Asche zu Asche

Asche zu Asche

Als Martin Kohlbacher die Tür öffnet, rieche ich Rauch. Ich sollte nicht überrascht sein und trotzdem passt der Geruch im ersten Moment nicht ins Gesamtbild dieses unscheinbaren Hauses mit seinem gut gepflegten Vorgarten und dem kleinen Vogelhäuschen. Martin Kohlbacher führt mich durch einen großen Vorraum in Richtung Teeküche. Er fragt mich, ob ich einen Kaffee möchte, aber mir hängt der Rauch zu sehr in der Nase. Wir setzen uns schließlich an den kleinen Tisch in der Ecke, über dem an der Wand Fotos von ihm und seinen Kolleg:innen hängen. Jeden Morgen kommt Kohlbacher hierher, um zu arbeiten. Sein Arbeitstag startet dabei meist mit organisatorischen Aufgaben. Er überprüft zuerst, „was am Vortag noch an Verstorbenen rein gekommen ist“.

Martin Kohlbacher, 37 Jahre alt, ist Anlagenführer im Krematorium vivenda in Aspertsham im Landkreis PassauDas Krematorium ist eines von insgesamt 162 in Deutschland. Die Mehrheit davon ist nach wie vor kommunal betrieben, der kleinere Anteil privat. Die genauen Zahlen schwanken regelmäßig. Es kommt zu Neubauten, aber auch Schließungen.. Er äschert hauptberuflich Verstorbene ein. Jeden Tag kümmert er sich um neue Aufträge, telefoniert mit Bestatter:innen, steht an den Öfen und bereitet Asche auf. Eher durch Zufall und durch die Nähe zu seinem Wohnort ist der gelernte Notarfachangestellte im Krematorium gelandet, nachdem er in seinem alten Beruf nicht mehr glücklich war. „Ich bin kein Techniker, ich bin kein Elektriker“, sagt Martin Kohlbacher über sich selbst. Zwar wäre ein solcher Hintergrund eine gute Grundlage für seinen Beruf, doch die Arbeit im Krematorium ist formal nicht an eine bestimmte Ausbildung gebunden.

Thies Heinrich, Betriebsleiter zweier Krematorien, Kremationstechniker und Teil des Planungs- und Beratungs-unternehmens CremTec GmbH, ist Dozent für die Weiterbildung zum Kremationstechniker der Handwerks-kammer Düsseldorf. Die Weiterbildung sei kein Muss für die Mitarbeiter:innen der Krematorien in Deutschland, wie er erklärt.

Weiterbildung

Die Weiterbildung zum Kremationstechniker dauert ein Jahr und hat fünf thematische Säulen: Betriebssicherheit und Anlagentechnik, Recht, Betriebswirtschaft sowie Marketing und Unternehmenskommunikation. Thies Heinrich ist Dozent für Marketing und Kommunikation, springt aber auch ein für Gesellschaftsrecht und den allgemeinen BWL-Teil.

Aber: „Ich bin der Meinung, dass das eigentlich eine Voraussetzung sein sollte, um eine Führungsverantwortung im Krematorium zu übernehmen.“ Auf die emotionalen und zwischenmenschlichen Herausforderungen, die der Beruf mit sich bringt, konnte Martin Kohlbacher hingegen niemand vorbereiten. Alles Technische konnte er sich gut selbst aneignen. Alles andere ist seiner Ansicht nach vor allen Dingen „gesunder Menschenverstand, gesunder Umgang mit Menschen und kaufmännisches Verständnis“.

