Familie ist da, wo Liebe ist

Familie ist da, wo Liebe ist

Um Clara herum und über den Schultern vieler Leute wehen bunte Flaggen durch die Luft. Überall sieht sie grüne, gelbe, blaue, rote, lilafarbene Kostüme. Menschen in glitzernden Kleidern mit üppigen Perücken und buntem Make Up laufen durch die Straßen. Drag Queens. Die findet Clara besonders toll. Zuhause hat sie schon viele Fotos mit Drag Queens, weil sie so begeistert von ihnen ist. Die Stimmung ist ausgelassen, Menschen lachen, singen, feiern. Musik kommt aus allen Richtungen. Plötzlich entdeckt Clara eine Frau mit einem Plakat. Doch das trägt eine andere Aufschrift als die Plakate, die um Clara herum durch die Straßen ziehen und für Gleichheit, Freiheit, Familie stehen. Die Frau fordert: Kinder raus aus Regenbogenfamilien. Da rutscht Clara ihr kleines Herz in die Hose. Sie stolpert einen Schritt zurück. Instinktiv versteckt sie sich hinter ihren Mamas. Sie will nicht weggenommen werden. Der Gedanke kehrt immer wieder: Ich werde weggenommen. Ich werde jetzt meinen Mamas weggenommen.

Heute schildert Clara Gerlach diese Situation aus ihrer Kindheit etwas distanzierter. „Es gibt immer dumme Situationen oder dumme Sprüche“, erzählt die 18-Jährige. „Da kommt man als Kind auf die wildesten Ideen und fragt sich: Vielleicht werde ich dann auch irgendwann weggenommen? Das waren crazy Gedanken, die mir auch niemand nehmen konnte.“

Clara ist eins von zirka 15.000 Kindern aus Regenbogenfamilien in Deutschland(Stand: 2018, Regenbogenfamilie bezeichnet hier gleichgeschlechtliche Ehepaare und eingetragene Lebenspartnerschaften). In Claras Fall heißt das: Sie hat zwei Mütter. Regenbogenfamilien können allerdings aus den verschiedensten Konstellationen bestehen. Der Definition des Lesben- und Schwulenverbands Deutschland (LSVD) zufolge bezeichnet dieser Begriff „Familien, in denen mindestens ein Elternteil lesbischAls lesbisch bezeichnen sich Frauen, die sich emotional und/oder sexuell zu Frauen hingezogen fühlen. , schwulSchwul sind Männer, die sich auf diese Weise zu Männern hingezogen fühlen., bisexuellAls bisexuell gelten Menschen, die sich romantisch und/oder sexuell zu mehreren Geschlechtern hingezogen fühlen., trans-Transgeschlechtlich sind Menschen, die sich nicht (nur) mit ihrem angeborenen Geschlecht identifizieren. Transgeschlechtlich sind daher auch Menschen, die geschlechtsangleichende Maßnahmen ergreifen. bzw. intergeschlechtlichMenschen mit körperlichen Geschlechtsmerkmalen, die sich nicht als nur weiblich oder nur männlich einordnen lassen, sind intergeschlechtlich (auch: intersexuell). ist“.

Viele Wege zur Regenbogenfamilie

Claras Eltern bekamen sie durch eine private Samenspende. Auch Insemination genannt, beschreibt die Samenspende dabei eine Methode, bei der die Fremdsamen eines Mannes für die Befruchtung der Eizellen genutzt werden, erklärt Markus Ulrich, Pressesprecher des LSVD. Neben der Insemination haben queere PaareQueer ist ein Überbegriff für Menschen mit einer geschlechtlichen Identität und/oder sexuelle Orientierung nicht der heteronormativen Norm entspricht. Als heteronormativ bezeichnet man die Weltanschauung, die nur das weibliche und das männliche Geschlecht anerkennt und als „normal“ benennt. Dazu gehören auch sexuelle sowie emotionale Beziehungen zwischen diesen Geschlechtern. noch die Möglichkeit der Adoption oder der Pflegschaft, um eine Regenbogenfamilie zu gründen. Welche dies sind und welche Hürden damit verbunden sind, erklärt Markus Ulrich im Podcast.


Podcast | Wie gründet man eine Regenbogenfamilie?

