„Ich brauche Leute um mich, unbedingt.“

Andreas Brunner (31) und Robert Nickl (30) sind Bodybuilder und Gründer des Fitnessstudios Shredforce in Passau. Eine ihrer Stärken ist die Extraversion, was sich im besonders engen Kontakt zu ihren Kunden bemerkbar macht. Außerdem spornen sie sich damit gegenseitig immer wieder zu Höchstleistungen an.

Das Studio von Shredforce ist genauso markant wie die Gründer selbst. Im Dachgeschoss der Landwirtschaftsschule Passau, zwischen Kuheuterattrappen und angestaubten Vitrinen mit ausgestopften Greifvögeln, liegt der Arbeitsbereich von Andreas und Robert. Hier bereiten sie sich in dem rustikalen Dachboden auf Wettkämpfe vor und pushen ihre Kunden beim Training. Im Interview machen sie sich zum ersten Mal Gedanken über die eigene Extraversion.

„Man hat natürlich so ein Grundbild davon“, antwortet Robert auf die Frage, was er sich unter Extraversion vorstelle. „Aber ich habe mich noch nie wirklich damit befasst.“ Andreas hat eine etwas genauere Vorstellung davon. Der studierte Politikwissenschaftler hat schon mehrmals den Job gewechselt, bevor er sich mit Shredforce selbstständig machte. „Dadurch, dass ich in der Versicherungszeit sehr viele Seminare gemacht habe, verstehe ich das schon ein Stück weit.“

Aufmerksamkeit habe er schon immer geliebt: „Ich bin in einem Theaterverein engagiert, seit ich geboren bin, weil meine Mama Gründungsmitglied war. Von dem her wirst du ja fast dazu erzogen extrovertiert zu sein, auf Menschen zuzugehen, offen und vielleicht auch mal ein bisschen lauter als andere zu sein.“ Dass Extraversion aber genetisch bedingt und nicht Erziehungssache ist, überraschte ihn.

Andreas dominiert das Gespräch. Er erzählt ganz offen über seine bevorstehenden Flitterwochen und die Forderung seiner Freundin, in dieser Zeit mit der strikten Diät auszusetzen. Robert sitzt mit verschränkten Armen daneben. Er wirkt in sich gekehrter und lässt erst seinen Kumpel antworten.

Über die Teilnahme an Wettkämpfen sind sich beide einig. „Wir würden uns ja nicht auf die Bühne stellen und sagen ‚Hallo, ich bin der Geilste‘, wenn wir das nicht auch toll finden würden“, erklärt Robert. Die eigene Extraversion hilft ihnen dabei, sich bei Wettkämpfen vor großem Publikum zu präsentieren. Andreas macht das Thema Wettkämpfe aber auch nachdenklich. „Vielleicht kompensiert man da auch was. Ich bin ja nur 1,62m groß.“ Bei einem Wettbewerb müsse er viel Präsenz zeigen. „Aber ich bin eh immer so“, sagt er schmunzelnd.

Beste Freunde

Während des Gesprächs wird deutlich, dass die beiden mehr als nur eine Geschäftsbeziehung verbindet. Kennenglernt haben sie sich in ihrer Jugend. Dass sie den Kontakt zu Menschen genießen, zeigt sich in der Tatsache, dass beide Gruppenleiter bei den Pfadfindern waren. Nach und nach habe sich daraus eine „brutal gute Freundschaft“ entwickelt, wie Andreas bekräftigt.

„Ich glaube ich habe noch nie etwas ohne Menschen gemacht. Ich brauche Leute um mich, unbedingt. Und ich will das auch“, sagt Andreas. In seiner Jugend war er stark in der Kommunal- und Lokalpolitik engagiert. „Ich war in der JU-Bezirksvorstandschaft und auch Jugendbeiratsvorsitzender der Stadt Passau – also schon immer irgendwo in der Gemeinschaft engagiert.“ Nach seinem Studium sei er zur Versicherung gewechselt, um Menschen auszubilden, habe sich aber doch für die Selbstständigkeit mit eigenem Büro entschieden.

Foto von Lea Pfingsten

Kontaktfreudig

Während des Gesprächs bringt sich auch Robert immer mehr ein. Auch wenn er Andreas mehr Platz lässt, beschreibt er sich selbst als extrovertiert. Das neue Studio, Kooperationen und Vertragsabwicklungen mit verschiedenen Geschäftspartnern – das alles würde nicht zustande kommen, wenn Robert und Andreas nicht aktiv auf andere zugehen würden. Andreas bekräftigt den Vorteil ihrer Extraversion: „Ich denke schon, dass uns das brutal hilft, weil man dadurch wahnsinnig viele Kontakte hat. Wenn wir merken, dass wir jemand Neuen kennenlernen müssen, dann lernen wir den halt kennen. Das A und O ist, dass man eben nicht wartet bis jemand kommt.“

„Unsere Leute wollen das Zwiegespräch. Und auch wir wollen den Kontakt. Und da sieht man echt diese Verbindlichkeit und das ist toll“, erzählt Andreas. „Ich würde sterben, wenn ich nur vor dem PC sitzen müsste“, sagt er. Wenn er nicht trainiere, stehe er meistens irgendwo auf der Fläche und helfe jemandem.

Er scheint das Wort ‚Ruhe‘ aus seinem Wortschatz gestrichen zu haben. Vor Wettkämpfen geht er mit “brutalen Diäten“ und „brutalem Verzicht“ an seine körperlichen Grenzen. Andreas beschreibt das als Kampf gegen sich selbst, denn er suche gerne die Herausforderungen mit sich.

