, Gründerin von Comeback Elbe-Elster – © Paul Glaser

Comeback Elbe-Elster – die Agentur und das Netzwerk

2012 gründete die Rückkehrerin Stephanie Auras-Lehmann mit der Verstärkung des Vereins „Generationen gehen gemeinsam“, die Willkommensagentur Comeback Elbe-Elster. Das heute dreiköpfige Team hinter der Initiative berät individuell und kostenfrei alle, die in Brandenburg Fuß fassen wollen – egal ob Zuzügler:in, Pendler:in oder Rückkehrer:in. Auras-Lehmann, Spletzer und Robert bieten neben den Beratungen, egal ob online oder im echten Leben, einen Willkommensladen und einen Coworking-Space an. Auras-Lehmann beschreibt die Agentur als Lotse und Insider, der Informationen bündelt und dann weitergibt. Als erste Adresse, um den richtigen Schubs und auch den Funken Mut zu bekommen, um zurückzukehren.

Eine Gegend ohne Berge und Meer, aber trotzdem ziehen wir alle her

Finsterwalde ist ein kleines, verschlafenes Dörfchen in Südbrandenburg. „Eine Gegend ohne Berge und Meer, aber trotzdem ziehen wir alle her“, wie Tiaz in „Wir brauchen dis“ singt. Ein Bundesland, welches aus viel Fläche (knapp 30.000 Quadratkilometer) und wenigen Menschen (ungefähr 2,53 Millionen) besteht – und sehr stark von Wegzug betroffen ist. Viele, die hier aufwachsen, wollen erstmal weg aus der vertrauten Kleinstadt und ziehen in den Speckgürtel um Berlin oder noch weiter weg so wie Auras-Lehmann oder ihre Kollegin Sandra Spletzer, die vor ihrer Rückkehr in Großbritannien lebte.

Statistiken sprechen von Landflucht. So sind zwischen 1992 bis 2019 884.000 Personen aus Brandenburg abgewandert. Die Migration aus Brandenburg heraus hat also seit 1990 tiefe Spuren hinterlassen, da vor allem wirtschaftlich Aktive weggingen. Und die Zukunftsprognosen sehen ebenfalls sehr kritisch für ländliche Gebiete in Brandenburg aus. So wird prognostiziert, dass der Landkreis Elbe-Elster 21,12% seiner Bevölkerung verlieren wird.

Abwanderung als natürlicher Lebensbestandteil

Wie gefährlich der Begriff der Landflucht ist, zeigt Thomas Wude (s. Bild rechts) auf. Er konzipierte das Modellprogramm Land auf Schwung für den Landkreis Elbe-Elster und kritisiert den Umgang von Medien und politischen Institutionen mit eben diesem Begriff. Laut dem Stadt- und Regionalplaner handelt es sich beispielsweise zwischen Berlin und Brandenburg um ein Wechselspiel: beinahe eine Rollenergänzung, vor allem was Arbeit betrifft. So leben viele in Brandenburg, um in Berlin zu arbeiten. Oder Berliner fahren gern ins Brandenburgische, um Wochenendausflüge zu machen.

„Studium, Lehre, Beziehung – das sind Lebensphasen und daran sind individuelle Entscheidungen geknüpft. Oft geht man dann eben weg. Das ist das Leben. Aber das hat nichts mit Landflucht zu tun“, meint Wude mit Nachdruck. So ist es ohnehin soziologisch erwiesen, dass junge Menschen ihren Heimatort verlassen sollten, um Erfahrungen zu sammeln.