Wir sind nach draußen gegangen, wo an das Krematorium ein Naturfriedhof angrenzt. Der „Garten des Friedens“ hat aus der Luft betrachtet die Form einer Schlange, die sich am Hügel entlang schlängelt. Wege führen vorbei an Wasserflächen und sorgsam angelegten Wiesen. Erst hier sehe ich den Schornstein zum ersten Mal. Ganz unauffällig ragt er hinter dem Gebäude hervor, scheinbar ganz weit weg, wie ein Fremdkörper zwischen den Blumen, Bäumen und Bächen. Wir spazieren vorbei an UrnenThies Heinrich zufolge liegt die Einäscherungsquote mittlerweile bei knapp über 70 Prozent. Auch in ländlichen und eher katholisch geprägten Regionen erreicht sie fast 50 Prozent. mit fremden Namen und mir kommt nicht zum ersten Mal an diesem Tag die Frage in den Sinn, wie viele davon Martin Kohlbacher befüllt hat.

„Ich habe, bevor ich hier angefangen habe, noch nie einen Verstorbenen gesehen“, erzählt er. Er hat sich lange mit dem Gedanken auseinandergesetzt, was es für ihn bedeuten würde, im Krematorium an den Öfen zu stehen, hat das Krematorium selbst einige Male besucht. Letztendlich hat ihn der Berufseinstieg trotzdem zunächst einmal übermannt: „Ich habe nach zwei, drei Monaten direkt auch Angstzustände bekommen, die sich in Schwindelanfällen und starker Feinfühligkeit ausgewirkt haben.“ Geholfen hat Kohlbacher vor allem eines: Routine. Mit der Zeit merke man, ob man für den Beruf geeignet sei oder die emotionale Belastung doch zu groß werde. Dabei sei letztendlich alles ein Prozess, während dessen man sowohl Distanz zu Einzelschicksalen als auch Normalität entwickle. Dem kann auch Dr. Bettina Lampert, ausgebildete Arbeitspsychologin sowie klinische und Gesundheitspsychologin, zustimmen: „Aus der Forschung kann ich nur sagen, dass Berufserfahrung ein wichtiges Element ist.“ Einer ihrer Forschungsschwerpunkte ist das Konstrukt des „Detached Concern“, das das Wechselspiel von Nähe und Distanz, Empathie und Abgrenzung in menschennahen Berufen abbildet. Im Lauf des Berufslebens sei es wichtig, in der täglichen Konfrontation mit Menschen, ihren verschiedenen Schicksalen und – in diesem speziellen Fall – mit dem Tod für sich selbst herauszufinden, wie sich ein gesundes Maß an Empathie mit einer gewissen Abgrenzung von Einzelschicksalen ausbalancieren lässt. So mache man auch einen wesentlichen Schritt dahin, sich selbst in seiner Arbeitsrolle zu schützen.


Wie Pflegekräfte ein Gleichgewicht zwischen Nähe und Distanz finden, lesen Sie bei Sarah Koschinski.


Die Distanz im Krematorium liegt laut Kohlbacher auch in gewisser Weise in der Natur des Berufs. Anders als bei Bestatter:innen sei der Kontakt zu den Verstorbenen selbst reduziert: „Wir sehen ja nicht jeden Verstorbenen, der bei uns ankommt, direkt.“ Bestatter:innen liefern die Verstorbenen in Särgen an das Krematorium, wo sie – ebenfalls in den Särgen – eingeäschert werden. Nur in Ausnahmefällen sehen die Anlagenführer:innen das Gesicht eines Toten. „Man hat nicht zuletzt eigentlich mehr mit Lebenden als mit Toten zu tun“, fasst Thies Heinrich zusammen.

Kennzeichnung der Verstorbenen

Jeder Verstorbene erhält bei der Ankunft im Krematorium eine Nummer. Diese Nummer wird in einen Schamottestein geprägt, der zu jeder Zeit und bei jedem Schritt von der Registrierung bis zum Befüllen der Urne in der Nähe des Verstorbenen, auf seinem Sarg bzw. auf der Urne bleibt. So werden Verwechslungen verhindert.