„Also 2011 war ich fett. Und meine Freundin hat zu mir gesagt ‚Na, du kriegst auch schon einen Beziehungsbauch.‘ Plötzlich wurde es mir total klar, dass ich wirklich überhaupt nicht mehr auf mich schaue.“, erzählt der 31-Jährige weiter. Toll habe er sich trotzdem schon immer gefunden, aber dazu sagt er: “Man hat ja ein verzerrtes Selbstbild. Ich habe dann festgestellt, scheiße, du bist gar nicht toll.“ Da er scheinbar nur in Extremen denkt, wollte er nicht nur abnehmen sondern auch ein Foto von sich mit dem Körper eines Bodybuilders haben. Solche hängen jetzt von beiden an einer Pinnwand neben der Theke.

Hang zur Selbstdarstellung

Über den Hang zur Selbstdarstellung berichtet auch Robert: „Ich habe jetzt vor Kurzem ein Fotoshooting gemacht, wie ich nach dem Wettkampf ausgeschaut habe und habe das bei Facebook hochgeladen. Da war innerhalb von kürzester Zeit Resonanz, die war sehr positiv.“ Ihn pusht das. Als Grund nennt er die Tatsache, dass er sich durch das Training und sein Erscheinungsbild von anderen abhebe. Etwas ironisch fügt er noch hinzu: „Ich glaube, das stellen wir eben gerne zu Schau. Deswegen ziehen wir uns halt auch ständig aus. Das steigert das Selbstwertgefühl definitiv.“

Während sich Andreas rund um die Uhr um Shredforce kümmert, arbeitet Robert nebenbei noch als Unternehmensberater. Ein Job, bei dem er sich immer wieder aufs Neue beweisen muss: „Da kommst du in eine Firma rein und sagst ‚Freunde des Lichts: Jetzt wird so getanzt, wie ich das sage, weil ihr schafft es nicht.‘ Da muss man wirklich ein Auftreten haben – dabei hilft natürlich auch der Anzug.“

Andreas merkt an, dass er sich zwar als extrovertiert einschätzen würde, es für ihn aber auch dazugehöre, ein bisschen Empathie für das Gegenüber zu entwickeln. Für ihn ist das etwas, dass ganz automatisch passieren würde. Er mache sich viel weniger Gedanken über seine Persönlichkeitseigenschaft, als es ein Introvertierter tun würde. Vielleicht weil er mit seiner einnehmenden Art sofort den Gesprächspartner mitreißt und keinen Zweifel an seiner Außenwirkung hat.

Unsicher war er bisher nur bei seinem ersten Bodybuilding-Wettkampf: „Ich muss ehrlich sagen, ich wollte nicht auf die Bühne. Obwohl ich Theater spiele, hatte ich tierisch Angst. Ich habe mir gedacht:  ‚Wie asslig ist das denn? Du stehst jetzt auf der Bühne und ziehst dich aus, um dich zu zeigen. Du zeigst einfach nur nackte Haut.‘“ Bis er auf der Bühne gestanden sei.  „Dann war es einfach nur geil. Und jetzt möchte ich gar nicht ans Aufhören denken, im Gegenteil.“ Er wirkt euphorisch als er davon erzählt. Für das nächste Jahr habe er bereits die Teilnahme an zehn Wettbewerben geplant.

Foto von Christina Grünewald

Zusammenleben

Auf die Frage hin, was für einen Mehrwert Introvertierte für die Gesellschaft hätten, antwortet Robert grinsend: „Wenn es nur Extrovertierte geben würde, was wäre das denn für eine Steigerung? Das geht doch irgendwann ins Perverse.“ Andreas glaubt, dass es für eine gut funktionierende Gesellschaft beides brauche: sowohl extro- als auch introvertierte Menschen. „Ich glaube der Introvertierte braucht den Extrovertierten, damit der rausrennt und dessen Ideen verbreitet. Genauso aber braucht der Extrovertierte den Introvertierten, der eben mal mehr überlegt und vielleicht ein bisschen mehr abwägt und den anderen auch wieder runterholt.“

Im Privaten hat Andreas diesen Ausgleich gefunden. Seine Partnerin achtet und akzeptiert seine Extraversion. „Meine Freundin zum Beispiel ist jetzt nicht wirklich introvertiert, aber sie ist auch nicht unbedingt eine Rampensau.“ Vor allem wenn die beiden unterwegs sind, sei das von Vorteil, denn so müsse nicht jeder der beiden ständig um Aufmerksamkeit buhlen. „Sie nimmt sich da schon automatisch zurück und das ist auch gut so. Wir battlen uns da nicht“, fügt er hinzu. Robert entgegnet darauf nur: “Das wäre echt Horror.“

Christina Grünewald und Lea Pfingsten

Christina mag Avocados. Lea bastelt gerne. Also ganz klar: Wir beschäftigen uns mit Introversion. Hä? Wer lacht am lautesten? Wir! Sind wir trotzdem intro? Ja! 24/7 haben wir uns mit allen Formen der Intro- und Extraversion beschäftigt, zwecks der Produktivität sind wir glatt zusammengezogen. Für unsere tägliche Dosis Ruhe sind wir auch brav immer früh schlafen gegangen und haben die anderen im Newsroom abends alleine gelassen. Außer jetzt gerade. 21:52 Uhr im ZMK – „Intro oder Extro?“ , das ist hier die Frage. #haiphappenuhaha #quelltext

[ssba]

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert