Das Porno-Paradoxon

Das Porno-Paradoxon

Alle schauen Pornos – niemand redet darüber. Die Gesellschaft distanziert sich von der Branche. Involvierte wünschen sich mehr Offenheit und Kommunikation. Ein Annäherungsversuch.

Paulita Pappel ist Anfang dreißig, lebt in Berlin und arbeitet dort als Filmproduzentin. Sie ist eine moderne Frau mit braunen langen Haaren und einem geraden Pony. Sie ist selbsternannte Feministin. Zudem ist sie erfolgreich: Zahlreiche Filme hat sie produziert, in einigen auch selbst mitgespielt, sie hat ihr eigenes Label gegründet und ist Mitkuratorin eines Filmfestivals. Doch was unterscheidet Paulita Pappel von anderen Filmproduzent:innen in Berlin? Ihre Filme drehen sich ausschließlich um ein Thema: Sex. Paulita Pappel produziert Pornos. 

Paulita steht für ihren Beruf ein – trotz der Diskriminierung.

Paulita ist in Spanien aufgewachsen und war schon als Jugendliche von Sex und Pornografie fasziniert. „Beim ersten Pornodreh verspürte ich ein Freiheitsgefühl. Mein Heimatland war sehr faschistisch und katholisch, selbst die damaligen Feminist:innen sahen Pornografie lediglich als Mittel, die Frauen weiter zu unterdrücken“, so die heutige Berlinerin. Paulita will diesen Vorurteilen entgegenhalten. Gerade die Pornografie biete eine Möglichkeit, die weibliche Sexualität zu zeigen und Frauen so mehr zu ermächtigen. In ihren Anfangszeiten in Berlin kam sie mit der feministischen Queer-Szene in Kontakt. Dort war man der Auffassung, dass Pornografie nicht so verwerflich sei, wie oft von der Gesellschaft dargestellt. Aus persönlicher und politischer Überzeugung begann sie als Darstellerin zu arbeiten: „Mein erster Dreh war der glücklichste Tag meines Lebens.“

„Wir müssen in der Öffentlichkeit mehr über Sexualität sprechen. Nur so können wir Diskriminierung und Stigmata begegnen.“ 

PAULITA PAPPEL

Paulita liebt ihren Job. Doch der Ruf von Pornografie ist in unserer Gesellschaft nach wie vor schlecht. Sie wünscht sich mehr Anerkennung für ihren Beruf und die Branche. Dafür brauche es mehr Offenheit dem Thema gegenüber. 


Warum wir nicht darüber reden wollen

„Menschen die keinen Zugang zu Sexarbeit haben, reagieren unterschiedlich auf meine Beruf. Von Neugier bis Ekel ist alles dabei“, so Paulita. Ihre Familie in Spanien weiß nichts von ihrem Beruf – oder tut so, als wüsste sie nichts. Doch warum ist der Umgang mit Pornos in der Gesellschaft so schwierig? Fiona Attwood, eine Expertin im Bereich der Porn Studies, ist der Meinung, dass der Gesellschaft ein falsches Bild von Pornografie vermittelt wird: „Vor allem die Medien fokussieren sich auf die negativen Aspekte von Pornografie“. Konsument:innen von Pornos werden meist einseitig dargestellt. Der Klischee-Pornoschauer ist jugendlich, männlich und abhängig vom Pornokonsum. Zudem wird ihm oft vorgeworfen, einsam oder in einer unglücklichen Beziehung zu sein. Mit diesem Bild wollen sich viele nicht identifizieren. Das erschwert die Debatte darüber. Vor allem für Frauen ist es schwierig den eigenen Pornokonsum und die empfundene Lust zu beschreiben. Das Schauen von Pornos bedeutet oft einen Tabubruch. Man taucht in seine eigene Welt, seine eigenen Fantasien ein. In der Realität traut man sich dann nicht darüber zu sprechen. Pornografie ist sehr schambehaftet.

Was ist Pornografie eigentlich?

Pornos zu definieren ist schwierig, denn die Grenzen sind oft fließend. Das Gesetz unterscheidet zwischen weicher und harter Pornografie. Weiche Pornografie beschreibt die Darstellung von sexuellen Praktiken und Geschlechtsteilen. Harte Pornografie umfasst beispielsweise sexuelle Darstellungen mit Kindern, Tieren oder Gewalttätigkeiten. Während der Konsum von weicher Pornografie in Deutschland für Volljährige legal ist, ist harte Pornografie klar verboten.