Ein langer Weg zum Wunschkind: Clara war mehr als zehn Jahre in Planung

Der Weg zum Wunschkind war für Claras Eltern lang und mit vielen Hürden verbunden. Bereits zehn Jahre vor Claras Geburt hatten sie einen Spender gefunden – einen Studienfreund von Claras Mutter. Dieser verstarb allerdings überraschend an Krebs. „Es dauert eben doch viel länger, als man denkt, bis man wieder jemanden gefunden hat. Es stellt sich auch die Frage, ob man es überhaupt noch einmal probieren will, weil das natürlich ein totaler emotionaler Einschnitt war. “  

Clara beschreibt ihre Eltern als ihre Felsen in der Brandung und nennt sie Mama und Mami. Von ihren Bekannten kennt sie niemanden, der so viel mit seinen Eltern spricht, wie sie es tut. „Wir haben eine sehr enge Verbindung und ein starkes Vertrauensverhältnis.“

Dabei macht es für Clara keinen Unterschied, zu welcher ihrer Mütter sie eine biologische Verbindung hat und zu welcher nicht. Wer mit ihr schwanger war, spielt nur eine Rolle, wenn es Gesprächsthema ist. Generell haben ihre Eltern ihre Aufgaben immer hälftig aufgeteilt, sodass Clara nie das Gefühl hatte, keine gleichwertigen Elternteile zu haben. Dabei gibt es schon Themen, die sie mit einer Mutter besser besprechen kann als mit der anderen: „Aber das ist ja auch typisch Eltern.“

Ihr biologischer Vater ist seit ihrer Geburt präsent für die Auszubildende. Inwiefern sie Umgang mit ihm haben möchte, war schon immer ihre eigene Entscheidung – auch heute steht sie mit ihm in Kontakt und sieht ihn ein paar Mal im Jahr. In ihrem Leben nimmt er eher die Rolle eines nahen Verwandten ein, Papa würde sie ihn nicht nennen. „Manchmal vergesse ich, dass ich einen Vater habe und dass es diese Position in meinem Leben gibt. Meine Moms sind meine Eltern und ich habe nicht das Bedürfnis nach mehr“, erklärt Clara. „Es ist trotzdem schön zu wissen, wo ich herkomme und meine biologische Zuordnung zu kennen.“ 

Rechtliche Grundlage: Ansprüche des Kindes an den Erzeuger

Weiß ein Kind nicht, wer sein Erzeuger oder die leibliche Mutter ist, hat es einen Auskunftsanspruch gegenüber den Eltern, erklärt Markus Weber, Anwalt für Familien- und Erbrecht. Sollten die Eltern diese Auskunft verweigern, hat das Kind allerdings wenig Handlungsspielraum. „Das Kind hätte natürlich die Möglichkeit, die Vaterschaft von sich aus feststellen zu lassen. Das wird oft mit Blick auf Unterhalts- oder Erbansprüche gemacht“, so Weber. Wenn die Vaterschaft genetisch festgestellt ist, kann das Kind laut Weber theoretisch versuchen, den Umgang mit dem Vatergerichtlich einzufordern. Wenn dieser sich aber verweigert, hat das Kind keine Möglichkeit, den Kontakt zu erzwingen. 

Auch ein Recht auf Kennenlernen ist ausgeschlossen – man kann es allerdings theoretisch konstruieren. Dazu könne man Abschnitte aus dem Grundgesetz, der Europäischen Menschenrechtskonvention oder dem Bürgerlichen Gesetzbuch heranziehen, erklärt Weber. Auch hier gilt aber: Verweigert sich eine der beteiligten Personen, kann dieses Recht nicht durchgesetzt werden. 

Emotional ganz nah, auf dem Papier noch fern: Clara, das Wunschkind

Clara war damit für ihre Eltern so nah, so real, wie nie zuvor. Die private Spende hatte geklappt, Claras Mutter war schwanger mit ihr. Nachdem im Februar 2001 das Lebenspartnerschaftsgesetz verabschiedet wurde, stand einer rechtlichen Verbindung der Lebensgefährtinnen nichts mehr im Weg. Der Plan: Claras nicht-leibliche Mutter sollte eine Stiefkind-Adoption durchführen. Dafür war die eingetragene Lebenspartnerschaft damals eine wichtige Voraussetzung.

