„Ich wurde zu Viele, um zu überleben“

„Ich wurde zu Viele, um zu überleben“

Die Folgen der Vergangenheit

Angst vor Triggern hat Zoe nicht mehr, auch handlungsfähig ist sie jetzt in fast jeder Situation.  

Folgen wird sie dennoch ihr ganzes Leben lang mit sich tragen. Und sie bedauert, dass die Täter:innen nie zur Verantwortung gezogen wurden. Denn die Strafverfolgung ist schwierig, oft gibt es keine anderen Zeug:innen oder Beweise für die Gewalt. Dann sind die Aussagen der Betroffenen der einzige Beweis und die juristischen Anforderungen hoch. Für Menschen mit DIS oder anderen psychischen Erkrankungen ist das oft nicht zu schaffen, viele werden von Gutachter:innen auch als nicht aussagetüchtig eingestuft.   

Aussagetüchtigkeit

Aussagetüchtigkeit beschreibt die Fähigkeit, vor Gericht wahrheitsgetreu auszusagen. Dafür muss die Zeugin oder der Zeuge in der Lage sein, den Sachverhalt wahrzunehmen und ohne Beeinflussung wiedergeben zu können, Realität von Einbildung zu unterscheiden und kommunikativ sowie sprachlich die Zeugenaussage darzulegen. Psychopathologisch bedingte Einschränkungen wie eine Dissoziative Identitätsstruktur können jedoch die Aussagetüchtigkeit beeinträchtigen.  
Dabei sind in Deutschland jedes Jahr 28 Prozent der Menschen von einer psychischen Erkrankung betroffen, ca. ein Prozent der Gesamtbevölkerung lebt mit einer Dissoziativen Identitätsstörung. 

Die Angst vor Stigmatisierung und beruflichen Nachteilen, hindert Zoe daran, öffentlich über ihre Vergangenheit zu sprechen. Dabei hätte sie sich auf ihrem Weg gerade solche Vorbilder gewünscht. Doch erst wenn die Stigmatisierung psychischer Erkrankungen nachlässt, die Betroffenen nicht mehr um ihren Beruf fürchten oder Angst vor Benachteiligungen haben müssen, wird es vielleicht mehr Betroffene geben, die mit ihrer Geschichte in die Öffentlichkeit treten und sie erzählen.

„Ich würde mir wünschen, dass sich die Menschen auch häufiger trauen oder es ihnen möglich ist, dass sie das offen machen können, was sie erlebt haben. Weil sie ein Vorbild sein können für andere Menschen, die in Krisen und verzweifelt sind, die sich fragen: Ist das alles überhaupt schaffbar und möglich? Wenn sie sehen, da gibt es Menschen, die haben es geschafft, dann kann man auch länger durchhalten. Auch in Situationen, in denen fast keine Hoffnung mehr da ist. Ich hatte viele solcher Situationen. Doch ich habe es geschafft.“ – Zoe.

Weiterführende Literatur

Anmerkung: Bilder gezeichnet von Elian Müller

Als ich 12, 13 Jahre alt war, zu Beginn meiner Pubertät, als ich mich fremd in mir selbst fühlte, hatte ich den Gedanken, wie schön es doch wäre, wenn man nicht nur allein im eigenen Kopf leben, sondern diesen mit anderen Persönlichkeiten teilen könnte. Ich fand diese Idee des Beisammen-Seins sehr schön, naiv wie ich damals war. Ein zwei Jahre später stieß ich auf einen Bericht einer Person mit einer dissoziativen Identitätsstörung, damals noch bekannt als Multiple Persönlichkeitsstörung. Meine kindliche Naivität schlug in ein neugieriges Interesse an der Thematik um und ich erkannte, dass bei meinen früheren Gedanken nicht unbedingt etwas Schönes dran war.. Und der Aspekt, dass immer mehr Menschen in meinem direkten Umfeld mit psychischen Krankheiten und Belastungen zu tun haben, veranlasste mich letzten endes dazu, den Bereich der Dissoziation aus journalistischer Perspektive aufzugreifen. Was ich dabei lernte, war vor allem eins: So häufig psychische Erkrankungen in unserer Gesellschaft vorhanden sind, so wenig werden sie leider öffentlich akzeptiert und mit aller Ernsthaftigkeit behandelt.