Internationale Studierende, die während der Corona-Pandemie für ein Studium nach Deutschland gekommen sind, wurden mit vielen Schwierigkeiten konfrontiert. Diese Probleme reichten von Einsamkeit bis hin zu finanziellen Sorgen.
„Es war verrückt.“ So beschreibt Joaquín das vergangene Wintersemester. Ein wenig ist ihm die Verzweiflung immer noch anzusehen, während er davon erzählt, wie er die zweite Welle der Corona-Pandemie verbracht hat. Schon seine Anreise nach Deutschland bezeichnet er als Odyssee. Darauf folgten finanzielle Sorgen, Einsamkeit und die permanente Angst, sich bei dem Versuch, weniger allein zu sein, mit dem Virus anzustecken.
Der 22-jährige Argentinier ist einer von 330.000 internationalen Studierenden, die sich laut einer Umfrage des „Deutschen Akademischen Austauschdienstes“ (DAAD) im Wintersemester 2020/21 durch die Pandemie nicht von einem Studium in Deutschland abhalten ließen. Sie gingen das Risiko ein, ein Auslandsstudium zu absolvieren, das aufgrund der Corona-Sicherheitsmaßnahmen wie dem Online-Unterricht und dem einzuhaltenden Abstand zu anderen Personen durch noch größere Distanz der Studierenden zu ihrer Gast-Universität gekennzeichnet ist, als normalerweise etwa durch Sprachbarrieren bestehen würde.
Zwar liegt die Zahl von internationalen Studierenden etwas über der des Vorjahres, allerdings war die Anzahl der internationalen Gast- und Austauschstudierenden um mehr als 50 Prozent geringer als vor der Pandemie. Auch an der Universität Passau, an welcher der Kulturwirtschafts-Student Joaquín seit September 2020 ein Auslandsjahr absolviert, war die Zahl an ankommenden internationalen Studierenden im Wintersemester geringer als zuvor, wie Luise Haack vom Akademischen Auslandsamt der Universität bestätigt.
Psychische Belastung
Von sechs Studierenden seiner Heimatuniversität in Buenos Aires, die ursprünglich an dem Austauschprogramm teilnehmen wollten, ist Joaquín der Einzige, der tatsächlich nach Deutschland gekommen ist. „Ich wusste, es würde anders sein, das Studentenleben ohne Campus, es würde schwieriger werden, andere Studierende kennenzulernen. Aber ich dachte, dass es sich dennoch lohnt“, begründet Joaquín seinen Entschluss, das Auslandsjahr nicht zu verschieben oder abzusagen, obwohl schon die Anreise für kurze Zeit unmöglich schien. Sein Flug von Buenos Aires nach München wurde fünf Mal abgesagt, was ihm tagelang große Sorgen bereitete: „Jeden Morgen war es die gleiche Geschichte: Dein Abflug ist abgesagt, weil Argentinien ein Risikogebiet ist. Ich dachte: Wie kann ich nach Deutschland kommen, wenn ich keinen Flug habe?“
Heute sieht er seine Entscheidung, in Deutschland zu studieren, kritisch. Der Grund für diese Einstellung sind seine Erlebnisse im Winter. Vier Monate verbrachte er fast ausschließlich allein in seiner Ein-Zimmer-Wohnung. Durch den Online-Unterricht, die Corona-Sicherheitsmaßnahmen und die Angst, an Corona zu erkranken, fiel es ihm schwer, andere Studierende kennenzulernen: „Wenn ich jemanden kennenlernen konnte, blieb immer die Frage: Werde ich COVID bekommen? Kann ich das wirklich machen ohne Risiko? Das war sehr anstrengend, weil ich es brauche, mich mit anderen Menschen zu treffen.“ Ein anderer Erasmus-Student erkrankte in dieser Zeit tatsächlich an Corona. Obwohl Joaquín kaum mit den übrigen Studierenden in Kontakt kam, versetzte ihn das in Panik. „Es war so eine lange Kette von Leuten, die sich verabredet haben. Ich habe ihn nicht getroffen, aber ich habe jemanden getroffen, der ihn getroffen hat.“
Zusätzlich hielt ihn seine Verwirrung über die Corona-Sicherheitsmaßnahmen davon ab, die Distanz zu anderen Menschen zu überwinden. Ihm fiel es schwer, die richtigen Kanäle zu finden, um sich über die geltenden Maßnahmen zu informieren. In einer WhatsApp-Gruppe tauschten sich zwar alle Erasmus-Studierenden und auch einige ihrer deutschen Kommiliton:innen darüber aus, jedoch teilten diese auch widersprüchliche Informationen. „Jemand sagt: Ich glaube, morgen können wir uns treffen. Jemand anderer sagt: Nein, das ist nicht erlaubt. Ein dritter meint: Ich denke schon, aber nur zu fünft“, beschreibt Joaquín leicht verärgert die Diskussionen. Auch von der Universität wurde er, wie alle Studierenden, durch E-Mails über die Maßnahmen informiert. Allerdings konnte er häufig nicht verstehen, welche davon auf die Infektionslage in Passau zutrafen.
Die Bestimmung zum Tragen von FFP2-Masken fasste er vollkommen falsch auf, als sie im Januar eingeführt wurde. „Ich wusste nicht, dass sie nur für Verkehrsmittel galt, ich dachte, dass ich auf der Straße diese FFP2-Maske haben sollte. Und ich hatte keine.“ Im Glauben, ohne die Maske nicht auf die Straße gehen zu können, blieb er drei Tage lang in seiner Wohnung. Schließlich klärten ihn einige Kommiliton:innen über die tatsächlichen Regelungen auf. Er seufzt, als er an diese Zeit zurückdenkt. Es ist sichtbar, wie frustrierend und belastend sie für ihn war.
So wie Joaquín geht es vielen internationalen Studierenden immer noch. Die psychische Belastung ist laut Luise Haack einer der Hauptgründe, aus denen Studierende das Akademische Auslandsamt der Universität Passau um Unterstützung bitten. Besonders intensiv mit den psychischen Problemen internationaler Studierender beschäftigt sich Maia Kober. Die Psychologin arbeitet in der Beratungsstelle der Universität Potsdam und betreut internationale Studierende, die Hilfe suchen. Sie bestätigt, dass die Nachfrage nach Betreuungsterminen seit Beginn der Pandemie stark angestiegen ist und auch weiterhin nicht nachlässt. „40 bis 50 Prozent Anstieg beobachten wir“, beschreibt sie die Veränderung der Anzahl an Anfragen, die an die Beratungsstelle gestellt werden. Einsamkeit, wie Joaquín sie erlebt hat, ist jedoch nicht nur für internationale Studierende ein Grund, Kobers Beratung in Anspruch zu nehmen. Dieses Problem bemerkt sie genauso bei deutschen Studierenden, die ihre Heimatstadt verlassen haben.
Finanzielle Sorgen
„Viel häufiger bei internationalen Studierenden zu beobachten sind existentielle Probleme: Die Jobsuche, die Finanzierung des Studiums“, nennt die Psychologin die Anliegen, mit denen ausländische Studierende zu ihr kommen. Auch ihr Heimweh ist meist viel größer als das ihrer deutschen Kommiliton:innen, weil sie weniger oft nach Hause reisen können. Durch den Lockdown, der für viele in der Gastronomie arbeitende Studierende den Verlust des Arbeitsplatzes bedeutete, und die Reisebeschränkungen wurden beide Probleme während der Pandemie zusätzlich verstärkt.
Im Podcast erzählt Maia Kober von den Schwierigkeiten und psychischen Problemen internationaler Studierender sowie von den Auswirkungen der Pandemie auf ihre Arbeit.
Im Podcast: Psychologin Maia Kober
Joaquín wurde im Winter ebenfalls mit finanziellen Schwierigkeiten konfrontiert, allerdings nicht durch den Verlust seiner Arbeit. Als während des Lockdowns im Februar in Passau Banken geschlossen waren, konnte er Geld in argentinischer Währung nicht mehr in Euro wechseln. Das war erst in einer Bank in München möglich, doch der Weg dorthin brachte die Angst mit sich, wegen Missachtung der Corona-Sicherheitsmaßnahmen von der Polizei angehalten zu werden. „Wenn mich jemand fragt: Was machst du hier? Hast du einen guten Grund, um nach München zu fahren? Ich dachte: Ich habe kein Geld, aber es gibt keinen Schein, es ist kein gesetzlicher Grund“, beschreibt er seine Sorgen. Aufgeregt und hektisch erzählt er davon. Es wird deutlich, wie großen Stress diese Probleme verursachten.
Um anderen internationalen Studierenden zu helfen, ihr Studium trotz eines fehlenden Arbeitsplatzes zu finanzieren, wurden im Jahr 2020 außerordentliche Kredite gewährt, beispielsweise von der Förderbank „Kreditanstalt für Wiederaufbau“, wie Luise Haack erklärt. Auch staatliche Unterstützung ist möglich: „Die Überbrückungshilfe des Staates steht internationalen Studierenden ebenfalls offen.“ Dabei handelt es sich um Zuschüsse des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, die bis September 2021 von Studierenden in einer pandemiebedingten Notlage monatlich beantragt werden können.
Erleichterung im Sommer
Ein deutlich angenehmeres Auslandsstudium als Joaquín erlebt die Spanierin Laia. Im Gegensatz zu ihm hat die 20-jährige ihr Erasmus-Semester im Studiengang Business Administration nicht, wie eigentlich geplant, schon im Wintersemester absolviert, sondern studiert erst seit April 2021 in Passau. Auch wenn sie sich nicht selbst dazu entschlossen hat, den Auslandsaufenthalt zu verschieben, sondern dieser von ihrer mallorquinischen Heimatuniversität abgesagt wurde, ist sie damit trotzdem zufrieden: „Obwohl es nicht meine Entscheidung war, ihn abzusagen, denke ich, dass ich ihn abgesagt hätte, wenn ich die Möglichkeit gehabt hätte, zu wählen.“ Ein weiteres Mal wollte sie ihr Auslandssemester allerdings nicht verschieben. „Wer weiß, ob die Situation nächstes Jahr besser oder schlechter sein wird“, beschreibt sie die Gedanken, die sie im Frühling hatte. Zusätzlich spielten finanzielle Überlegungen bei der Entscheidung eine Rolle. Da an ihrer Heimatuniversität nur eine begrenzte Anzahl an Stipendien einer spanischen Bank vergeben werden, hatte sie Angst, im nächsten Semester keines mehr zu erhalten. „Ich wusste, dass viele Leute ihren Erasmus jetzt abgesagt hatten und sich für das Programm für nächstes Jahr beworben hatten, also würde nächstes Jahr vielleicht nicht genug Geld für jeden da sein“, erklärt sie, sichtlich verärgert über die Regelungen ihrer Universität.
Ähnliche Gedanken wie Laia scheinen auch viele andere internationale Studierende gehabt zu haben. Zwar wurden noch keine genauen Daten zur Anzahl der ausländischen Studierenden veröffentlicht, die im Sommersemester in Deutschland studieren, jedoch verzeichnete der DAAD schon gegen Ende des Wintersemesters einen starken Anstieg von Bewerbungen internationaler Studierender auf Stipendien für ein Studium in Deutschland. Auch an der Universität Passau ist die Anzahl im Vergleich zum Wintersemester wieder angestiegen: „Im Sommersemester 2021 gibt es genauso viele internationale Studierende wie im Sommersemester 2019“, meint Luise Haack.