Trotzdem kennt Martin Kohlbacher die Daten aller Verstorbenen. Wenn er die neuen Aufträge ins System einträgt und jemand dabei ist, der ihm, was beispielsweise das Alter betrifft, sehr nahe kommt, beschäftigen ihn diese Einzelschicksale nach wie vor.

„Es gibt, wie in jedem Beruf, gute und schlechte Tage. Wenn man einen schlechten hat, nimmt man’s durchaus mit nach Hause und denkt noch drüber nach“, erklärt er dazu. Ebenso seien Einäscherungen von Babys und Kindern die schlimmsten, auch für seine Kolleg:innen: „Das ist nicht normal und das tut einem natürlich auch weh.“ An solchen Tagen gehen auch die Mitarbeiter:innen manchmal auf dem Naturfriedhof spazieren und sammeln sich neu. Außerdem wird niemand dazu gezwungen, Einäscherungen durchzuführen, die für den Einzelnen im jeweiligen Moment zu emotional belastend sind. Es wird aufeinander geachtet.

Als er die Tür zurück ins Hauptgebäude aufstößt, fragt mich Martin Kohlbacher, wie viel ich bereit bin zu sehen. Auch auf mich wird geachtet. Zu meiner eigenen Überraschung zögere ich keine Sekunde: Ich will alles sehen. Was dieses Alles in einem Krematorium sein könnte, vergesse ich für den Moment. In einem hellen Raum mit großen Fensterfronten bedient Martin Kohlbacher nun eine elektronische Steuerung. Zwei schwarze Öffnungen durchbrechen die gegenüberliegende Wand. Davor zwei Fließbänder. Das sind die Öfen. Neben einem davon lehnt ein Besen an der Wand. Ansonsten ist der Raum leer. Die Särge werden mit Wägen auf die Fließbänder geladen. Über die Steuerung kann sie Kohlbacher mit wenigen Handgriffen im Ofen verschwinden lassen. Dann übergibt er den Verstorbenen dem Feuer. Als er einen der Öfen kurz öffnet, wird es sofort um einige GradIn der Hauptbrennkammer werden bei einer Einäscherung bis zu 1200 Grad Celsius erreicht. wärmer im Raum. Neben der Tür, durch die wir zuvor gekommen sind, entdecke ich eine Topfpflanze, die mir hier seltsam fehl am Platz vorkommt. Kohlbacher erklärt mir, dass sie im Krematorium immer ein paar Pflanzen und andere Dekoration aufbewahren, um für die Angehörigen, die einer Einäscherung beiwohnen möchten, eine angenehmere Atmosphäre zu schaffen.

So klingt es, wenn Martin Kohlbacher einen Sarg in den Ofen einfahren lässt.

Nicht immer sind die Angehörigen direkt bei der Einäscherung im Raum. Wenn sie es aber sind, sind das die emotional schwierigsten Momente für Martin Kohlbacher. Auch für Thies Heinrich sind solche begleiteten Einäscherungen Spezialfälle. Was es ihm persönlich leichter macht, abends keine schweren Gedanken mit nach Hause zu nehmen, ist im Normalfall die Distanz „nicht zu den Verstorbenen, sondern zu denen, die traurig sind, weil jemand verstorben ist.“ Genau die wird dann jedoch schnell weniger, wenn man die Trauer der Angehörigen aus nächster Nähe wahrnimmt. „Solche Extremsituationen bringen einen in ein Ungleichgewicht“, bestätigt auch Dr. Bettina Lampert. Der „Detached Concern“ bezieht sich auf den Umgang mit Menschen im Arbeitsalltag. Im Krematorium sind das einerseits die Verstorbenen, andererseits jedoch auch die Hinterbliebenen. Gerade gegenüber den Angehörigen sei eine „natürliche, mitmenschliche, emotionale Reaktion“ bis zu einem gewissen Punkt gesund. Und auch grundsätzlich gilt: „Ein zu viel an Empathie gibt es eigentlich nicht.“ Ohne eine Grenze zu ziehen, gerade zur Emotionalität der Angehörigen, riskiere man jedoch emotionale Erschöpfung, Burnout und das Gefühl, weniger selbstwirksam im Beruf zu sein. Martin Kohlbacher hat gelernt, die Tränen und die Trauer der Angehörigen bei den Einäscherungen auszublenden. „Man übt zu diesem Zeitpunkt einfach seinen Job aus.“ Im Alltag kann er ansonsten den Kontakt zu den Hinterbliebenen weitestgehend gering halten. Seine Hauptansprechpartner sind die Bestatter:innen.

Hinter den Öfen passiert vieles, was die Angehörigen nie zu Gesicht bekommen. Martin Kohlbacher führt mich nun eine Treppe hinunter in eine Halle, die ebenso gut Teil einer Fabrik sein könnte. Meterhohe Gerätschaften aus Eisen verstellen den gesamten Raum, Treppen führen zu höhergelegenen Bestandteilen der Maschinerie, auf kleinen Schildern mit mir fremden Begriffen wird beschrieben, worum es sich bei den Geräten handelt. Eine drückende Hitze schlägt mir entgegen. Ich frage mich, ob Martin Kohlbacher hier jeden Tag in Jeans und Hoodie arbeitet. Am Fuß der Treppe bleibt Kohlbacher vor einem dunklen Kasten stehen, den ich unbewusst sofort als einen der Öfen identifiziere. Er zieht an einem Hebel und es öffnet sich ein Guckloch, durch das ich rot-leuchtende Glut erkennen kann. Dort werden Leichen verbrannt25 – 30 Verstorbene werden pro Tag im Krematorium vivenda eingeäschert.. Als ich mich wieder umdrehe, nehme ich eine kleine Kiste auf dem Boden wahr. Sie ist bis zum Rand gefüllt mit etwas, das aus der Entfernung aussieht wie Kies und Sand. Dazwischen immer wieder größere, teils gebogene Stücke. So stelle ich mir einen Hüftknochen vor, schießt es mir kurz durch den Kopf, als ich das, was oben aufliegt, genauer betrachte. Martin Kohlbacher kniet sich neben die Kiste und nimmt ein anderes Teil heraus. „Das ist ein künstliches Hüftgelenk“, sagt er und ich stutze. Er hebt den vermeintlichen Hüftknochen hoch und schiebt das Gelenk darauf. Es passt. Hüftknochen und Hüftgelenk. Ich warte darauf, dass der Schock einsetzt. Stattdessen trete ich noch einen Schritt näher an den Aschekasten heran.

So klingt es, wenn eine beendete Kremation aus dem Ofen abgeschoben wird.

„Für mich ist es eine Berufung geworden, weil es für mich auch eine Aufgabe ist, die erfüllt gehört“, so beschreibt Kohlbacher sein Verhältnis zum Beruf. Gleichzeitig sieht er jedoch in seiner Aufgabe auch die Möglichkeit, den Menschen einen pietätvollen Abschied zu bereiten.

Auch Thies Heinrich betont, die Würde des Menschen ende nicht nach dem Tod. „Es gibt eine postmortale Würde und ein postmortales Recht eines Menschen darauf, gut behandelt zu werden“, sagt er und erkennt darin eine Kernaufgabe im Krematorium.

Krematorien in Deutschland

Nicht überall jedoch sind auch Krematorien in der Nähe. Im Landkreis Passau gibt es zwei Krematorien, eines in Aspertsham, ein zweites in Vilshofen a.d. Donau. Zum Vergleich: In der Stadt Frankfurt am Main gibt es kein Krematorium mehr.

Dr. Bettina Lampert weiß, dass sich im Lauf des Arbeitslebens jeder eigene Strategien zurechtlegt, um mit dem Erlebten umzugehen. Diese Strategien werden einem nicht beigebracht, sie sind ausschließlich individuell. Rituale spielen dabei ebenso eine große Rolle wie die Routine. Bei Mitarbeiter:innen in Krematorien kristallisierte sich insbesondere eine Strategie der Emotionsregulation heraus: die kognitive Neubewertung. Hierbei betrachten sie ihren Beruf aus einer neuen Perspektive, in deren Fokus nicht der Akt der Verbrennung, sondern die Wichtigkeit ihrer Arbeit für den Einzelnen liegt. „Ich tue hier etwas Gutes, ich begleite die Person bis zum endgültigen Ende und es soll auch das auf eine würdevolle Art geschehen“, fasst Lampert den Grundgedanken zusammen. Letztendlich wirke es auch auf die Hinterbliebenen in einem vulnerablen Moment beruhigend, zu wissen, dass mit ihren verstorbenen Angehörigen weiterhin respektvoll umgegangen wird. Trotz all der Routine.

Während Martin Kohlbacher den Aschekasten mit Hilfe eines Magneten auf metallische Überreste untersucht, wundere ich mich über meine eigene Reaktion. Wie Kohlbacher vor seiner Zeit im Krematorium habe auch ich noch nie zuvor einen Verstorbenen gesehen. Hier wurden mir die unorganischen Überreste eines völlig fremden Menschen präsentiert und was ich verspüre, ist hauptsächlich Faszination. Ich sehe mich im Raum um, der mit all seiner Technik und dem Stahl so viel weniger emotional aufgeladen ist, als ich es mir vorgestellt habe. Ich denke an Martin Kohlbachers entspannte Art, von seinem Beruf zu erzählen. An die Sicherheit, mit der er sich durch das Krematorium bewegt. An seinen persönlichen emotionalen Abstand, den er über die Monate mit viel Selbstreflexion und Routine aufgebaut hat und den er nicht müde wird zu betonen. Unterbewusst scheine auch ich, beeinflusst von all dem, eine nüchterne Perspektive einzunehmen. Trotzdem warte ich noch darauf, bis zu mir durchdringt, was ich gesehen habe. Völlig unbeeindruckt werde ich diesen Ort nicht verlassen können. Während die Asche von einer Mühle gemahlen wird, erzählt mir Kohlbacher von einem seiner ersten Besuche im Krematorium. Damals hat auch er zum ersten Mal durch das Guckloch in den Ofen geschaut. Was er gesehen hat, war ein offener Schädel. Fast zwei Jahre später nimmt er jetzt eine Urne vom Stapel und füllt die gemahlene AscheRund 6000 Verstorbene werden in Aspertsham pro Jahr dem Feuer übergeben. Im Corona-Jahr 2020 stieg die Zahl auf 6.500 Einäscherungen. hinein.

Im Lauf der Zeit hat Kohlbacher beobachtet, wie das Thema Tod so tief in der Tabuzone verschwunden ist, dass es etwas Beängstigendes an sich hat. Dementsprechend zurückhaltend sind die Leute in seinem Umfeld anfangs, wenn zur Sprache kommt, was er beruflich macht. Nach einiger Zeit jedoch wächst die Neugier und die Fragen werden mehr. Für Kohlbacher ist das ungezwungene Gespräch mit Freunden über seinen Beruf „ein erstes Brechen des Tabus“.

Kremationstechnikerinnen

Zwischen 2006 und 2019 haben insgesamt 174 Teilnehmer:innen die Weiterbildung absolviert, zwischen acht und 16 pro Jahrgang. Nur 14 davon waren Frauen. Thies Heinrich hat jedoch die Erfahrung gemacht, dass die weiblichen Kursteilnehmerinnen meist zu den besten drei bis fünf Prozent der Jahrgänge gehören.

Trotzdem können sich die meisten nicht vorstellen, in seine Fußstapfen zu treten. Thies Heinrich beobachtet dieses Zögern insbesondere auch bei Frauen. Nicht nur in der Weiterbildung zur Kremations-technikerin, sondern allgemein an den Öfen, ist die Frauenquote gering, seiner Ansicht nach jedoch wohl auch wegen der technischen Ausrichtung des Berufs.

Anja Windel ist eine der wenigen Kremationstechnikerinnen in Deutschland. Wie sie ihre Arbeit wahrnimmt, was Frauen die Arbeit im Krematorium erschwert und warum Frauen im Krematorium dem Tod oft noch näher sind als Männer, hören Sie im Podcast:


Im Gespräch: Kremationstechnikerin Anja Windel

Auf Martin Kohlbacher hatte sein Jobwechsel wiederum vor allem positive Auswirkungen, insbesondere was seine persönliche Einstellung zu Tod und Sterblichkeit betrifft. Seine tägliche Konfrontation mit dem Gedanken an das Lebensende hat einen Reifungsprozess in ihm hervorgerufen: „Ich nehm’s lockerer. Es wird nun mal so kommen. Das Leben ist nun mal endlich.“

Die Urnen werden in Spinden aufbewahrt, bis sie von den Bestatter:innen abgeholt werden.

Oben neben der Teeküche wird es auf einmal eiskalt. Ich stehe an der geöffneten Tür zum Kühlraum und nehme den Anblick von ungefähr 20 übereinander gestapelten Holzsärgen in mich auf. Vereinzelt liegen Kreuze obenauf. Ich lese die Sterbedaten an den Särgen, die mir am nächsten sind. Särge. Das ist ein Bild, das mein Unterbewusstsein schnell mit dem Stichwort Tod in Verbindung bringt. Das Gewicht dessen, was ich hier sehe, sinkt schneller ein als noch beim Aschekasten. Aber ich bleibe stehen, schaue mir nach und nach jeden der Särge an und als wir den Raum wieder verlassen, habe ich nicht das Gefühl, meine innere Grenze überschritten zu haben. An der Wand neben dem Kühlraum steht eine Reihe von Spinden. Einen davon öffnet Martin Kohlbacher. Darin: drei Urnen. Die Banalität dieser Art der Aufbewahrung überrascht mich nicht mehr. Ich schmunzle. In Kürze wird ein Bestatter kommen und die UrnenDie Bestatter:innen haben rund um die Uhr Zutritt zum Krematorium. abholen. Und dann werden alle ihre Arbeit erfolgreich beendet haben: „Am Ende des Tages hast du deinen Job gemacht und deine Berufung, wenn man’s so sagen will, erfüllt. Und dann gehst du nach Hause und hast deinen Arbeitstag erledigt wie jeder andere auch.“ Auch ich mache mich jetzt auf den Weg nach Hause. Martin Kohlbacher führt mich noch einmal vorbei an den Öfen zum Ausgang. Den Rauch rieche ich nicht mehr.

Über den Tod spreche ich selten. Das liegt nicht unbedingt daran, dass mir der Gedanke an meine eigene Sterblichkeit Angst macht. Mit meinen 21 Jahren fühlt sich für mich das Lebensende einfach meistens ganz weit entfernt an. Die Menschen, die in einem Krematorium arbeiten, werden hingegen täglich mit Tod konfrontiert. Sie üben ihren Beruf an einem Ort aus, der mir vor meiner Recherche vollkommen fremd war. Ich konnte mir weder vorstellen, wie es sich anfühlt, dort zu arbeiten, noch wie es sich für mich als Außenstehende anfühlen würde, überhaupt nur dort zu sein. Im Nachhinein hat mich mein Besuch im Krematorium in jeder Hinsicht beeindruckt. Nicht nur habe ich einen Berufszweig kennengelernt, der gemessen an seiner Wichtigkeit für die Gesellschaft zu wenig Aufmerksamkeit erhält. Ich wurde vor allen Dingen - im positiven Sinne - dazu gezwungen, mich mehr mit dem Tod auseinanderzusetzen, als ich es je getan habe.