41 Brüder und eine Beziehung mit Christus

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Wie entscheidet man sich, wenn man vor der Wahl steht, entweder die Frau zu verlassen, mit der man sich ein gemeinsames Leben wünscht, oder immer das Gefühl zu haben, dass man eigentlich im Kloster leben sollte?

Das ist die Geschichte von Pater Benjamin.
Es ist aber auch die Geschichte des Klosters Göttweig, die Geschichte seiner Berufung.

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Wenn die Glocke in der kleinen Kirche im niederösterreichischen Mitterarnsdorf zu läuten beginnt, fühlt es sich an, als säße man in einem gigantischen Herz.

Jedem Glockenschlag geht das dumpfe Motorengeräusch der Schlagmechanik voraus, ein tiefes Wummern, das die Kirche erfüllt, gefolgt vom Schlag der Glocke, hell und durchdringend. So regelmäßig wie die Schläge eines gesunden Herzens wechseln sich Schlag und Wummern ab und durchströmen dabei die Kammer des gotischen Innenraums, der von einem Rippengewölbe aus dunklem Stein überspannt wird. Auch wenn die Glocke verstummt ist, scheint die Erinnerung an ihren Ton noch in den weiß verputzten Steinwänden nachzuhallen.

Es ist ein Donnerstagabend im September, das Sonnenlicht ist schon hinter den in Frucht stehenden Weinbergen und den sich zunehmend entlaubenden Marillengärten verschwunden, aber nicht, ohne zuvor noch das träge dahinfließende Wasser der Donau hell aufglänzen zu lassen. Für einen kurzen Moment sieht es beinahe so aus, als schneide ein Band aus hellem Licht durch die Hügel, die mit noch immer grün belaubten Buchen bewachsen sind. Der Fluss wird zu einem gleißenden Strom, an dessen Ufern sich kleine Dörfer drängen, oft nur wenige Häuser groß, immer aber mit der schlanken Silhouette eines Kirchturms gekrönt.

Mitterarnsdorf ist mit 176 Einwohnern eher überschaubar. Das zeigt sich auch in der Dorfkirche: Bänke gibt es dort nicht, stattdessen sind hölzerne Klappstühle auf dem gemauerten Boden aufgestellt. Dreiunddreißig für die Kirchenbesucher und einer für den Priester. Zehn der Besucherstühle sind besetzt und die knapp 50-jährige Frau mit dem tiefroten Mantel in der zweiten der insgesamt fünf Reihen senkt den Altersschnitt bereits drastisch.

Sie ist es auch, die am Ende des Gottesdienstes einige wenige Tränen aus den Augen wischt, als der Priester verkündet, dass dies sein letzter Gottesdienst in der Pfarrei sein wird. Wie die anderen Gläubigen zu dieser Nachricht stehen, lässt sich nur schwerlich sagen. Die Arme verschränkt starren sie unter buschigen Augenbrauen und zunehmend weniger werdenden weißen Haaren heraus mehr ins Leere als auf den barocken Hochaltar oder die mittelalterlichen Wandmalereien. Das hat aber wahrscheinlich weniger damit zu tun, dass sie den Priester nicht leiden könnten, sondern eher damit, dass sie es inzwischen gewohnt sind, dass die Pfarrer und Kapläne in ihrem Ort häufig wechseln. Mitterarnsdorf wird von den Brüdern des Benediktinerstifts Göttweig betreut und den Priestern unter ihnen wird nicht selten alle zwei bis drei Jahre eine neue Pfarrei zugeteilt. Auch Pater Benjamin, der heute seine letzte Messe hier hält, ist Benediktiner aus Göttweig.

 

Weithin sichtbar thront Göttweig über der Wachau, eher einem Schloss als einem Kloster gleichend. Mit seinen tiefroten Dächern, dem gelben Ton der Außenwände und den Zwiebeltürmen ist es neben Stift Melk das Sinnbild eines österreichischen Klosters schlechthin. 42 Mönche leben hier, nach den Regeln des heiligen Benedikt von Nursia: Ora et labora et lege – bete und arbeite und lies. Besonders das und ist von Bedeutung, alle drei Teile gehören zum Leben der Benediktiner.