Nur Loser kommen zurück

Dazu kommt, dass Menschen, die aus Brandenburg kommen und dahin zurückkehren, als Loser angesehen wurden, erklärt die Comeback-Gründerin. „Oh, der kommt zurück – der hat es wohl nicht geschafft!“. Rückkehren wurde laut Auras-Lehmann mit Versagen gleichgesetzt. So gab es mehr Gründe für das Weggehen in die weite Welt und dort Bleiben, selbst wenn man eigentlich zurück nach „Heeme“ wollte. Befragungen vom Berliner Institut für Stadtplanung und Infrastruktur (IfS) unter Schüler:innen und Absolvent:innen ergaben bereits im Jahr 2010, dass die fehlenden Perspektiven im Beruf sowie im Freizeitangebot Hauptwegzugsgründe sind. Insgesamt werden junge Menschen immer mobiler für eine gute Ausbildung. Noch dazu dominieren technische Ausbildungen, während es im geisteswissenschaftlichen Bereich kaum Ausbildungsmöglichkeiten gibt. Viele gehen auch, um eine Ausbildung zu beginnen, weil sie für das Pendeln ein Auto bräuchten und das finanziell nicht möglich ist.


Ungleiche Lebensverhältnisse deutschlandweit

Dabei ist es die Aufgabe der Politik – nicht der Bürger:innen – und damit ein staatlicher Leitgedanke, die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse zu gewährleisten. Die Krux an der Sache: Die Lebensverhältnisse und die Daseinsvorsorge werden in der Kommune konkret. Also Bildung, Gesundheit, Erreichbarkeiten, Freizeitmöglichkeiten, aber auch Wirtschaftsstandorte und demographische Aspekte sind Indikatoren für die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse, die nicht in allen Regionen gegeben ist. Obwohl die Kommune für die Ausgestaltung vor Ort verantwortlich ist, ist es dennoch die Verantwortung des Bundes und der Länder, aufzupassen, dass diese Spaltung nicht zu groß wird.

Eine Spaltung der Lebensverhältnisse, die zudem durch Corona verstärkt wurde: „Corona war ein Ungleichheitsverstärker, der ländliche Regionen weiter abgehängt und dennoch das Interesse für das Stadt-Umland stark erweitert hat“, so die Landsoziologin Claudia Neu (s. Bild links). Die Soziologin hält das Stadt-Land-Kontinuum für eine richtige Beschreibung. Dass es nicht mehr den Stadt-Land-Gegensatz gibt, sondern es zu einer Sub-Urbanisierung kommt.

Warum sollte man nun aber zurückkehren in sein ländliches Heimatdorf in Brandenburg? Und noch wichtiger: Wie kehrt man zurück?

Zeitreise in die Vergangenheit: die Rückkehr

2012 gründete eine Rückkehrerin, Stephanie Auras-Lehmann, allein und auf ehrenamtlicher Basis eine Willkommensagentur. Nächstes Jahr feiert die Agentur, aus der auch das Netzwerk Comeback Elbe-Elster entstanden ist, zehnjähriges Jubiläum und wächst damit aus den Kinderschuhen. Heute gilt das Netzwerk als Ansprechpartner Nummer Eins für andere Initiativen, aber auch die Politik. Auf die Frage wie Auras-Lehmann zurückgekehrt ist, hebt sie die Arme als wolle sie weit ausholen.

„Ich bin ein Abi-Kind aus dem Jahr 2001. Da gingen die meisten noch zum Studieren oder Arbeiten weg“, fängt Auras-Lehmann an zu erzählen. Nachdem sie das Fernweh gepackt hat, nach Jahren im Reisebüro in Finsterwalde, kehrt sie 2011 doch nach Finsterwalde zurück.

Hauptgrund ist bei ihr die Liebe. „Ich hatte einen Partner, der mich all die Jahre immer begleitet hat, aber sehr heimatverliebt ist und mit 30 wollten wir eine Familie gründen. Da fiel mir meine Entscheidung leicht“, schmunzelt Auras-Lehmann. Ihre Kollegin Sandra Spletzer (s. rechts im Bild), die auch Netzwerkkoordinatorin von Ankommen in Brandenburg ist, ergänzt: „Ich bin aus demselben Grund wiedergekommen, aus dem ich weggegangen bin. Ich wollte neue Kulturen entdecken, aber am Ende war mir meine eigene kulturelle Identität doch wichtiger. Der Bruch des deutschen Ostens macht viel mit einem und Menschen, die in stabilen Systemen aufgewachsen sind.


