Wahl-Deutscher

Manche wirken nervös. Vor allem die Jüngeren. Sportliche Klamotten, das Smartphone in der Hand, die Kopfhörer im Ohr. Alle haben das gleiche Ziel: Sie wollen ihre Stimme abgeben. Es ist Sonntag, der 24.September, der Tag der Bundestagswahl und das Gedränge vor dem Wahllokal nimmt zu.

Jianan Fu hingegen sitzt am Frühstückstisch. Er wirkt ausgeschlafen und redet mit ruhiger Stimme über den bevorstehenden Tag. Nervös ist er nicht, auch wenn der ehemalige Chinese heute etwas machen wird, was er noch nie getan hat. Er wird zum ersten Mal wählen gehen. Mit 37 Jahren.

Vor mehr als zwölf Jahren ist er nach Deutschland gekommen und letztes Jahr eingebürgert worden. Damit erhielt er mit etwa 107.000 weiteren Personen die deutsche Staatsbürgerschaft und somit seine Wahlberechtigung.

Für ihn ist Wählen eine Pflicht, der er nachkommt wie jeder anderen. „Erst gehe ich wählen, anschließend joggen. So kann ich das verbinden“, meint der Wahl-Deutsche. Dass er seine chinesische Staatsbürgerschaft ablegen musste, stört ihn nicht. Er könne jederzeit seine Eltern besuchen und sieht auch sonst keine Nachteile. Beruflich ist Fu schon lange in Deutschland angekommen. Seit seiner Promotion arbeitet er für einen internationalen Konzern und betreut den asiatischen Markt. So kommt er mehrmals jährlich nach China – auch als Deutscher. 

Jianan Fu gibt einen Einblick, wie es ist, als Erwachsener zum ersten Mal zu wählen, nach zwölf Jahren endlich mitbestimmen zu dürfen und warum er sich für eine Einbürgerung entschied.

 

2017 waren rund drei Millionen Erstwähler aufgerufen, an die Wahlurne zu treten. Bei „Erstwähler“ wird vorrangig an junge Deutsche gedacht, die seit der letzten Wahl die Volljährigkeit erreichten. Jedoch gelten auch Einbürgerte als Erstwähler, wenn sie nach der letzten Wahl eingebürgert wurden und 18 Jahre oder älter sind. Seit 2014 wurden 320.000 Einbürgerungen durchgeführt. Nach Aussage von Klaus Pötzsch, Sprecher des Statistischen Bundesamts, erhält man nach Abzug der Minderjährigen rund 200.000 Erstwähler.

Für Jianan Fu war der Gang in Wahlkabine nicht sonderlich aufregend, er sei nur „etwas angespannt“ gewesen. Schließlich war es seine erste Stimmabgabe – nicht nur in Deutschland. Um sich ausreichend zu informieren, nutzte Jianan nicht nur den Wahl-o-mat, sondern nahm sich extra einen Tag frei, um die Programme der Parteien zu lesen und Fernsehdokumentationen zu schauen. Von dem Wahlergebnis ist der neue Staatsbürger nicht nur enttäuscht: Er blickt mit großer Sorge auf den Einzug der AfD in den Bundestag. Er sieht aber die Chance, dass Deutschland aus dieser Situation lernt. Er hofft, die Gesellschaft bleibt weiterhin offen und liberal. Für alle Bevölkerungsgruppen.

 

[ssba]

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