Der Pflegeberuf ist ein fest integrierter Bestandteil unserer Gesellschaft. Doch die physische Nähe zu den Patienten ist nicht das Einzige, womit sich Pflegekräfte tagtäglich auseinandersetzen müssen.
Hamburg. Laute Musik dröhnt aus dem parkenden Auto. Tränen strömen über ihr Gesicht. Sie ist aufgewühlt und braucht einen Moment allein, um das, was gerade passiert ist, verarbeiten zu können. Distanz gewinnen. Abstand nehmen. Dann startet sie den Motor und fährt weiter zum nächsten Haus. Hier heißt es nun für sie: Lächeln und das zur Seite schieben, was gerade passiert ist. Denn in diesen vier Wänden wartet eine andere Geschichte, die nicht von der, die sich zuvor ereignet hat, überschattet werden darf.
Aus dem Auto steigt Laura Starkgraff. Sie ist 28 Jahre alt und arbeitet in der Pflege seit sie 17 ist. Nach siebeneinhalb Jahren hat sie sich dazu entschieden, sich zur Palliativfachkraft weiterzubilden. Das bedeutet, Menschen auf ihrem Weg zum Tod zu begleiten. Doch wie schafft sie es, den Menschen die Nähe zu geben, die sie brauchen und doch gleichzeitig eine gewisse Distanz zu ihnen zu wahren?
Hier ist es wichtig, dass jeder für sich selbst herausfindet, wie viel Nähe er zulassen kann, aber auch, wie viel Distanz er braucht. Um diese Balance zu halten, hat es Laura geholfen, sich zu fragen, warum genau ihr etwas zu nahe ging. Das Motto, nach dem sie lebt, ist: Mitfühlen, aber nicht mitleiden! Denn der Grat zwischen „Ich lasse mich darauf ein und ich wahre meine eigenen Grenzen“ ist bei diesem Thema sehr schmal. Um ihre Professionalität zu wahren, ist für sie Kommunikation eine wichtige Voraussetzung, genauso wie die Fähigkeit, ehrlich zu sich selbst sein zu können. Dazu gehört auch, sich eingestehen zu können, dass jeder von uns am Ende des Tages auch nur ein Mensch ist. Und dass diese Einstellung immer wieder gelebt werden muss. Jeden Tag.
Laura Starkgraff
„Mit Menschen zu arbeiten bedeutet immer Nähe-Distanz. Diese professionelle Nähe und Distanz ist sich hingeben, sich auf den Menschen einlassen. Das ist ernorm wichtig. Aber auch innerlich zu wissen: Ich habe eine Grenze.“
Sonja von der Diakonie Wuppertal ist 21 Jahre alt und steht noch am Anfang ihres Berufslebens. Aber schon im dritten Ausbildungsjahr weiß sie: Es lässt sich in ihrem Beruf nicht vermeiden, eine Beziehung zu den Bewohnern aufzubauen, die sie tagtäglich betreut.
Sonja, Diakonie Wuppertal
„In gewissen Punkten fällt es mir schwer, diese Distanz zu wahren, vor allem, wenn es einem Bewohner schlecht geht oder er schon länger da ist. Natürlich muss man dann auch damit umgehen können, wenn der Bewohner verstirbt. Am Anfang meiner Ausbildung ist mir das noch sehr schwergefallen, aber mir hilft es, wenn ich daran denke, dass der Bewohner in der Regel ziemlich alt geworden ist und sein Leben gelebt hat“.
Dieser Umgang ist auch Teil von Sonjas Ausbildung. Gleich zu Beginn wird dort das Thema „Nähe und Distanz“ aufgegriffen. Der Arbeitsblock- sowie der darauffolgende Schulblock thematisieren diese Aspekte und bieten Unterstützungsmöglichkeiten. Doch oftmals verschwimmt die unsichtbare Grenze zwischen Nähe und Distanz bei der Arbeit. Sonja erinnert sich an eine Patientin, die sie als „ihr Mädchen“ bezeichnete und sie wie ihre eigene Enkeltochter behandelte. Sonja spielte dieses Spiel mit. Die Patientin war dement und Sonja wusste aus ihrer Akte, dass sie selbst nie Kinder hatte. Sie hat sich in die Welt der Patientin hineinversetzt und gleichzeitig versucht, die Situation nicht zu sehr an sich herankommen zu lassen. Das war deshalb möglich, weil es zu Sonjas Alltag dazugehört. Bewohner sterben, Schicksalsschlag reiht sich an Schicksalsschlag und sie härtet mit der Zeit immer ein kleines bisschen mehr ab.
Domenica Wasko, Leiterin des sozial begleitenden Dienstes der Diakonie Wuppertal, tritt durch die Tür ihres Büros und atmet erleichtert aus. Sie macht all das, wofür die Pflegekräfte keine Zeit haben: Den Alltag der Patienten planen, ihre Freizeit gestalten und sich einfach mal Zeit für sie nehmen. Ihr Beruf hat nicht direkt mit Pflege zu tun, sondern ist eine Ergänzung dazu. Doch auch sie weiß um das Dilemma Nähe und Distanz in ihrem Beruf. Das „Pokerface“, wie sie es nennt, ist die Maske, die sie während der Arbeit mit ihren Patienten trägt. Stress oder jegliche andere negative Emotion, die die Patienten sofort spüren könnten, versucht sie damit zu unterdrücken. Stattdessen ersetzt sie diese durch ein Lächeln und gute Laune. Das ist ihr Umgang mit Nähe und Distanz. Eine Art Schauspielleistung.
Domenica Wasko, Diakonie Wuppertal
„Ich werde in 10 Jahren extreme Falten um meine Augen haben. Das ist das Pokerface, was man dann aufsetzt. Ich vergleich das immer mit Tänzern. Wenn die auf der Bühne sind, wirken die ja auch immer total entspannt und man schaut sich das gerne an. Man denkt sich: Das sieht ja gar nicht nach Arbeit aus! Aber was dann im Hintergrund alles passiert, das sieht keiner, weiß keiner und soll ja auch keiner sehen.“
„Man muss Grenzen setzen!“, sagt Domenica Wasko bestimmt. Das schafft sie, indem sie ihren Patienten nicht so viel Privates erzählt. „Das ist auch noch so ein Schutzmechanismus, den ich habe, wenn die Bewohner mich noch nicht so gut kennen. Ich muss sie ja kennen, das ist meine Aufgabe, aber wenn sie mich nicht kennen, dann bleibt das trotzdem noch ein bisschen professionell. Klar fragen sie mich, ob ich verheiratet bin, ob ich Kinder habe, welches Sternzeichen ich bin. Sachen, die ich erzählen kann.“ Was dabei das richtige Maß an Information ist, das muss jeder für sich selbst entscheiden. Jedoch ist Domenica Wasko der Meinung, „umso weniger die Patienten von mir selbst wissen, umso mehr kann ich das auf einer Arbeitsebene halten.“
Das richtige Maß an Distanz ist also gefragt. Doch wie ist das möglich, wenn die Pflegekraft zum Teil mit den intimsten Bereichen der Patienten in Berührung kommt und dabei eine Beziehung zu ihnen aufbaut, die mit Emotionen verbunden ist? Das richtige Maß an Distanz schützt beide Seiten: Die Pflegekraft und den Patienten. Ist die Distanz zu groß, spricht man von einer „kalten“ Beziehung. Dadurch kann die Betreuung beeinträchtigt werden. Es kann aber auch sein, dass zu viel Nähe dazu führt, dass die Pflegekraft sich zu sehr engagiert, was sich wiederum in Form von Stress und Erschöpfung auf ihre Gesundheit und auf den Patienten auswirken kann. Die richtige Distanz ist somit von zwei Faktoren abhängig: Von der Haltung der Pflegekraft und der des zu betreuenden Patienten. Dabei kann die Beziehung zwischen den beiden von verschiedenen Faktoren beeinflusst werden: Mentalität, Lebenserfahrungen, Gewohnheiten und persönliche Grenzen der beiden Personen sowie durch das Umfeld.
Wenn das Schicksal der anderen dein eigenes sein könnte
Seine Grenzen zu kennen und sie bewusst zu setzen, ist wichtig. Manchmal gibt es aber Situationen, in denen das Einhalten dieser Grenzen unmöglich ist. Doch wie verhalten Pflegekräfte sich in so einem Fall? In solchen Momenten heißt es: Mensch sein. Dazu gehört, Emotionen zulassen zu können. Tränen nicht zurückzuhalten. Denn es gibt Geschichten, die sie so sehr an die eigenen erinnern, dass sie plötzlich viel mehr Nähe den Patienten gegenüber verspüren, als vielleicht gut wäre. So ging es auch Laura Starkgraff.
„Da habe ich zum allerersten Mal richtig vor diesen beiden Schwestern geweint. So ist das. Dann haben wir miteinander geweint. “
Für Laura ist es schwer, diese Grenze immer zu wahren. Auf der einen Seite möchte sie mitfühlend sein und den Patienten wissen lassen, dass sie für ihn da ist, auf der anderen Seite versucht sie jedoch, eine gewisse Stabilität beizubehalten. „Es ist wirklich schwer, diese Grenze zu wahren, wirklich einen Umgang damit zu finden, mich aber dennoch voll darauf einzulassen. Und wenn mir manchmal die Tränen kommen, dann ist das halt so. Dann sag ich: Das berührt mich. Ich bin ein Mensch und da gehört es auch dazu, Gefühle zuzulassen.“
Aber Laura weiß auch, dass sie einen Abschluss finden muss, wenn sie ihren Arbeitsplatz verlässt. Es einfach zu lassen. Das bedeutet nicht, dass das Geschehene nicht doch hin und wieder ihre Gedanken kreuzt und sie darüber nachdenkt. Wichtig in dem Fall ist dann, sich selbst zu sagen: Ich brauche Distanz.
„Dieser „Ich habe alles getan“ Gedanke. In Alten- und Pflegeheimen haben die Leute, gerade wenn sie unterbesetzt sind, das Gefühl, dass sie nicht alles getan haben und gehen mit einem schlechten Gefühl nach Hause.“ Besonders hier spielt in Lauras Augen das Nähe-Distanz Thema eine wichtige Rolle. „Die Nähe, ich will so viel geben und machen und tun, habe es aber meiner Meinung nach nicht geschafft und schaffe deshalb nicht die Distanz von meiner Arbeit in mein Privatleben. Viele tragen das mit, die fühlen sich schlecht. Es ist wichtig, dass ich schaue, dass ich für mich einen Abschluss finde, wenn ich durch die Tür der Klinik oder des Altenheims gehe.“
Corona – Nähe auf Abstand
Distanz entsteht aber auch durch den Mund-Nasenschutz, den jeder seit Ausbruch der Corona-Pandemie tragen muss. Er fühlt sich fremd an auf Lauras Gesicht. Normalerweise lebt ihr Arbeitstag von Emotionen und davon, die Mimik ihres Gegenübers lesen zu können. Doch wegen der Maske fällt das weg. Statt Emotionalität spürt sie Distanz. Doch sie und auch Domenica Wasko haben einen Weg gefunden, trotz fehlender Mimik eine Nähe zu ihren Patienten aufzubauen. Der Ausdruck der Augen. Damit haben sie eine Bindung und Vertrauen zu den Patienten aufgebaut. Lauras und auch Domenica Waskos Augen lächeln stellvertretend für ihren hinter der Maske versteckten Mund – ihr Versuch, die fehlende physische Nähe, zur der normalerweise das Händeschütteln und Umarmungen gehören, zu kompensieren. „Für jemanden da sein und Nähe vermitteln, ohne Nähe, das kann man auch rüberbringen. Es ist natürlich schwierig, weil man nicht lächeln kann oder was auch immer. Man muss alles mit den Augen machen.“
Professionelle Nähe findet aber nicht nur emotional, sondern auch körperlich statt. Sie lebt von Berührungen. Doch auf einmal fiel dieser Aspekt von heute auf morgen weg. Das Pflegepersonal musste Schutzkleidung, Mund- und Nasenschutz und Handschuhe tragen. Berührungen wurden zur Seltenheit. Besuche von Familien und Freunden blieben aus. Die logische Folge: Die Patienten versuchten ihre Einsamkeit mit Hilfe der Pflegekräfte auszufüllen. Sonja erinnert sich, dass ihre Patienten viel mehr als sonst das Gespräch zu ihr gesucht haben und sie so lange wie nur möglich in ihrem Zimmer behalten wollten. Auch Domenica Wasko ist aufgefallen, dass die Bewohner im Laufe der Pandemie immer angespannter wurden. Jede noch so unbedeutend scheinende Kleinigkeit wühlte sie auf und sie reagierten deutlich emotionaler als zuvor. Auch ihr fiel es schwer, den vorgeschriebenen Abstand zu wahren, doch die Hände ihrer Patienten zu halten ließ sie sich trotz alledem nicht nehmen. Jedoch schafft nicht nur die Corona-Pandemie eine angespannte Atmosphäre, sondern auch das allgegenwärtige Thema Tod.
Pflege als Caring-Disziplin
Gabl, Küpper und Pöhner der Universität Wien haben sich in ihrem Artikel „Nähe auf Distanz“ mit dem Beruf Pflege während der Corona-Pandemie auseinandergesetzt. „Pfelge ist eine Caring-Disziplin und somit eine fürsorgliche Aufgabe, die sich erst durch in Beziehung treten mit Anderen etabliert“. Caring ist ein kontextbezogener und persönlicher Prozess, der durch das pfelgerische Tun, eine zwischenmenschliche Sensitivität und eine intime Beziehung charakterisiert ist. Die zwischenmenschliche Sensitivität ist die Grundlage des Caring Prozesses. Sie erfordert neben der physischen und emotionalen Präsenz der Pflegekräfte auch aktives Zuhören, Blickkontakt, Berührungen und Gespräche. Das alles bietet die Basis für eine intime Beziehung.
Zwischenmenschliche Interaktion
Kommunikation ist eine Form der menschlichen Interaktion. Sie setzt sich aus verbalen Äußerungen und nonverbalen Signalen zusammen. Dazu zählen Mimik, Blickverhalten, Gestik, Bewegung, Haltung, Berührung, das Verhalten im Raum, das individuelle Erscheinungsbild, lautliche Äußerungen sowie der Geruch. Ein weiterer wichtiger Aspekt der zwischenmenschlichen Interaktion ist der Umgang mit den Gefühlen. Bewusste und unbewusste Emotionen können den Kommunikationsprozess beeinflussen. Stress, Ängste und Ungewissheit wirken sich negativ auf den Beziehungsaufbau aus. Aber auch Zeitmangel kann neben den Gefühlen die Interaktion negativ beeinflussen. Dadurch, dass die zeitlichen Ressourcen des Pflegepersonals oftmals begrenzt sind, werden Gespräche auf ein Minimum reduziert, was wiederum dazu führt, dass der Beziehungsaufbau zwischen Patienten und Pflegekräften nur bedingt möglich ist.
Pflegealltag während der Corona-Pandemie
Der Ausbruch der Coronakrise brachte neue Vorschriften im Umgang mit den Betroffenen mit sich. Betroffene sollten, wenn möglich, in Einzelzimmern untergebracht werden. Die Pflegekräfte durften das Zimmer nur mit Schutzausrüstung, also Haube, Maske, Brille, Kittel und Handschuhen betreten. Auch wenn diese Isolationsmaßnahmen notwendig waren, erschwerten sie die pflegerischen Tätigkeiten enorm. Die Bedürfnisse der Patienten nach Austausch, Nähe und Zuwendung konnten nur in einem geringen Maß gestillt werden. Aber auch die Kommunikation wird durch die Isolations- und Schutzmaßnahmen erheblich eingeschränkt. Die Schutzkleidung, die das Pflegepersonal tragen muss, verbirgt ihre Gesichter und Körper größtenteils. Dadurch können der Gesichtsausdruck, Lippen- sowie Körperbewegungen nur schwer erkannt werden. Ebenso bleiben Berührungen fast vollständig aus. Die Schutzmaßnahmen tragen dazu bei, dass Gefühle der Fremdheit, Bedrohung und Distanz vermittelt werden.
Die Caring-Disziplin im Konflikt mit dem Corona Virus
Die Covid-19-Maßnahmen haben den bisher selbstverständlichen und gewohnten Umgang mit den Betroffenen eingeschränkt. Die Pflege als eine fürsorgende Caring Aufgabe steht im Konflikt mit der Eindämmung des Virus. „Der schmale Grad zwischen so viel Interaktion, dass professionelle Pflege stattfinden kann und so wenig, dass das Ansteckungsrisiko weitestgehend reduziert wird, stellt eine wesentliche Herausforderung des Arbeitsalltags von Pflegenden in Zeiten der Corona-Krise dar.“
Tabuthema: Der Tod
Endstation. Das ist das Erste, was einem in den Sinn kommt, wenn man die Wörter „Altenheim“ und „Hospiz“ hört. Domenica Wasko hat eigens dafür Glaubenssätze. Beispielsweise sagt sie sich, dass es besser für den Bewohner war, weil er sterben wollte oder er so krank war, dass er regelrecht auf den Tod gewartet hat. Denn sie weiß, dass niemand im Altenheim ist, weil es ihm dort so gut gefällt. Doch Laura sieht das ein bisschen anders. Bevor sie zur ambulanten Palliativpflege gewechselt ist, hat sie im Hospiz gearbeitet. An jenem dunklen Ort, wie viele es sehen. Lachen? Dafür ist hier kein Platz, denken viele. Fehlanzeige. Gerade hier spielt das Thema „Nähe“ eine entscheidende Rolle. Denn es ist eben nicht nur traurig, sondern das Gegenteil ist der Fall. Für Laura gibt es hier nichts Wichtigeres, als das gemeinsame Lachen mit Patienten.
„Dass man mal einen Scherz macht, lockert das Ganze auf. Es dreht sich nicht nur um die Krankheit, sondern man sieht den Menschen ganzheitlich und da gehört Nähe mit Humor und Anekdoten auch dazu.“
Um mit dem Tod von Patienten umzugehen, haben sowohl Laura Starkgraff als auch Domenica Wasko ihre ganz eigenen Rituale. In dem Hospiz, für das Laura vorher gearbeitet hatte, wurde alle zwei Wochen im sogenannten Raum der Stille eine Art Gottesdienst zelebriert. Eine Pflegekraft aus jedem Team bereitete dafür etwas vor, zum Beispiel eine Geschichte. Außerdem wurde für jeden Patienten, der innerhalb dieser zwei Wochen verstorben ist, eine Kerze angezündet und noch einmal an die Person gedacht.
„Da wurde einem bewusst, wie viele manchmal innerhalb von zwei Wochen sterben können. Dieses Bewusstwerden… Aber du nimmst auch nochmal bewusst Abschied.
Auch Domenica Waskos Team hat als Abschiedsritual eine Art Gottesdienst. Eine Abschiedsfeier für die Mitarbeiter im Bewohnerzimmer des Verstorbenen. Jeder der möchte, kann hier Abschied nehmen. Doch anstatt direkt danach wieder ihrer Arbeit nachzugehen, setzt sich das Team noch einmal zusammen. Zeit, zu reflektieren und Dinge zu verarbeiten, um sie nicht mit nach Hause zu nehmen. Manchmal reichen fünf Minuten, in anderen Fällen kann es auch länger dauern.
„Ich habe über die Jahre gelernt, dass der Tod zum Leben dazugehört und dass das Leben bis zum letzten Atemzug ein Geschenk ist, ein Privileg“, sagt Laura und erzählt, dass sie sich immer vor Augen hält, was sie ihren Patienten auf dem Weg in den Tod noch mitgeben kann. Sie selbst ist daran auch sehr gewachsen.