„Das ist eigentlich total diffus, weil ich ja nicht ansatzweise ein Stiefkind bin, sondern einfach ein Kind, was zu der einen Person keine biologische Verbindung hat“, erzählt Clara. Bei einem heterosexuellen Paar sei das überhaupt keine Frage – wenn der Partner die Vaterschaft anerkenne, wäre das sein Kind, so die 18-Jährige. „Und zu meinen Eltern kam das Jugendamt nachhause.“

Damit schien der Traum von einer gleichwertigen Familie plötzlich doch wieder weit entfernt. Claras Eltern wurden im weiteren Verlauf mehrfach von Jugendamtmitarbeiter:innen besucht und mussten unter anderem Motivationsschreiben anfertigen, erklärt die Auszubildende: „Es sind so dreiste Sachen, die da ablaufen. Allein die Vorstellung, wie gemein und wahnsinnig demütigend das gewesen sein muss, macht mich wütend.“ Vor allem schockiert sie, was ihre Mutter bei den zuständigen Stellen vorlegen musste und sich regelrecht für ihre Elternschaft bewerben musste.

„Dieses Kind, was in die Welt gesetzt wird, ist lange geplant, weil du es nicht einfach so zeugen kannst. Du musst dir überlegen, wie du es zeugen willst – da gibt es super viele Möglichkeiten“, erklärt Clara. Ihre Stimme wird lauter, während sie diesen Prozess beschreibt; sie schüttelt oft den Kopf. „Wenn du dich für eine künstliche Befruchtung entscheiden musst, hast du eventuell tausende von Euros ausgegeben. Oft funktioniert es auch leider nicht auf das erste Mal. Was für ein Glück musst du haben, wenn es direkt klappt?“

Dass ihre Eltern zusätzlich zu diesem emotionalen Stress bis zur geglückten Schwangerschaft und Geburt diesen Adoptionsprozess vollziehen mussten, war für Clara lange unvorstellbar: „Einem dann auch noch so etwas anzutun! Das finde ich heftig.“ 

Lange konnte sie sich das Ausmaß dieses Prozesses nicht vorstellen. „Ich dachte, dass bei Einzelfällen stärker hingeschaut wird und dass es das bei Hetero-Paaren auch gibt. Aber da gibt es das nur in den größten Notfällen“, erzählt die 18-Jährige. Ihr Blick senkt sich, sie schüttelt entschieden mit dem Kopf. „Direkt vom Schlimmsten auszugehen und erst einmal zu testen, ob sie eigentlich als Eltern taugen, anstatt an den Punkten zu gucken, wo es wirklich hakt in der Gesellschaft – das verstehe ich nicht.“

Den meisten Berater:innen ist laut Clara selbst peinlich, diese Fragen zu stellen. Fragen zum Sexleben der Paare – wie oft, wie, was. Wie viel sie streiten und worüber. „Das sind einfach Dinge, die mit dem Kind absolut nichts zu tun haben.“ Clara atmet frustriert aus und scheint nach den richtigen Worten zu suchen.  „Es ist völlig sinnfrei. Völlig sinnfrei.“

Als Clara zum ersten Mal von dem Adoptionsprozess und den Jugendamtsbesuchen erzählt wurde, hat sie zum ersten Mal verstanden, wie sehr ihre Eltern für ihre Familie kämpfen mussten: „Als Kind fragst du dich dann, was denn mit deinen Eltern ist. Irgendwann verstehst du dann, dass das alles nur passiert, weil wir nicht der Norm entsprechen.“  

Welten entfernt: Rechtsgrundlage und tatsächliche Umsetzung

Grundsätzlich sind die Regelungen zu Abstammung, Adoption und Ähnlichem in den letzten Jahren liberalisiert worden. „Die Ausgestaltung ist aber in meiner Wahrnehmung immer noch sehr heterogen“, erklärt Martin Weber. Er hat bisher 15 bis 20 queere Elternschaften mit unterschiedlichen Konstellationen begleitet.

Sein Eindruck ist, dass relevante Stellen bei heterosexuellen Paaren eher mal ein Auge zudrücken und die Beurteilung homosexueller Paare genauer sowie auf der Basis von Vorurteilen geschieht. „Mir fällt auf, dass man bei vielen Konstellationen öfter fragt, wie die Lebensverhältnisse sind, wie man die Abende gestaltet und ob man viel weg geht“, erklärt Weber. „Das würde man sich bei heterosexuellen Paaren nicht fragen trauen.“

Kürzlich betreute der Anwalt ein lesbisches Paar, das eine Stiefkind-Adoption durchführen wollte. „Da wurde tatsächlich in Frage gestellt, ob das für das Kind zumutbar wäre. Das fand ich ziemlich grob – ob es denn zumutbar wäre, mit zwei Müttern aufzuwachsen.“

„Das würde man sich bei heterosexuellen Paaren nicht fragen trauen.“

Martin Weber

Rein rechtlich ist die Situation für queere Konstellationen laut Weber seit der Einführung der Ehe für alle sehr liberal. Zumindest in der Theorie gelten damit die gleichen Grundsätze für hetero- und homosexuelle Paare. Insofern sind Insemination, Adoption eines nicht-leiblichen Kindes, Auslandsadoption, Stiefkind-Adoption, Sukzessiv-Adoption und Pflegschaft prinzipiell den gleichen Grundsätzen unterworfen.

