Auf digitalen Schienen fahren

 

 

Es ist eine Mischung aus Entspannung  und dem Gefühl, am Ende der Welt angelangt zu sein, das sich breit macht, wenn man den Landkreis Rottal-Inn durchquert. Und eben diese gottverlassene Gegend wird bald zu einer der futuristischsten Deutschlands. Denn bald schon wird hier ein voll autonomer Bus die Fahrt aufnehmen.

EZ 10 nennt sich das Gefährt, das vom französischen Hersteller Easymile entwickelt und gebaut wurde. Ganz ohne Fahrer, aber mit zwölf Plätzen, rollt die Passagierkabine mit Elektromotor über die Straßen der Ortschaft. An Bord ist lediglich ein Operator, der als Fahrer-Ersatz das System überwacht und im Notfall eingreift. Aufgeladen wird nur über Nacht.

Die Testphase im Frühling hat der Kleinbus schon erfolgreich abgeschlossen. Jetzt fehlt noch der Feinschliff. Der Bus wird ein letztes Mal vom TÜV durchgecheckt, bevor er offiziell den Linienverkehr zwischen Bahnhof, Thermalbad, neuem Marktplatz und Konferenzgebäude aufnimmt. Der Bahnhof liegt zwei Kilometer vom Thermalbad entfernt und ein Stück außerhalb des Kurortes. Mit dem selbstfahrenden Bus wird nicht nur ein großes Stück Zukunft in den Kurort kommen, sondern vor allem eine riesige Verkehrslücke geschlossen. Im Gegensatz zu autonom fahrenden Autos ist der Bus technisch anders konstruiert.

 

Es gibt zwei Möglichkeiten, wie automatisiertes Fahren realisiert werden kann. Die eine ist, das Auto nur auf eine festgelegte Strecke zu programmieren. Dafür sind Geschwindigkeit und Strecke begrenzt. Sobald etwas Unerwartetes geschieht, bremst das Fahrzeug sanft bis zum Stillstand. Weiterfahren kann es erst nach der Freigabe durch den Operator.

Ein anderer Ansatz ist nötig, wenn das Fahrzeug flexibel eingesetzt werden soll. Nicht nur eine Strecke wird einprogrammiert, sondern alles müssen Laser, Radar, Ultraschallsensoren und Kameras erkennen und eine Reaktion daraus berechnen. Jedes Verkehrsschild muss das Gefährt erkennen und richtig reagieren. Statt zu bremsen, kann das Fahrzeug auch ausweichen und die Fahrt fortführen.

 

Die Testphase hat der Bus gut überstanden. Bald soll der Regelbetrieb starten. Mathias Kempf und Viktor Gröll sprechen über die Zukunft des Busses. Der Pressesprecher des Landkreises und der Leiter der Kurverwaltung erzählen, welche Chance der Bus für die Gegend sei. Bad Birnbach ist für die meisten Menschen ein verschlafenes Nest, aber die ideale Testumgebung für das Gefährt. Je sechs Sitz- und Stehplätze bietet der fahrerlose Wagen, der eher einer Gondel als einem Linienbus gleicht. Statt auf hektische Menschen und Großstadtleben muss der Bus eher auf Rehe und Igel reagieren, die unerwartet die Straße kreuzen könnten.

links: Viktor Gröll, rechts: Mathias Kempf

Eingreifen muss der Operator nur, wenn der Bus Probleme meldet. Selbstständig die Spur wechseln kann der Bus nicht. So zählen neben Wildüberquerungen auch unbewegliche Hindernisse – wie Baustellen und Fahrbahnverengungen – zu Situationen, die  problematisch werden könnten.

Im Gegensatz zu den meisten anderen Fahrzeugen, die früher oder später autonom fahren sollen, wird EZ 10 nur eine Strecke einprogrammiert. Entscheidungen treffen muss das System also nicht permanent, sondern nur nach Bedarf. Der Bus reagiert nicht auf alles, sondern lediglich auf Störungen dessen, was für ihn als normal festgelegt wurde.  Er muss keine Alternativrouten berechnen, keine Staus meiden, keine Straßenkarten aktualisieren und nicht mit anderen Fahrzeugen kommunizieren. Der Bus, der Teil eines Pilotprojekts der Deutschen Bahn ist, fährt auf „digitalen Schienen“, wie Pressesprecher Kempf es nennt. Auf jede noch so kleine Veränderung reagiert der Bus sofort. Dem Hersteller zufolge weiß das System über ein GPS-Signal immer auf zwei Zentimeter genau, wo es sich gerade befindet.

Auf die Frage, wie der Verkehr der Zukunft aussehen kann, beschreibt Viktor Gröll seine Visionen vom Fahren und gefahren werden in der Zukunft. Er sehe etwa eine Chance in der Kommunikation von Fahrzeugen mit Ampeln, die den Verkehrsfluss optimieren. Technisch umsetzbar ist das noch lange nicht.

Eine weitere Vision ist es, den Bus flexibler fahren zu lassen. Besonders für die zahlreichen älteren Anwohner der kleinen Dörfer im Landkreis wäre langfristig ein Modell, wie man es vom Flexi-Bus kennt, ideal. Kein fester Fahrplan, immer auf Abruf bereit und stets eine Haltestelle in der Nähe. Doch auch das ist weit vorgegriffen. Zwar fährt der Bus ohne Fahrer, doch um andere Strecken zu fahren, müsste die Technik im Bus anders angelegt sein. Für die Zukunft wünschenswert sei der flexibel einsetzbare Elektrobus allemal.

„Die Reise kann dahin gehen, dass die Fahrt irgendwann auch ohne Operator möglich ist und kein Fahrer mehr an Bord ist, sondern das Fahrzeug von einer Zentrale überwacht und zur Not auch ferngesteuert wird“, erklärt Mathias Kempf. Allerdings räumt Kempf dieser Entwicklung noch ein paar Jahrzehnte ein.

Die Hürden auf dem Weg in die Zukunft waren keineswegs alle technischer Natur. Ohne gesetzliche Grundlage und standardisierten Zulassungsprozesse war es schwer, ein  Nummernschild für den Bus zu bekommen. Viel Überzeugungsarbeit gegenüber den Behörden musste geleistet werden, um das Projekt zu realisieren. Dass sich die Arbeit gelohnt hat, da sind sich Kempf und Gröll einig.

Viel Trubel wird der Bus nicht mit sich bringen. Denn mit seinen maximal 20 km pro Stunde ist der Bus vor Geschwindigkeitsüberschreitungen sicherer als jeder menschliche Fahrer.

Impressionen der Testphase von EZ 10:

Bei den verwendeten Bildern handelt es sich um Pressefotos.

[ssba]

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