Vorurteile gegenüber Pornografie sind allgegenwärtig: Pornos seien frauenfeindlich, diskriminierend und sexistisch. Paulita ist da anderer Meinung: „Wer Pornografie für Missstände in unserer Gesellschaft wie Sexismus verantwortlich macht, vertritt tatsächlich ein sehr sexistisches Weltbild, in dem Frauen immer das Opfer sind, wenn es um Sex geht.“ Somit nehme man ihnen ihre Autonomie und ihr Mitspracherecht. Die Pornoindustrie habe tatsächlich weit mehr progressive und diverse Ansätze als viele andere Medienbranchen.

Paulita hat sich der ethischen Pornografie verschrieben. Diese hat in den letzten Jahren immer mehr Aufmerksamkeit bekommen. „Man sollte immer vor, während und nach dem Dreh auf gegenseitige Zustimmung und transparente Kommunikation achten. Das ist für mich ethische Pornografie. Und das sind Grundsätze, die im Übrigen auch in der gesamten Filmindustrie gelten sollten.“ Diese Regeln galten und gelten nicht immer, doch die Branche entwickelt sich immer weiter in die von Paulita beschriebene Richtung.


ZEITSTRAHL


Die positiven Seiten der Branche

Die Britin Fiona Attwood beschreibt eine allmähliche Annäherung der Gesellschaft an das Thema. Neue, alternative und ästhetischere Formen von Pornografie werden immer beliebter, das Publikum immer weiblicher. Außerdem sind sich die Konsument:innen bewusster, dass zwischen der Fantasiewelt und dem eigenen Sexleben unterschieden werden muss. Positive Effekte sind in der Gesellschaft immer anerkannter: Pornos schaffen einen Raum zum sexuellen Experimentieren und sind eine Hilfe beim Finden der eigenen Sexualität. „Die Gesellschaft öffnet sich durch diese Entwicklungen den Pornos, der Weg dahin ist aber noch lang“, betont Fiona Attwood. In solch einer offenen und sexpositiven Gemeinschaft aus Sexarbeiter:innen und Filmemacher:innen lebt Paulita Pappel in Berlin. „Das ist ein großes Geschenk und eine große Erleichterung, da ich mich hier vor Stigmata und Diskriminierung verstecken und erholen kann.“

Geschlechterverteilung auf Pornhub in europäischen Ländern

Nach wie vor schauen mehr Männer als Frauen Pornos. In Deutschland waren 2019 lediglich ein Viertel der Konsument:innen weiblich, während es in Schweden schon 35 Prozent waren. Immerhin wurde zum Vorjahr ein weltweiter Anstieg von drei Prozent verzeichnet.
[Daten von „Pornhub’s 2019 Year in Review“ (eigene Darstellung)]

Pornografie ist für mich
ein politisches Statement.

PAULITA PAPPEL

Pornodarsteller:in gehört nicht zu den klassischen Traumberufen. Für Paulita war das anders: „Ich habe damals aus zwei Gründen als Performerin gestartet. Zum einen wollte ich mit meiner eigenen Sexualität experimentieren. Zum anderen war es ein politisches Statement: Ich wollte meinen Körper und meine weibliche Sexualität zeigen, welche ich nicht in den Mainstream-Medien repräsentiert sah.“

Die Arbeit in der Pornografie gehörte damals und gehört heute zu ihrem Kampf für eine feministischere Welt und für einen Ausdruck von Kreativität: „Mit meiner Arbeit will ich die Diversität von Körpern, Sexualität und sexuellen Praktiken zeigen. Außerdem liebe ich es, die Grenzen zwischen einem normalen Kunstfilm und Pornografie auszutesten – und auszureizen.“  


Eine Lösung für viele Probleme

Die Bevölkerung spricht zwar nicht über Pornos, doch konsumiert sie. Und das sogar ziemlich oft. Patrick Catuz findet diesen Zustand paradox. Er arbeitet schon lange in der Pornobranche: „Ich finde das ein bisschen schräg. Unsere Branche bekommt sehr viel Aufmerksamkeit und wird trotzdem von der Gesellschaft tabuisiert.“ Der Wiener beschäftigt sich schon lange wissenschaftlich mit dem Thema, außerdem ist er Produzent und Gründer eines Porno-Labels. Angefangen hat er bei Erika Lust in Barcelona, einer berühmten Vertreterin der feministischen Pornografie.

Patrick Catuz beschäftigt sich sowohl mit der Theorie als auch mit der Praxis der Pornografie.