Mit der Ehe für alle hat sich vor allem für lesbische Paare die Insemination stark geöffnet. Bei einer privaten Samenspende muss ein Kind, das in eine lesbische Ehe hineingeboren wird, laut Weber nicht zusätzlich adoptiert werden. Dem zugrunde liegt der rechtlich geschützte Raum der Ehe, wie er auch bei heterosexuellen Paaren gilt: „Das Kind wird in die Ehe hineingeboren und deswegen sollen auch die unmittelbar Beteiligten Eltern werden.“

„Familie ist da, wo Liebe ist“

Mit ihrer Familienkonstellation sind Claras Eltern schon immer offen umgegangen; haben von Anfang an gesagt: Du hast zwei Mamas, nicht alle haben zwei Mamas – aber das ist auch normal und auch wir sind nur eine Familie. Deswegen ist auch Clara immer sehr offen mit ihrer Familienform umgegangen: „Wir sind anders, aber so ist es halt. Das ist auch cool und funktioniert genauso.“ 

Familie ist schon immer ein zentraler Teil von Claras Leben. „Der Satz, der mich zu dem Thema am meisten geprägt hat, war: Familie ist da, wo Kinder sind und Familie ist da, wo Liebe ist“, erzählt die 18-Jährige. Für sie ist das ein sehr breit gefasstes Wort. „Es gibt da ja die wildesten Konstellationen. Ich bin auch froh darüber, dass es sie mittlerweile gibt, man sie sehen kann und sie nicht komplett verheimlicht werden müssen. Zumindest nicht in Deutschland.“


Nicht alle Familien sind so glücklich, wie die von Clara. Was Familien zerreißen kann und wie damit umgegangen wird – darüber schreibt Lucia Brücklmayr. Klicken Sie hier, um zum Text zu gelangen.


Im Fokus: Das Kindeswohl

In Ungarn ist die Lage da eine andere. Am 8. Juli 2021 wurde dort trotz nationaler und internationaler Kritik ein Gesetz zur Beschränkung der Information über Homo- und Transsexualität verabschiedet. Demnach sollen nun Bücher oder Filme dazu nur ab 18 Jahren zugänglich sein. Außerdem sollen Filme zu diesen Thematiken nur außerhalb der Hauptsendezeiten gezeigt werden. Zudem verbietet das Gesetz beispielsweise Bildungsprogramme oder Solidaritätsbekundungen mit homo- und transsexuellen Menschen. Die offizielle Begründung des Gesetzes ist der Schutz von Kindern. 

Das sorgt auch in Deutschland für Besorgnis. „Solche Nachrichten sind total heftig für meine Eltern“, erzählt Clara. Auch Wut, Angst und Frustration machen sich breit. Dabei ist für sie völlig egal, ob man sich als heterosexuell bezeichnet oder nicht. Daher hofft die 18-Jährige, dass auch viele andere schockiert darüber sind. „Es ist einfach gruselig, dass so etwas in der EU passieren kann.“ 

Studien legen dabei nahe, dass Clara mit ihren positiven Kindheitserfahrungen kein Einzelfall ist. 2017 analysierten Wissenschaftler:innen der Cornell Universität 79 internationale Studien zum Wohlbefinden von Kindern schwuler oder lesbischer Eltern. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass 75 dieser Studien belegten, dass es Kindern aus Regenbogenfamilien nicht schlechter geht als anderen Kindern. Die vier übrigen Studien wurden von den Wissenschaftler:innen skeptisch gesehen, da die Stichproben überwiegend aus Kindern bestanden, die unter familiären Trennungen litten. Demnach lautete das Fazit der Studie: „Diese Forschung bildet einen überwältigenden wissenschaftlichen Konsens darüber ab […], dass ein schwules oder lesbisches Elternteil den Kindern nicht schadet.“

„Die Welt retten – wenigstens so ein bisschen“

Bei Claras Eltern hat letzten Endes alles geklappt: Sie konnten ihr lange ersehntes Wunschkind bekommen, die Stiefkind-Adoption hat funktioniert. Clara ist mittlerweile 18 Jahre alt, macht eine Ausbildung und träumt davon, irgendwann eine Schule oder Akademie zu eröffnen, an der Schulabschlüsse und Ausbildungen aus anderen Ländern in Deutschland anerkannt werden. Generell ist Clara „absolut pro Welt retten“ und setzt sich für viele politische Themen ein – darunter Klimaschutz, Geflüchteten-Themen und auch Rechte der LSBTIQ+Der Überbegriff für verschiedene Orientierungen und Identitäten ist LSBT – lesbisch, schwul, bisexuell und trans*. Es gibt mehrere Varianten dieses Akronyms. Oft wir noch ein für queer oder questioning(hinterfragend) und/oder ein + angehängt. Letzteres signalisiert die Inklusion von allen Orientierungen und Identitäten. Eine weitere gängige Bezeichnung ist die englische Version LGBTQ+ (lesbian, gay, bi, trans, queer/questioning). Community. „Ich glaube, dass ich das auch von meinen Eltern habe. Diesen Tatendrang, irgendetwas Gutes zu machen. Die Welt retten, wenigstens so ein bisschen.“ So hat einer ihrer Mütter den Verein „Les Mamas“ (Lesbische Mamas) gegründet – einen Verein für lesbische Mütter mit Kinderwunsch oder mit Kindern. Claras andere Mutter hat vor einigen Jahren angefangen, ein Regenbogen-Familienzentrum in München aufzubauen.

Diesen Tatendrang, ihr Wissen und ihre Erfahrungen nutzt Clara auch in Unterhaltungen und Diskussionen im privaten Bereich zur Aufklärung: „Die meisten Leute verstehen schon mehr von meiner Situation oder gleichgeschlechtlichen Paaren, wenn sie mir einfach zuhören oder mich kennenlernen und sehen: Aus mir ist auch was geworden. Ich bin kein Sozialfall oder musste in Therapie, weil meine Eltern mich sexualisiert hätten.“

Clara ist eine soziale Person, kennt viele Leute, ist gerne unter Menschen – und ist glücklich über ihren „bunten Freundeskreis“. Generell bewegt sich die Auszubildende in einem Bekanntenkreis, in dem sie sich nicht ständig erklären muss. „Ich hatte immer sehr viel Glück, was mein Umfeld angeht. Ich schätze mich schon als jemand ein, der eine recht gute Menschenkenntnis hat.“

Sie kann daher recht schnell einschätzen, ob sie mit ihrer Geschichte sicher ist und mit wem sie etwas zu tun haben will. „Du bist von meiner Liste als Mensch für mein Leben weg, wenn du ein Problem mit meiner Situation hast. Mir ist dabei auch völlig egal, ob du das komisch findest – das bezieht sich nicht nur auf meine Eltern. Ich finde dich dann allgemein als Person nicht mehr so cool.“ Damit hält Clara bewusst Abstand zu Menschen, mit deren Werten sie sich nicht identifizieren kann. Das ist für sie nicht immer einfach. Von ihren Eltern hat sie allerdings gelernt, dass sie sich auch mit Menschen verstehen kann, mit denen sie eigentlich nichts zu tun haben sollte: „Ich weiß, dass ich eigentlich mit solchen Personen klarkommen kann, weil ich für mich irgendwie Kompromisse finden kann.“

Doch eben dieser Mittelweg fällt ihr sehr schwer, erklärt sie. Je näher ihr eine Person emotional kommt, desto weniger kann sie solche Kompromisse mit sich vereinbaren. „Bis zu Freunden kann ich das noch unterteilen und auseinanderziehen. Aber sobald es um eine richtig enge Kontaktperson oder eine Beziehung geht, keine Chance. Das könnte ich mit mir nicht vereinbaren und das will ich meinen Eltern auch nicht antun.“

Die meisten wissen mittlerweile, dass man bei bestimmten Themen nicht mit ihr diskutieren kann, erklärt die Auszubildende: 

„Wenn man mir ernsthaft ins Gesicht sagen kann: Ich finde es nicht richtig, dass zwei Frauen heiraten können – dann musst du halt erwarten, dass du dir von mir was anhören kannst, denn du stellst damit auch meine Existenz infrage.“

Clara Gerlach

Was Clara bestimmten Vorurteilen entgegnen würde, ist im Format „5 Vorurteile – 5 Antworten“ zu sehen.