Zeiten des Gebets haben die Mönche sechsmal am Tag, die erste um 6.00 Uhr mit der Laudes und die letzte, die Komplet, um 19.30 Uhr. Die Gebete stützen sich vor allem auf das Buch der Psalmen. Im Laufe von vier Wochen beten die Brüder alle 150 Psalmen der Bibel, die freudigen ebenso wie die schmerzerfüllten, die hoffnungsvollen und die verzweifelten. Sie beten aber nicht nur für sich selbst, sondern für alle Menschen in all ihren Lebenslagen, die sich alle an irgendeiner Stelle in den Psalmen finden lassen.

Arbeiten bedeutet in Göttweig vor allem Seelsorge als Pfarrer oder Kaplan in den über 30 Pfarreien, die vom Kloster betreut werden – fast alle Brüder sind geweihte Priester und werden dann auch Pater genannt. Wer kein Priester ist trägt den Titel Frater. Einige der Brüder übernehmen allerdings auch Aufgaben im Kloster selbst: Pater Johannes Paul arbeitet im Exerzitienhaus, Pater Maurus ist der Leiter des klösterlichen Forstamtes und Pater Benjamin ist als Seelsorger für das Jugendhaus in Göttweig zuständig.
Außerdem gibt es Wochendienste für die Brüder: Das Aufdecken bei Tisch, die Lesung aus Bibel und den Regeln des heiligen Benedikt vor und nach den Mahlzeiten oder das Anstimmen der Gebete.

Lege – lies – ist die Aufforderung an die Mönche, auch Zeit für sich selbst einzuplanen, für die eigenen Interessen und Bedürfnisse.

Nach einigen Jahren hat ein Novize die Möglichkeit, mit der Profess feierlich in die Gemeinschaft einzutreten und gelobt in diesem Zug – zunächst für drei Jahre, in einer zweiten Zeremonie dann lebenslang – Keuschheit, Gehorsam, Demut, Armut und am wichtigsten: Beständigkeit.

Dieses Beständigkeitsgelübde bedeutet, dass die Brüder nicht nur Benediktiner sind, sondern Benediktiner von Göttweig. Sie treten in eine ganz bestimmte Gemeinschaft ein und sollen ihr Leben in dieser Gemeinschaft verbringen und dort ihr Zuhause haben.
Das Armutsgelübde begreifen die Benediktiner als Verwaltung der Dinge. Mit der zweiten, der sogenannten ewigen Profess geht der Besitz eines Bruders in den Besitz der Gemeinschaft über. Der einzelne Mönch verwaltet diese Dinge nur für die Gemeinschaft und ist dazu angehalten, sie zum Wohle der Gemeinschaft zu nutzen.

Benedikt von Nursia hat all diese Regeln und Grundsätze festgesetzt und damit das Mönchstum in Europa ganz entscheidend geprägt. Göttweig aber war zuerst elf Jahre lang eigentlich ein Augustinerkloster, vom Passauer Bischof Altmann um 1080 gegründet. Erst später entschlossen sich die Brüder dort, den Regeln des heiligen Benedikt zu folgen.

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Göttweig ist Benjamins Zuhause, das Leben als Mönch seine Berufung. Wenn er durch die langen Gänge mit den hohen Decken geht, immer mit schnellen Schritten, als wäre er in Eile. Wenn er zwischendurch trotzdem stehen bleibt und sich die Zeit nimmt, aus den alten staubigen Fenstern zu blicken, durch die er auf den Innenhof des Klausurbereichs sehen kann. Dort bauen die Mönche Marillen und Weintrauben an, gerade so viel, dass es zur Erntezeit im Sommer und im Herbst für den Obstteller beim Mittagessen reicht. Wenn bei jedem Blick hinaus einer der Türme von Göttweig seine Aufmerksamkeit in den Bann zieht. Diese Türme, die anscheinend von jedem Ort im Kloster aus gesehen werden sollen. Wenn sein Blick über die Schindeln gleitet, die mit ihrem dunklen Rot aus dem hellen, wolkenverhangenen Himmel herausstechen. Dann lächelt er.

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Benjamin
Sein Klostername gefällt ihm vor allem deswegen, weil Benjamin in der Geschichte der Söhne Jakobs (Gen 37-45) der jüngste der Brüder ist und trotz allem der, der seine Familie retten kann.