Die Heimat und das Netzwerk ziehen zurück

Eine Befragung von Rückkehrer:innen nach Brandenburg aus dem Jahr 2018 ergab, dass die Gründe für die Rückkehr vorrangig am Heimatort liegen. Das heißt, die Befragten fühlen sich wirklich in die Heimat gezogen. Heimatgründe überwiegen im Vergleich zu Wegzugsgründen. Die am meisten genannten Gründe wieder in den Heimatort zu ziehen, sind netzwerkbedingt. So wurde die Nähe zu Familie und Freunden oder die Gründung einer Familie genannt sowie eine bezahlbare Wohnung und die Sehnsucht nach der Landschaft.

Während die Lebenssituation insgesamt als sehr gut und die Arbeitssituation als gut bewertet wurde, gaben die Rückkehrer:innen an, finanziell sowie bei Infrastruktureinrichtungen, Abstriche in Kauf genommen zu haben. Drei Viertel der Befragten gaben an, dass sie sich Hilfe bei der Suche nach einer passenden Erwerbstätigkeit, einer Wohnung und sozialen Beziehungen gewünscht hätten. Diese Zahlen geben der Willkommensagentur Elbe-Elster eine Daseinsberechtigung. Mehr noch: Sie zeigen wie wichtig diese für das Comeback von Brandenburger:innen ist. Wie die Agentur beim Rückkehren hilft, zeigt Stephanie Auras-Lehmann bei einem virtuellen Rundgang.

Wer bin ich – zwischen Finsterwalde, Hessen und New York?

Auras-Lehmann wirft ein, dass sie zwischenzeitlich zwischen Finsterwalde, Hessen und New York mit einem Identifikationsproblem zu kämpfen hatte. „Das geht ja vielen jungen Menschen so, dass sie sich neu sortieren müssen. Ich wusste nicht mehr, ob ich jetzt Hessin bin. Ob Ost oder West?“, meint die 39-jährige. Und schiebt hinterher, dass das ja heute zum Glück nicht mehr so ein Thema sei. Das liege auch daran, dass man anders spricht, anders isst, vielleicht sogar einen anderen Dialekt bekommt oder „dreiviertel“ statt „viertel vor“ sagt. Aber die potenzielle Kluft verschwinde schnell, wenn man sich wie in ihrem Fall die Schürze in der Bar der Eltern wieder anzieht und die Cocktails wie immer mixt.

Ganz so leicht war die finale Rückkehr aus New York dann für sie aber doch nicht. So schrieb die gelernte Touristikerin in ihrem Arbeitsbereich 145 Bewerbungen. Eine Zusage für eine Vollzeitstelle erhielt sie leider nicht. Wobei sie im Nachhinein „zum Glück“ sagen kann. Auras-Lehmann erinnert sich an einen Spruch, den ihr jemand in der Cocktailbar ihrer Eltern gesagt hatte: „Im Landkreis Elbe-Elster gibt’s die Armen und die Alten und diese Verwalten. „Wer rückkehrt, ist gezwungen, quer zu denken. „Egal wie sehr man an seinem Studium oder Job hängt, es ist sehr unwahrscheinlich, dass man auf dem Land seine absolute Traumstelle ausgeschrieben findet“, zuckt Auras-Lehmann mit den Schultern. Kurzerhand stieg sie als Projektassistentin für Langzeitarbeitslose bei dem Verein „Generationen gehen gemeinsam“ ein.

„Auch wenn nach dem inneren Abwägen für einen persönlich die Vorteile der Heimat überwiegen, so muss man doch Abschied nehmen von dem was vorher war“, meint Sandra Spletzer. So fehlte ihr dann nach ihrer Rückkehr doch die kulturelle Vielfalt, die sie in Großbritannien erlebt hat. Und auch Stephanie Auras-Lehmann vermisst die „Späti-Kultur“ der Großstädte und das ungeplante Einkaufen. Wenn man regional einkaufen will, braucht man mehr Vorlauf und ein paar Dinge muss man online bestellen. Aber gerade dieser Vorlauf gehöre ja zum gewünschten Entschleunigen dazu.