„Denn wenn dir bewusst wird, dass dein Leben jederzeit vorbei sein kann, fängst du an, ein bisschen anders zu leben, zu denken und zu fühlen. Du riskierst dann auch mal was. Ich sage mir: Das Leben ist ein Geschenk, es ist dein jetziges Leben und das, was du daraus machst.“
Nicht nur in Pfelgeberufen haben Mitarbeiter:innen mit dem Thema Tod zu tun. Doch wie geht jemand mit dem Tod, der für ihn etwas ganz Alltägliches ist, um? Das erzählt Tamina in ihrer Reportage.
Der Umgang mit professioneller Nähe
Emotionale sowie körperliche Nähe, Zeitdruck, pflegebedürftige, demente oder sterbende Patienten – das alles sind die Herausforderungen, denen sich eine Pflegekraft tagtäglich stellen muss. Da ist es wichtig, an sich selbst zu arbeiten. Durch die psychologische Ausbildung, die Laura durchlaufen hat, ist sie darauf gut vorbereitet.
„Wenn du so vielen Emotionen ausgesetzt bist, ist es enorm wichtig, dich da wieder herausnehmen zu können, die Distanz zu wahren. Dich abzugrenzen, ohne komplett unnahbar zu sein. Das ist immer so ein Spiel, weil du auf der einen Seite offen, aber auf der anderen Seite trotzdem geschützt bleiben musst. Das habe ich während meiner Ausbildung gelernt und auch, dass ich immer wieder an mir selbst arbeite. Auch, wenn ich ein Thema habe, das mir super nahe ging oder das ich nicht verarbeitet habe, dann hole ich mir auch Hilfe. Dann spreche ich mit jemandem darüber.“
Hier weiß Laura, dass sie sich immer an ihr Team und ihre Chefin wenden kann. Aber auch Menschen aus ihrem privaten Umfeld, ihre Eltern und gute Freunde, unterstützen Laura dabei, über ihre Gefühle zu sprechen. Ihre Hündin Vivi, mit der sie lange Spaziergänge in der Natur unternimmt, schafft diese Unterstützung sogar ganz ohne Worte. Und wenn Laura das Gefühl hat, dass das alles nicht hilft, sucht sie sich professionelle Hilfe, im Sinne einer Supervision. Was das genau ist und wie die Supervision dazu beitragen kann, mit dieser professionellen Nähe besser umgehen zu können, das erklärt Supervisorin Sina Vogt im Podcast Wohlfühlzonen.
Im Podcast: Supervisorin Sina Vogt
Nach all den Bewältigungsstrategien, die Laura, Domenica Wasko und Sonja anwenden, bleibt abschließend die eine zentrale Frage: Wie schafft man es, in Berufsfeldern, in denen es wichtig ist, eine Beziehung zu seinen Patienten herzustellen, mit Nähe und Distanz ausgeglichen umzugehen? Den einen Universaltipp gibt es nicht. Allerdings hat Laura einen guten Ratschlag:
„Ein wichtiger Punkt ist auch, dass jeder mit Distanz anders umgeht und was anderes braucht. Es heißt nicht, meins ist richtig und deins ist falsch, sondern jeder hat seine eigene Art und Weise, damit umzugehen und findet dadurch sich selbst. Finde das, was dir gut tut.“
Quellen
- Supervision: Was ist Supervision? Bedeutung, Funktion und Ziele einer Supervision | karriere.SN.at
- Distanz: Die richtige Distanz zwischen Pflegenden und betreuten Personen | redcross-edu Blog – Wissen fürs Leben
- Detached Concern: Gute_Pflege_braucht_Naehe_und_Distanz.pdf (praxis60plus.ch), Lampert, B. (2011). Detached Concern: eine emotionsregulierende Bewältigungsstrategie in der Altenpflege. Lengerich: Pabst Science Publishers. Erschienen in der Reihe Beiträge zur Arbeitspsychologie
- Gabel, K., Küpper, A. & Pöhner, J. (2021). Nähe auf Distanz. Pflege als Caring-Disziplin in Zeiten der Covid-19-Pandemie.