Als er dann wieder nach Wien zurückkam, gründete er sein eigenes Label: „Ich habe damals eine Opernsängerin kennengelernt, die aus der Oper aussteigen wollte. Zusammen beschlossen wir, alternative Pornos zu machen.“

Die Größe der Pornobranche ist enorm. Zu MindGeek, dem größten Porno-Konzern der Welt, gehören mehr als 30 Websites wie „Youporn“, „Pornhub" oder „Redtube“. Branchenkennern zufolge macht MindGeek mehrere 100 Millionen Euro Umsatz im Jahr.

Die Gesellschaft hält Abstand zur Pornografie, damit hat auch der Wiener Erfahrungen gemacht: „Selbst im wissenschaftlichen Umfeld erfährt man oft eine Form der Ächtung, sobald man sich im Bereich der Porn Studies bewegt.“ Patrick Catuz spricht viel über seine Arbeit, nimmt an Diskussionen teil und hält Vorträge. Auf einer Konferenz versuchte jemand, seine Präsentation zu unterbrechen, nachdem klar wurde, worüber er spricht. „Das Stigma ist sehr stark. Und das auch, wenn man sich nicht selber auszieht.“

Er wünscht sich einen offeneren Umgang mit dem Thema. Dann könne man auch etwaige Probleme besser kommunizieren und Lösungen dafür finden: „Damit könnten wir uns alle das Leben ein bisschen leichter machen.“ 

Dass es Probleme in der Branche gibt, ist auch Paulita bewusst: „Natürlich kann und soll man die Pornobranche kritisieren. Genau wie man jede andere Medienbranche wie Film, Musik und Mode kritisieren kann“, so Paulita. Vor allem Mainstream-Seiten wie Pornhub oder YouPorn hätten diese Kritik nötig. „Dort stößt man beispielsweise oft auf Copyright-Probleme. Aufwendig produzierte Filme werden kostenlos hochgeladen. Außerdem landen dort auch viele Amateur- und Rachepornos, denen die Beteiligten nicht zugestimmt haben“, so Patrick Catuz. „Pornhub macht eine sehr schlechte Figur, diese Videos aus dem Verkehr zu ziehen. Somit macht die Seite Profit mit der Verletzung der Persönlichkeitsrechte und der Integrität der Sexualität der Leute.“ Diese Probleme gilt es zu bekämpfen. „Es gibt einen einfachen Weg, um festzustellen, ob die Pornos, die ich schaue, ethisch vertretbar sind: Ich zahle dafür!“, findet Paulita. Nur mit einer fairen Bezahlung kann sichergestellt werden, dass die Involvierten gerecht behandelt werden.

Pay For Your Porn!

Unter dem Slogan „Pay For Your Porn!“ wurde 2014 eine Initiative gestartet, die sich gegen die Piraterie von Filmen einsetzt. Für viele Konsument:innen ist es normal, für Pornos nicht zu zahlen. Doch die Involvierten sind anderer Meinung: Durch den Konsum von kostenloser Pornografie gingen Arbeitsplätze verloren, die Löhne würden sinken und ethische Richtlinien seien nicht klar vorgegeben.

Neue Formen der Pornografie

Eine Plattform, auf der man für pornografische Inhalte zahlen muss, ist OnlyFans – auch bekannt als das Instagram für Pornos. Dort kann sich jede Person einen Account anlegen und jegliche Arten legaler Inhalte hochladen. Ein Großteil der Nutzer:innen bietet erotischen oder pornografischen Content an. Dieser ist hinter einer Bezahlschranke versteckt. Somit können die Performer:innen ihren eigenen Körper und ihre Sexualität zeigen. Sie können selbst bestimmen, wo und mit wem sie arbeiten und was sie dafür verlangen. Über 100 Millionen Nutzer:innen sind dort bereits registriert – täglich werden es mehr. Erfolgreiche Betreiber:innen verdienen dort eine Menge Geld. Für ein Abonnement müssen die Follower mindesten fünf Dollar pro Monat bezahlen. Achtzig Prozent davon geht an die Performer:innen, zwanzig Prozent an OnlyFans. Eines wird schnell klar: Auf OnlyFans ist man auf sich selbst gestellt und abhängig von der Abonnentenzahl. Patrick Catuz sieht die Plattform trotzdem in positivem Licht: „Gerade für die Amateurpornografie ist das eine große Chance. Durch die Nähe zu den Darsteller:innen bekommen die Inhalte einen personellen Touch und Probleme wie fehlendes Einverständnis fallen quasi weg.“ Ein Mainstream-Porno, der billig arbeitet und ähnlich produziert, würde sich aufgrund von Netzwerken wie OnlyFans in Zukunft schwerer tun, am Bild, Körper und an der Sexualität anderer Leute Geld zu verdienen. „Und das halte ich für eine tolle Sache“, sagt Patrick zu seiner Prognose. 