Kuchen statt App

Neben dem, was man an der Großstadt schmerzlich vermisst, gibt es andere Vorteile der Rückkehr in die Heimat, aber auch Herausforderungen. So sei man mit der inneren Dynamik des Ortes vertraut und kennt die internen Strukturen sowie die möglichen Fallstricke, wie Neu es beschreibt. Sofern man ein Netzwerk gepflegt hat, ist bereits eine Verankerung da. Und natürlich ist einem die zurückhaltende brandenburgerische Mentalität vertraut.

Die Rückkehr voller Tatendrang birgt aber auch einige Gefahren. Neu nennt es den Beglückungsoptimismus von Raumpionieren nach dem Motto „wir retten jetzt das Dorf – und die Abgehängten müssen uns dankbar sein“. Denn genau so entstünden Parallelwelten. Gerade Zuzügler:innen und Rückkehrer:innen finden sich dann vielleicht doch nicht ins Dorfleben ein und machen ihr eigenes Ding. Damit diese Parallelwelten nicht entstünden, müssten aber beide Seiten offen füreinander sein. Auf der einen Seite, indem die Rückkehrenden eben nicht eine App für Nachbarschaftskontakte entwickeln, sondern mit einem Kuchen vorbeigehen, sich vorstellen und nach ein paar Jahren gemeinsam die App entwickeln. Spletzer ergänzt, dass es eben nicht zum sozialen Zusammenwachsen führt, wenn Rückkehrer:innen mit der Tür ins Haus fallen und eigene Erfahrungen vor sich hertragen. „Man kann das Rad nicht neu erfinden und manchmal ist es schwer, neue Impulse zu platzieren. Die größte Herausforderung für beide Seiten – das Dorf und Rückkehrende – ist es, den Erfahrungshorizont des anderen zu akzeptieren“, endet Spletzer. Also zu akzeptieren, dass der oder die andere nicht so sein muss wie man selbst.

Auf der anderen Seite muss das Dorf ein Klima der Offenheit und Toleranz erschaffen, in dem es zum Beispiel Begegnungsorte schafft und sich offen für neue Impulse zeigt. Einen persönlichen Einblick in die individuellen Entscheidungen von Weggehen, Ankommen und Zurückkehren, gibt der Podcast mit den beiden Brüdern Benjamin und Daniel Gutsche. Einer dageblieben, einer zurückgekehrt. Eine Familie, zwei Perspektiven. Im Gespräch diskutieren die beiden, was überhaupt Heimat und was Zuhause ist und ob es ein Weggehen für die persönliche Entwicklung braucht. Was das Ganze mit Tortenstücken zu tun hat und wie diese sich im Laufe des Lebens verschieben, erzählen die Brüder selbst.

Gespräch mit den beiden Brüdern Ben und Daniel – einer dageblieben, einer weggegangen


Lotse nach Heeme

Zurück zu Stephanie Auras-Lehmann. Diese merkte, dass ihre Vorurteile, dass hier nichts los sei und es keine innovativen Jobs gebe, falsch waren. „Man merkt schnell, dass man selbst Schmied seines eigenen Glückes ist“, meint Auras-Lehmann. „Wenn mir das vegane Café oder der Skaterverein fehlt, muss ich ihn selbst gründen.“ Die Rückkehrer:innen kennzeichnen sich durch eine Macher-Mentalität. Sie kommen zurück, um aktiv mitzugestalten. So auch sie selbst: Wenn man ihre bunte Willkommensagentur betritt, wird einem das Motto ‚ankommen und glücklich sein‘ klar.

Aus monatlichen Anfragen wurden wöchentliche bis es so viele wurden, dass die Anlaufstelle nicht mehr auf ehrenamtlicher Basis weitergeführt werden konnte. 2016 besuchte anlässlich des Sängerfestes der Ministerpräsident Brandenburgs, Dietmar Woidke, zufällig die Comeback-Agentur. Ein voller Gesprächserfolg. Ein Jahr später. Seitdem fördert die Staatskanzlei Brandenburg das Netzwerk „Ankommen in Brandenburg – Netzwerk für Rückkehr und Zuzug“ – und somit auch die Willkommensagentur Elbe-Elster.

Heeme ist’s eben doch am schönsten – © Paul Glaser

Roter Teppich für Rückkehrende

Wie sieht denn heute die Zu- und Abwanderung in Brandenburg aus? Das Berlin-Institut prognostiziert, dass dem Osten die Menschen ausgehen. Prognosen bis 2035 besagen, dass die Städte im Osten zwar weniger, aber die ländlichen Regionen dagegen viel Abwanderung erfahren werden. Auch an der Mentalität hat sich einiges verändert: Anstatt als Loser wahrgenommen zu werden, werden Zuzügler:innen und Rückkehrer:innen heute gerne begrüßt. „Für sie wird der rote Teppich ausgerollt“, um es in Auras-Lehmanns Worten zu sagen. Gleichzeitig werden aber auch die Bedingungen einfacher, um zurückzukehren. So ist Brandenburg Gründerland mit einer hohen Selbstständigkeitsquote und wurde mit dem zweiten Platz bundesweit im KfW-Gründungsmonitor ausgezeichnet.

Neben dem Gründen, das vermehrt im Digitalbereich stattfindet, zeigt die Corona-Krise wie Remote-Work flächendeckend funktionieren kann. Bianca Tilch (s. Bild links) von der Wirtschaftsförderung Elbe-Elster sieht hier einen starken Zukunftstrend, sodass Remote Work sogar zum Standard werden könnte. Gut für das Land: Denn so wären fehlende Arbeitsplätze kein Problem – solange das Internet die Zoom-Meetings mitmacht.

Auch Auras-Lehmann beobachtete, dass die digitale Arbeit von Comeback Elbe-Elster während der Pandemie gut angenommen wird. Dennoch würden sich alle sehr auf das analoge Kennenlern-Picknick „Neu in Elbe-Elster“ im August freuen.

In all der Online-Euphorie darf nicht vergessen werden, dass die Landwirtschaft fast die Hälfte der Nutzungsfläche in Brandenburg ausmacht. „Es kann nicht alles aus dem Homeoffice gemacht werden“, wirft Tilch ein. Die Landwirtschaft darf im Rahmen der Rückkehrer-Initiativen und Förderprogramme nicht unter den Tisch fallen. So wurde beispielsweise ein Regionalsiegel entwickelt, um lokale Erzeuger:innen zu fördern und regionale Ernährung möglich zu machen oder auch im Rahmen des Modellprogramms „Land auf Schwung“ ein Fokus auf Landwirtschaft gelegt.

Bleiben die einen, kommen die anderen

Einmal Elbe-Elster, bitte – nur zurück. Aber wie bleibt man, wenn man ins Heimatdorf zurückgekehrt ist?

Die bereits erwähnte Befragung unter Rückkehrenden aus dem Jahr 2018 zeigte, dass 83% zufrieden mit der Entscheidung sind, zurückgekehrt zu sein. Das ist ungefähr gleich viel wie die Zuzügler:innen (82%). Bleibefaktoren sind laut der Studie die Arbeitschancen, die Familiensituation sowie soziale Kontakte und Nachbarschaftskontakte, eine intakte Umwelt, aber auch das politische Klima sowie die Möglichkeiten zum ehrenamtlichen Engagement. Es geht neben dem Job, also vor allem um das familiäre und gesellschaftliche Umfeld, in dem man lebt. „Wenn die einen bleiben, ziehen weitere hinterher“, erklärt Sandra Spletzer das Phänomen der ‚Kernbildung‘.

Weniger Konzept, mehr machen

Und dennoch: Wer ist nun verantwortlich, um das Landleben attraktiver zu machen – und dadurch für Zuzug zu sorgen? Es ist die Politik, die den Bürger:innen Anschub geben muss, damit diese aktiv werden. In Gemeinden, in denen es kaum Entwicklungschancen gibt, springen die Leute nicht von den Bänken hoch und sagen „ja, das machen wir jetzt“. „Da träumt die Politik von, aber das habe ich so noch nie gesehen“, lacht Neu. Sie fasst es zusammen unter: „Soziale Orte brauchen Infrastruktur und stellen gleichzeitig Infrastruktur bereit.“

„Die Kommunen vor Ort wissen glaube ich sehr genau, was sie brauchen und wie sie das gestalten können“, meint Neu. Deswegen dürfe aber die Bundesebene nicht vernachlässigt werden. Sonst würden Gemeinden, die schwer vom demographischen Wandel betroffen seien, vernachlässigt werden. „Wir als Gesamtgesellschaft haben die Verantwortung, dass wir einen Ausgleich schaffen.“

Ohne die Politik geht also nichts auf dem Land. Auf die Frage, was sie sich von der Politik gewünscht hätte, hat Auras-Lehmann einige Appelle parat. So wünscht sie sich ein niedrigschwelligeres Zusammenspiel von Politik und Zivilgesellschaft. Ohne einen Verein und finanzielle Mittel gibt es keine Fördergelder. Gerade kleine Initiativen haben dies aber nicht. Aber auch diese sollten besucht und gefördert werden. Man könne so viel Wissen nutzen und transformieren und zum Beispiel aus Comeback Elbe-Elster lernen, um Förderrichtlinien für andere Regionen aufzusetzen. „Stichwort Bürgergeld. Wenn man auch ohne großes Konzept einfach einer Initiative 5000 Euro geben würde, um den Jugendtreff mit Bürgerbeteiligung wiederaufzubauen, wäre viel gewonnen“, ruft Auras-Lehmann aus. Mehr auf Augenhöhe – als Anreiz für mehr Beteiligung, Engagement und insgesamt gleichwertigere Lebensverhältnisse.

Dabei sind sich alle einig, dass kleinere Strukturen geschaffen werden müssen. Tilch ergänzt, dass das Kirchturmdenken endlich überwunden werden muss, damit die Politik ihr Ziel der gleichwertigen Lebensverhältnisse erreichen kann. Es geht am Ende eben doch nur gemeinsam als Region. Dafür müsste der öffentliche Nahverkehr ausgebaut, die medizinische Versorgung sowie ein stabiles Einkommen gewährleistet werden. Auch ein Netzwerk, das zum Beispiel Ehrenamtliche und Rückkehrende vernetzt, wäre wünschenswert. „Und natürlich ist Breitband das A und O“, fügt Tilch an. Konkrete aktuelle Stipendien wie jene, die Landärzte fördern, wären sicher eine gute Sofortmaßnahme gegen den Abwanderungstrend in die Städte.

Mit Kreativität aufs Land

Damit die Abwanderung vom Land gestoppt werden kann, braucht es aber auch ein Umdenken. Auras-Lehmann ist zuversichtlich, dass die Politik, aber auch kluge Köpfe aus der Wissenschaft dieses finden werden. Und wenn man junge Leute mehr hört und in die Politik bringt, wird mehr ausprobiert. Neben den üblichen Indikatoren für die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse wie die medizinische Versorgung und Arbeitsplätze, geht es laut Neu auch um Freizeitangebote. So könnten Kreativstipendien helfen, um leerstehende Gebäude in Cafés, Jugendtreffs oder Sportclubs zu verwandeln.

In der Bildergalerie befinden sich einige Kreativorte in Südbrandenburg, die zum Arbeiten, Feiern, Urlaub machen – oder alles auf einmal – gebucht werden können.


Apropos Bleiben, Auras-Lehmann plant für die Zukunft der Agentur und des Netzwerks, sich mehr auf Zuzügler:innen, aber auch auf Bleibende zu konzentrieren. „Die Rückkehrenden kommen mittlerweile von ganz allein und wissen ganz genau, was sie wollen“, erklärt Auras-Lehmann. So ist die Agentur herausgefordert, sich zu professionalisieren und hochqualifizierte Profile zu beraten. Gleichzeitig will sie in Zukunft noch mehr mit anderen Initiativen zusammenarbeiten – wie das Tandemprojekt „Hüben und Drüben“ (s. Video-Interview), weil man das Rad nicht immer neu erfinden muss. Dabei erzählt sie auch, weshalb es kein Universalrezept fürs Rückkehren gibt.