Benjamin ist hier zuhause, aber das war nicht immer so. Nicht nur, weil Benjamin eigentlich Johann heißt, aus Purk im Waldviertel stammt und erst nach seiner Ausbildung zum Schlosser ins Kloster eingetreten ist. Benjamin ist wieder ausgetreten. Er ist wieder ins Arbeitsleben zurückgekehrt, hat sich sogar verliebt und mit seiner Freundin zusammengelebt, er hat sich in der Feuerwehr und in der Landjugend engagiert. Zwei Jahre lang – bis er wieder den Ruf des Klosters verspürt hat. Es ist keine leichte Entscheidung, vor die er sich gestellt sieht, auf der einen Seite die Frau, die er liebt, ein guter Job, die besten Voraussetzungen für ein glückliches Leben, andererseits das unbestimmte, ungreifbare Gefühl, noch nicht den Platz gefunden zu haben, an den er gehört, noch nicht zu tun, was zu tun ihm wirklich bestimmt ist. Es ist keine Entscheidung für einen Moment, nichts, das er später wieder ändern kann, er muss sich die Wahl treffen, wie er sein Leben künftig verbringen will. Aber keine der beiden Varianten kann ihm irgendeine Sicherheit geben, dass er glücklich wird, wenn er sich für sie entscheidet.

Wenn er die Liebe aufgibt und ins Kloster geht, kann es trotzdem sein, dass er dort nicht das findet, was er sucht. Er kann am Ende ganz allein dastehen. Wenn er sich aber gegen das Kloster und für eine Zukunft mit Frau und Kindern entscheidet, kann ihm niemand garantieren, dass er so das Gefühl los wird, nicht dorthin zu gehören.

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„Irgendwann in deinem Leben bist du halt an dem Punkt, an dem du nicht mehr auf Nummer Sicher gehen kannst. An dem du dich entscheiden musst.“

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Vor diese Wahl gestellt, beginnt Benjamins Kraft zu schwinden, er merkt, dass seine Beziehung darunter leiden wird, wenn er sich nicht bald entscheidet. Und er folgt dem Ruf des Klosters, seiner Berufung, auch deshalb, um seiner Freundin weiteren Schmerz zu ersparen. Er will sie nicht noch tiefer mit in sein Dilemma hineinziehen. Und sie hat Verständnis für seine Entscheidung, hat sein Ringen mit sich selbst schon lange bemerkt und versucht, ihm den Raum zu geben, den er braucht, damit er sich nicht eingeengt fühlt, sodass er frei entscheiden kann.

Benjamin hat sich entschieden. Er geht wieder nach Göttweig, aber zuerst nur mit den Füßen. Sein Herz hängt noch an ihr, seine Träume von einer gemeinsamen Zukunft lassen sich nicht einfach ablegen. Viele Monate dauert es noch, bis er mit all seinen Gedanken in Göttweig angekommen ist, dieses Mal vollständig und zumindest bis jetzt auch endgültig.
Dass Mönche die klösterliche Gemeinschaft verlassen, ist zwar nicht gang und gäbe, aber es ist auch nicht ungewöhnlich. Auch Brüder, die schon lange im Kloster sind, verlassen es, weil sie sich in der Gemeinschaft nicht mehr wohlfühlen, weil sie sich verlieben oder aus vielen anderen persönlicheren Gründen.

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„Ich hab noch ganz wichtige Erfahrungen machen müssen, bevor ich zurück ins Kloster gegangen bin. Ich hab in der Zeit erfahren, was Liebe ist.“

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Aber nicht alle, die das Kloster verlassen, finden, was sie sich außerhalb der Gemeinschaft erhofft haben. Sie leben allein und enttäuscht und brechen meist nach einiger Zeit jeden Kontakt mit den Brüdern ab. Den meisten ehemaligen Mönchen ist aber der Kontakt zum Kloster weiterhin wichtig. In Göttweig gibt es sogar ein Ehemaligenprogramm, in dessen Rahmen die Aussteiger und die Mönche der Gemeinschaft sich immer wieder treffen, auch die Familien der Ehemaligen sind eingeladen.

Für Benjamin steht ein erneuter Austritt überhaupt nicht zur Debatte. Er ist berufen, Mönch zu sein und er ist glücklich damit.

[ssba]

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