Diese Folge von „Puls Reportage“ beschäftigt sich nochmals genauer mit der Plattform OnlyFans. Sie fragten sich, ob die Plattform mit ihrem Konzept für mehr Empowerment sorgt oder eine Pornofalle für junge Menschen ist:


Die Zukunft der Pornografie bleibt ungewiss. Selbstverständlich gibt es viele Probleme, die behoben werden müssen. Die Involvierten halten offene Kommunikation und Annäherung an das vermeintliche Tabuthema für einen Lösungsansatz. Ein Ort, an welchem die Distanz zum Thema verringert werden kann, ist das Pornfilmfestival in Berlin. Dort ist Paulita Pappel Mitkuratorin. Das Festival ist eines der größten und ältesten seiner Art. Seit 2006 treffen sich dort jährlich Interessierte und beschäftigen sich mit Themen wie Sexualität, Politik, Feminismus und Gender. Das gezeigte Filmprogramm dreht sich ausschließlich um Pornos. „Wir zeigen Dokumentarfilme, lange Features oder Experimentalshots – alles was zum Thema passt. Es ist ein Ort, um sich zu vernetzen und vor allem um über Themen zu reden, welche ansonsten in unserer Gesellschaft ein Tabu sind“, so Paulita. Da die Kinos in den letzten Monaten geschlossen waren, wurde das geplante Programm Anfang Juli 2021 nachgeholt. Der Episodenfilm „Urban Smut“ eröffnete das Festival. Dieser zeigt, dass Pornos mehr sein können als lediglich das Filmen von Sexszenen. Pornos können eine Kunstform sein. Das Projekt ist durch die Zusammenarbeit von fünf Filmschaffenden entstanden. Gedreht wurde in Berlin – auf einem Parkhausdach, in einem Kellergewölbe und in einem alten Heizkraftwerk. „Irgendwo zwischen rau und verspielt, ästhetisch und explizit“, so die Beschreibung des Projektes. 

Hinter den Kulissen von „Urban Smut“. An einem Pornodreh sind viele Menschen involviert.

Zusammen mit anderen Menschen im Kino sitzen und Pornos schauen – eine bizarre Vorstellung für die meisten. Trotzdem versammelten sich dort vor der Cornoa-Pandemie über 8.000 Besucher:innen jährlich. Über die Hälfte der Zuschauer:innen ist weiblich, das Publikum international: Nur rund fünfzig Prozent kommen aus Deutschland. Neben den Filmvorführungen hat das Festival noch einiges mehr zu bieten. Die Gäste können sich Vorträge und Lesungen anschauen, an Workshops mitmachen und an Diskussionen rund um das Thema „Sexualität heute“ teilnehmen. Es ist ein Ort, an dem Pornografie kein Tabuthema ist, ein Ort, an dem Pornoproduzent:in ein anerkannter Beruf ist – es ist ein Ort der Annäherung. 


Max (links) und sein Team

Besonders für die Jugendlichen ist der Umgang mit Sexualität schwer. Inwiefern stehen Schulen hier in der Verantwortung? In dieser Folge „Nahaufnahme“ habe ich mit Max gesprochen, der sich bei „Mit Sicherheit verliebt“, einem Sexualaufklärungsprojekt für Schulen, engagiert. Er erzählt von seinen Schulbesuchen und seinen Wünschen zum Umgang mit Sexualität. Zudem erklärt Fachreferent Nico Waibel vom bayerischen Kultusministerium, wie die Schulen das Thema Aufklärung angehen. 

IM PODCAST: MAX VON „MIT SICHERHEIT VERLIEBT“

Pornografie – ein fremdes und doch ein so vertrautes Feld für viele. Ich habe mich gefragt, warum trotz des hohen Pornokonsums niemand wirklich seriös über das Thema spricht. Klar – es werden Witze darüber gerissen und Sprüche geklopft, aber ein normales Gespräch kommt selten zustande. Auch mir fällt es schwer über Pornos zu reden – keine Frage! Deshalb wollte ich meine Komfortzone verlassen und beschäftigte mich intensiver mit der Branche. Dabei hat mich vor allem die Frage beschäftigt, warum die Gesellschaft so ein schwieriges Verhältnis zu Pornografie hat. Meine Recherche hat mir gezeigt, dass eine Annäherung an das Thema das Leben vieler Menschen vereinfachen würde. Zudem würde eine offene Kommunikation viele Probleme der Branche beheben. Auch wenn es dahin noch ein langer Weg ist, hoffe ich, mit meinem Projekt die Distanz zwischen Pornografie und Gesellschaft ein kleines bisschen verkleinern zu können!