Gleicher und doch unterschiedlich

Zuletzt wagt Auras-Lehmann eine Zeitreise in die Zukunft. In die Zukunft der gleichwertigen Lebensverhältnisse. Wenn es diese so geben wird. Neben ihrer eigenen, für die sie sich wünscht, dass eines ihrer Kinder weggeht und eines da bleibt, skizziert die mittlerweile wieder in Finsterwalde Einheimische eine Zukunftsvision für den ländlichen Raum. Auf die Frage, ob die Corona-Krise das Land retten könnte, bleibt sie unentschlossen. Die Krise sei ein Auslöser für viele Menschen, ihre Rückkehr-Pläne anzustoßen, aber der Entscheidungsprozess, die innere Pro-Kontra-Liste, die geschrieben werden muss, bleibe. Das würde sich erst in ein paar Jahren zeigen, wie viele Menschen wirklich aufs Land (zurück) ziehen.

Ihre Kollegin Spletzer ergänzt, dass die Unterschiede zwischen Stadt und Land weniger wichtig würden. Positive Unterschiede würden erhalten bleiben und negative beseitigt. Da sind sich auch Bianca Tilch von der Wirtschaftsförderung und die Landsoziologin Neu einig: Die Zukunft des Landes hängt von Internet und Arbeitsplätzen ab. Der Trend sei da, die starke Abwanderung aus ländlichen Gebieten zu stoppen, dennoch werden einige Dörfer in der Zukunft aussterben. Auras-Lehmann betont, dass dies ein völlig normaler Prozess sei.

Volkswirtschaftlich gesehen wäre es zudem ein Fehler, die Leute auf dem Land zu halten. Aber: Was machen wir als Gesellschaft mit den Räumen, die unter diesem starken Braindrain leiden? Mit den abgehängten Räumen? Wie können gleiche Lebensverhältnisse gewährleistet werden, ohne dass das Land zur Stadt werden muss? Denn das haben alle Weggegangenen und Rückkehrenden gemeinsam: Auf der inneren Pro-Contra-Liste stehen Vor- und Nachteile. Aber das Land hat eben Vorteile, die die Stadt nicht hat. Und die Stadt hat Vorteile, die das Land nicht hat. Am Ende muss der Mensch sich nur entscheiden…

Bevor jede von uns wieder in ihre Welt rückkehrt, bleibt Auras-Lehmann noch einen Moment im Zoom-Meeting. Dann schaut sie auf die Uhr und sagt, dass sie nun losmüsse. In den Unverpackt-Laden, der neu eröffnet hat. „Da sind wir wieder beim Thema Bleiben“, lacht Auras-Lehmann. „Das ist eine 18-jährige, die den Laden eröffnet hat und hierbleibt, um etwas zu bewegen.“


Eine kleine Umfrage zum Abschluss - vielen Dank für Deine Teilnahme!


Wie wird Heimat wieder zum zuhause? Über diese Frage bin ich im Rahmen des Jugendmedienworkshops gestolpert, den ich mitgeleitet hatte. Als ich bei einem virtuellen Streifzug Willkommens-Agentur-Inhaberin Stephanie Auras-Lehmann kennengelernt habe, habe ich mich das erste Mal mit dem Rückkehren auseinandergesetzt. Denn ich als Studentin komme oft in Städten neu an, kann mir das Zurückkehren aber noch nicht vorstellen. Meine unterschiedlichen Ansprechpartner:innen aus Brandenburg haben mir gezeigt, dass Stadt und Land keine gegensätzlichen Pole sind, dass nicht alles bewusste Entscheidungen im Leben sind und dass in Finsterwalde Pellkartoffeln mit Quark, Heimat bedeuten. Bei der Recherche hat also immer wieder mein Magen geknurrt - und gleichzeitig habe ich viel persönliches, aber auch gesellschaftspolitisches in Bezug auf das Landleben in Brandenburg erfahren.

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