Ohne Limit – The Paradox of Choice

Heute ist alles eine Entscheidungsfrage. Nichts wird erzwungen. Es gibt keine sozialen oder gesellschaftlichen Normen, die unser Verhalten vorgeben. Wir haben absolute Freiheit – in allen Lebensbereichen. -Barry Schwartz

Barry Schwartz, ein Psychologe und Professor für soziale Theorie und soziales Verhalten aus Pennsylvania, geht in seiner Theorie „The Paradox of choice“ davon aus, dass uns diese Freiheit nicht immer zugute kommt. Wo es früher zwei oder drei Alternativen zu einem Produkt gab, existieren heute hunderte. Das Warenangebot ist unbegrenzt. Die grenzenlose Entscheidungsfreiheit habe auch ihre Schattenseiten, sagt Schwartz. Der Alltagsmensch wird erdrückt von Möglichkeiten und fühlt sich unfähig, sich auf eine festzulegen. Werbung weckt unser Bewusstsein für immer neue und vermeintlich bessere Produkte und macht dabei selbst kleine Entscheidungen zu anscheinend unlösbaren Problemen. Wie sehr uns solche kleinen Entscheidungen des täglichen Lebens aus der Bahn werfen können, hat auch Schwartz erlebt.

Skype-Interview mit Barry Schwartz

Benjamin Scheibenhenne vertritt einen anderen Ansatz als Schwartz. Der Schweizer Psychologe forscht im Bereich Entscheidungsfindung und Kaufverhalten. Die Annahme, dass sich zu viele Optionen immer negativ auswirken, hält er für nicht verallgemeinerbar. Der von Schwartz angesprochene Entscheidungsdruck, der viele belastet, komme nicht immer von der zu großen Auswahl. „In vielen Alltagssituationen tritt dieses Phänomen jedenfalls nicht auf und es gibt auch Fälle, in denen das Gegenteil eintritt. Negative Effekte von zu großer Auswahl scheinen mir eher die Ausnahme zu sein“, sagt Scheibenhenne. Auch die riesige Informationsmasse, die unfreiwillig auf jeden Konsumenten einströmt, könne die Ursache für Entscheidungsprobleme sein. Obwohl Scheibenhennes Studien Schwartz‘ Zusammenhang zwischen der Angebotsvielfalt und dem Entscheidungsdilemma widersprechen, hält Schwartz an seiner Theorie fest.

Der Zusammenhang wird nicht in jeder Studie und jedem Kontext gefunden. Dennoch habe ich keine Zweifel, dass der Zusammenhang besteht. -Barry Schwartz

Wie gehen wir mit der Angebotsmasse um?

Schwartz unterscheidet zwei Wege an das Entscheidungsdilemma heranzugehen. Die einen wollen nicht nur immer mehr, sie wollen alles. Nicht irgendwas, sondern das Beste muss es sein. „Maximizer“ nennt Schwartz diesen Typus Mensch, der sich mit nichts zufriedengeben kann. Und im Gegensatz zu Satisficern auch nie zufrieden sein wird. 

Satisficer orientieren sich an niedrigeren Standards als Maximizer. Nicht das Beste, sondern das Angemessenste wird angestrebt. Nicht perfekt, sondern praktisch müssen die Produkte sein. Gibt man sich mit einem Produkt zufrieden, wird man die Kaufentscheidung nicht bereuen. Dann das Bedürfnis, ein noch besseres Produkt zu finden, kommt nicht auf. 

Skype-Interview mit Barry Schwartz

Die Grenze zwischen den beiden Typen ist fließend. Eine klare Trennung zwischen Maximizern und Satisficern ist meist nicht möglich. Die wenigsten Menschen gehören fest zu der einen oder anderen Kategorie. Wer zum Maximizing tendiert, entscheidet anders als ein zum Satisficing Tendierender. Dennoch kommt es vor, dass ein Satisficer in manchen Fällen entscheidet wie ein Maximizer und umgekehrt.

In einigen Situationen ist es unvorstellbar, sich mit einer Option abzugeben, die ‚gut genug‘ ist. Solche Entscheidungsprobleme kommen vor allem auf, wenn die Entscheidung nicht wiederholbar oder der Anlass einmalig ist.

Wie zum Beispiel die eigene Hochzeit. Der Hochzeitstag  soll rundum perfekt sein. Es ist für viele einer der wichtigsten Tage im Leben. Dementsprechend werden an den Hochzeitstag extrem hohe Ansprüche gestellt. Es soll der perfekte Tag am perfekten Ort, mit dem perfekten Essen und vor allem im perfekten Kleid sein. Obwohl das Kleid nur ein einziges Mal getragen werden soll, muss jedes Detail stimmen. Die hohen Erwartungen führen bei vielen dazu, dass der Kleiderkauf ein sehr langer und teurer Prozess wird. Vanessa Müller ist bei ihren Hochzeitsvorbereitungen hingegen anders vorgegangen. Während viele von Laden zu Laden gehen, um so viele Kleider wie möglich anzuprobieren, hat sie sich sehr schnell festgelegt. Schon im ersten Laden hat sie sich für ein Kleid entschieden. 

Gut genug statt Perfektion

Schwartz hätte sich ähnlich verhalten. Er bezeichnet sich selbst als Satisficer. Er hat gelernt, den Druck aus seinen Entscheidungen zu nehmen, indem er seine Auswahlmöglichkeiten vorab reduziert.

Ob man in unserer Leistungsgesellschaft als Satisficer überhaupt bestehen kann? Es sei nicht einfach, aber möglich, meint Schwartz.

Unsere Gesellschaft ist in allen Bereichen auf Optimierung und Maximierung ausgelegt. Unser kompletter Zeitgeist ist darauf ausgerichtet, dass man sich niemals mit weniger als dem Besten zufriedengeben sollte. -Barry Schwartz

Dennoch kann man lernen, ein Satisficer zu sein. Der Lernprozess erfordert die Bereitschaft, seine Entscheidungsgewohnheiten zu ändern, intensiv an sich zu arbeiten und sich von seinen Routinen zu lösen. Man muss damit rechnen, mit Vorwürfen konfrontiert zu werden. „Die Leute werfen einem Bequemlichkeit und mangelnde Ansprüche vor“. Um seine Entscheidungen weniger zu bereuen, muss man seine Standards auf ein realistisches Maß reduzieren. Dazu gehört auch, seine Entscheidungen nicht aufzuschieben, sondern sie zu treffen.

[ssba]

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