Der Vergleich von Laias mit Joaquíns Erfahrungen zeigt, dass die Entscheidung, erst im Sommersemester ins Ausland zu gehen, vieles erleichterte. Laia ist glücklich in Passau, sie lacht viel, als sie von ihrem Studium erzählt. Die Frage, ob sie es bereut, während der Pandemie ins Ausland gegangen zu sein, verneint sie, ohne lange zu überlegen. Auch sie muss mit Einschränkungen zurechtkommen, diese sind jedoch aufgrund der sinkenden Infektionszahlen deutlich weniger strikt als während des Wintersemesters. Deshalb fällt es ihr leichter, die durch die Pandemie entstandene Distanz zu überbrücken und andere Studierende kennenzulernen. „Es ist schwierig, aber wenn man Leute treffen will, ist es möglich.“ Sie profitierte auch von einem Treffen, das von ihrer Gast-Universität organisiert wurde. Dabei wurden jeweils zwei internationale Studierende einander zugeteilt und erhielten die Möglichkeit in der Stadt spazieren zu gehen. „Ich mochte diese Aktivität, weil sie face-to-face stattfand. So konnte ich die andere Person kennenlernen und die Polizei hielt uns nicht auf, weil wir nur zu zweit waren“, erzählt sie fröhlich. Laia wünscht sich, dass mehr solcher Veranstaltungen organisiert werden, jetzt, da es die verbesserte Corona-Situation wieder erlaubt.
Luise Haack erklärt, dass das Akademische Auslandsamt bereits einige weitere Angebote bereitstellt, um die Distanz zwischen internationalen und deutschen Studierenden zu verringern: „Wir bieten ein Lernpartner-Programm, in dem Muttersprachler:innen und internationale Studierende gematcht werden. Im „Interkulturellen Bewegungsraum“ treffen sich Studierende alle zwei Wochen individuell und stellen einzeln Länder vor, diskutieren Themen oder spielen.“
Doch auch Online-Kurse sind für Laia kein großes Problem, im Gegensatz zu Joaquín ist es ihr gelungen, sogar durch online stattfindende Treffen im Rahmen der virtuellen Orientierungswoche der Universität andere internationale Studierende kennenzulernen. An Sprachkursen via Zoom teilzunehmen, findet sie aber gewöhnungsbedürftig: „Es ist ein bisschen seltsam, eine Sprache mit einer Person durch Zoom zu lernen, anstatt diese Person direkt vor sich zu haben.“
Maia Kober bemerkt ebenfalls, dass sich die Situation der internationalen Studierenden im Vergleich zum Wintersemester verändert hat. Momentan haben die Studierenden nicht mehr mit existentiellen Schwierigkeiten zu kämpfen, Probleme im Umgang mit den Online-Veranstaltungen und Konzentrationsschwierigkeiten treten dagegen in den Vordergrund. Außerdem bringt die lange Dauer der Pandemie neue Anliegen mit sich: Viele Studierende, die durch die Pandemie länger in Deutschland geblieben sind, als sie geplant hatten, weil sie entweder durch die stärkere psychische Belastung oder die Schließungen von Archiven und Bibliotheken ihr Studium nicht in der vorgesehenen Zeit abschließen konnten, haben nun Angst, dass ihr Visum nicht verlängert wird.
Joaquíns Situation hat sich im Sommersemester stark verbessert. Die gelockerten Sicherheitsmaßnahmen ermöglichen es ihm, genauso wie Laia, sich mit anderen Studierenden zu treffen. Dass er bereits geimpft ist, ist ein zusätzlicher Vorteil. „Ich glaube, alle diese kleinen Veränderungen machen dieses Semester bequemer für Studierende“, meint er erleichtert. Dennoch überwiegen seiner Meinung nach die Nachteile seines Auslandsaufenthaltes, die Erfahrungen im Wintersemester waren zu negativ, die Distanz zu groß. „Ich bin zufrieden, dass ich alles überlebt habe, aber ich würde nicht alles nochmal durchmachen.“
Quellen:
- Bundesministerium für Bildung und Forschung (2021): Überbrückungshilfe des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF). https://www.überbrückungshilfe-studierende.de/start
- DAAD (2020): Ausländische Studierende in Deutschland: Anzahl & Entwicklung.
- DAAD (17.12.2020): Auswertung der DAAD-Schnellumfrage zu Einschreibezahlen der internationalen Studierenden im Wintersemester 2020/21.
- DAAD (07.12.2020): DAAD meldet steigende Bewerberzahlen. https://www.daad.de/de/der-daad/kommunikation-publikationen/presse/pressemitteilungen/bewerbungszahlen/