Blick in die Zukunft: Wie soll es weiter gehen?

Martin Weber (Bild: Weber & Dekena Rechtsanwälte Passau)
Clara Gerlach (Bild: Annette Benner)
Markus Ulrich (Bild: Carl Kadatz via LSVD)
Martin Weber zur rechtlichen Grundlage und tatsächlichen Auslegung des Familien- und Abstammungsrechts bezogen auf Regenbogenfamilien:

„Ich denke, das Ganze wird sich erst mit einem gesellschaftlichen Wandel regeln. Erst wenn die Queerheit normal wird – und das ist sie noch nicht – erst, wenn man nicht mehr darüber reden muss und erst wenn völlig klar ist, dass das absolut normale Konstellationen sind. Erst, wenn wir nicht mehr mit Fahnen durch die Gegend laufen müssen, weil es nicht mehr notwendig ist und es sich eingebürgert hat. Erst ab dem Punkt werden wir so weit sein, dass das nach gleichen Kriterien geht. Das hat nichts mit den rechtlichen Kategorien zu tun, sondern sehr viel mit Voreingenommenheit.“

Clara Gerlach zu ihren Wünschen für die Zukunft von Regenbogenfamilien:

„Schon klar: Es entspricht nicht der Norm, nicht die Mehrzahl der Leute in der Gesellschaft sind gleichgeschlechtliche Paare mit Kinderwunsch oder bereits Kindern in der Familie. Ich wünsche mir einfach keine Nachteile für diese Familien und keine Disharmonien gegenüber anderen Familienbildern. Ich glaube einfach, dass es nicht so ein Thema sein muss. Ich wünsche mir einfach, dass es irgendwann kein Thema sein muss – dass ich nicht mehr hier sitzen, darüber erzählen und sagen muss: Hey, das ist was Normales, ich bin gut aufgewachsen, meine Eltern lieben sich, das funktioniert. Ich wünsche mir, dass das einfach irgendwann zur Normalität wird.“

Markus Ulrich dazu, was gesellschaftlich, politisch und überhaupt noch für Regenbogenfamilien passieren muss:

„Die große Frage ist im Endeffekt: Wie sieht Familie aus, wer ist Familie? Sind alle Familien gleich wert? Sind alle Kinder gleich viel wert oder diskriminiert man sie aufgrund der sexuellen Orientierung ihrer Eltern? Ich glaube, da müssen sich einfach nochmal Sachen tun, gerade auch innerhalb der Union. […] Insofern muss sich einfach tatsächlich die Erkenntnis durchsetzen, und das ist leichter gesagt als getan, dass Familie vielfältig ist und dass man im Endeffekt mit der Diskriminierung der Eltern auch den Kindern schadet.“


Endstation: Normalität von bunten Familienkonstellationen – Ankunftszeitpunkt: Ungewiss 

Auch heute noch gehören Demonstrationen wie der Christopher Street Day zu den jährlichen Highlights in Claras Leben. Wenn sie jetzt zu solchen Veranstaltungen geht, wehen immer noch bunte Flaggen durch die Luft und über den Schultern mancher Menschen. Viele tragen Kleidung in allen Farben des Regenbogens. Die Stimmung ist ausgelassen, Menschen lachen und singen und halten sich an den Händen und feiern. Heute hat sie keine Angst mehr, ihren Eltern weggenommen zu werden, wenn sie Gegendemonstrationen begegnet. Sie steht jetzt neben ihren Mamas, umringt von ihren Freund:innen und von Familie, und packt selbst mit an. „Damit es einfach irgendwann zur Normalität wird.“ 

Externe Quellen:

Bildquellen (falls nicht im Artikel anders vermerkt): Clara Gerlach

Musik im Video „5 Vorurteile, 5 Antworten“: Musicfox

Mich hat erschreckt, wie weit wir als Gesellschaft noch immer von der Gleichberechtigung verschiedener Familienkonstellationen entfernt zu sein scheinen. Die Menschen, die ich im Zuge dieser Recherche kennenlernen durfte, und die Geschichten, die sie mit mir teilten, haben mir gezeigt: Wir sind schon weit gekommen, aber noch nicht weit genug. Weit genug sind wir erst, wenn Kinder queerer Eltern Journalist:innen und Menschen generell nicht mehr erzählen müssen, wie sie aufgewachsen sind und ob sie wegen ihrer Familienkonstellation diskriminiert werden.

Leave a Comment