Von Populisten und Spaltern

Warum finden antidemokratische Gedanken immer mehr Anklang in westlich-liberalen Gesellschaften? Wieso erstarken dort rechte Kräfte? Und weshalb spielen Fakten in der Politik eine immer kleinere Rolle? Die westliche Welt ist gespalten wie nie, politische Kräfte sorgen für eine tiefe Kluft in den jeweiligen Gesellschaften. Hier wird ein Überblick zur Thematik verschafft. Von Europa und seinem Wirrwarr in den politischen EU-Organen geht es über Deutschland mit seinem Phänomen „Alternative für Deutschland“ bis in die USA, zu ihrem prominentesten Redenschwinger Donald Trump.

Trotzdem soll hier weder das Ende prophezeit, noch der Eindruck erweckt werden, dass die westliche Demokratie kurz vor ihrem Untergang steht. Zumindest der Politikwissenschaftler Michael Oswald, der an der Universität Passau Extremismus-Forschung betreibt, kann dem Rechtsruck hierzulande und der zunehmenden Radikalität im politischen Diskurs etwas Positives abgewinnen: „Es ist interessant zu beobachten, dass Phänomene wie die AfD die demokratischen Elemente eigentlich stärken, zum Beispiel durch höhere Wahlbeteiligung“, sagt er. Auf der anderen Seite sei es natürlich so, dass Rechtspopulisten viel am politischen Klima beeinflussen würden. Das müsse genau beobachtet werden. „Auch im Deutschland der 60er und 70er Jahre hatten wir starke rechte Bewegungen“, erklärt er. Im Moment sehe man sie nur extremer. Insgesamt habe Deutschland grundsätzlich ein Potential für Rechtspopulismus von bis zu 20 Prozent.

Popularität der Populisten

Und da ist der Begriff schon wieder: Populismus. So oft, wie er in den Zusammenhang mit der momentanen Tagespolitik gebracht wird, scheint eine Begriffsklärung angebracht. Oswald bezeichnet Populismus als ein politisches Stilmittel, „bei dem komplexe Sachverhalte auf einfache Ursachen heruntergebrochen werden.“ Bezeichnend sei, dass politischen Akteure sich oft als Menschen des „einfachen“ Volkes präsentieren und von der herrschenden politischen Elite abgrenzen würden. Ein weiteres Merkmal: provokante Äußerungen, die bewusst Grenzen überschreiten.

Dass Populismus nicht nur am politisch rechten Rand zu finden ist, lässt sich einfach anhand emotionaler Seehofer-Reden oder Debatten im britischen House of Commons beweisen. Beinahe jeder Politiker verwendet ein ums andere Mal das Stilmittel des Populismus. Hier ein paar besonders herausstechende Beispiele von extremen Äußerungen im EU-Parlament:

Bei so viel angestauter, verbaler Aggression, die sich innerhalb 60-sekündiger Redezeiten entlädt, stellt sich die Frage: Sind die Europäer wirklich so unzufrieden mit ihrer EU? Dem geht Boris Heizmann vom GESIS – Leibniz Institute for the Social Sciences aus Mannheim nach. Er war an der Herausgabe des letzten Eurobarometer beteiligt, einer regelmäßig erscheinenden, öffentlichen Meinungsumfrage in den Ländern der EU. Ein großes Problem, dem die EU sich gerade stellen muss, ist seiner Meinung nach Fremdenfeindlichkeit. „Fremdenfeindlichkeit ist etwas sehr facettenreiches“, erklärt er. Dabei gehe es manchmal um die Angst vor der Überfremdung, also Angst um die Kultur oder um Konkurrenz um Arbeitsplätze. Die repräsentative Eurobarometer-Umfrage, die von der EU-Kommission in Auftrag gegeben und der Beobachtung und Herausbildung der Meinungsentwicklung unter der europäischen Bevölkerung dient, zeichnet ein optimistischeres Bild. Die Stimmung scheint gut zu sein, nur wenige Länder positionieren sich mehrheitlich EU-feindlich.

Daneben spiegeln aber auch Wahlen das Stimmungsbild eines Landes wider. Dabei zeigt sich ein anderer Trend: bei den Europawahlen haben es viele fremdenfeindliche und europakritische Parteien ins EU-Parlament geschafft. Zwar haben auch kleine Parteien mit wenigen Anhängern gute Chancen, dort ein Mandat zu gewinnen (in Deutschland liegt die Prozenthürde bei etwa einem Prozent), trotzdem zeigt die große Anzahl der EU-Skeptiker, dass weite Bevölkerungsteile kaum Vertrauen in die Arbeit des Staatenverbundes haben. Inzwischen spielen fast ein Viertel der Abgeordneten mit dem Gedanken, sich selbst abzuschaffen. Das Ziel ihrer Arbeit im EU-Parlament ist die Abschaffung genau desselben. Sie organisieren sich in den Fraktionen EKR (Europäische Konservative und Reformer), EFDD (Europa der Freiheit und der direkten Demokratie) und ENF (Europa der Nationen und Freiheit). Manche der Populisten sind aufgrund ihrer radikalen Ansichten sogar fraktionslos.

Die AfD: Wenn der rechte Rand auf die Mitte trifft

Die große Menge europa- und fremdenfeindlicher Parteien ist nicht zu leugnen. Was macht das mit Europa? Die AfD aus Deutschland zeigt beispielhaft, welche Werte populistische Parteien vertreten, welche Ängste sie aufgreifen und zu ihren Zwecken nutzen und welche Auswirkungen das auf den politischen Diskurs hat.

Dresden: Früher und Heute

19. Dezember 1989: Tausende von Menschen strömen mit Deutschlandfahnen nach Dresden und versammeln sich vor der Ruine der Frauenkirche. Getrieben von der Hoffnung nach einem vereinten Deutschland ertönen laute Sprechchöre. „Helmut, rette uns!“ fordern die Menschen vom damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl. Er antwortet: „Ich gehöre zu jener jungen Generation, die nach dem Krieg geschworen hat – wie hier auch – nie wieder Krieg, nie wieder Gewalt. Und ich möchte hier vor Ihnen diesen Schwur erweitern, indem ich Ihnen zurufe: Von deutschem Boden muss in Zukunft immer Frieden ausgehen – das ist das Ziel unserer Gemeinsamkeit!“ Die Menschen brechen in Jubel aus.

26 Jahre nach der Einheit des geteilten Deutschlands wird in Dresden noch immer gefeiert, um diesem besonderen Tag zu gedenken. Wie einst Helmut Kohl steht auch Bundeskanzlerin Angela Merkel im Fokus der Menschen, die sich bereits morgens am Neumarkt vor der Frauenkirche versammeln. Auch heute sind laute Sprechchöre zu vernehmen, anders als bei Kohl sind diese jedoch nicht euphorisch. „Merkel muss weg!“ und „Abschieben“ sind die Forderungen von heute. Die Wutbürger machen ihrem Ärger über die Kanzlerin und ihre Flüchtlingspolitik Luft.

Lautstarke Proteste lassen sich auch in Stuttgart vernehmen. Zum Tag der deutschen Einheit versammeln sich auch die AfD und ihre Anhänger in Stuttgart. Partei-Vorsitzende Frauke Petry erinnert an die Zustände der DDR und zieht Parallelen zur momentanen Lage in Deutschland. Sie spricht von der „abgehobenen Politikerkaste“, die die Sorgen und Ängste der Bürger ignoriert und von der „Lügenpresse“, die nicht die Wahrheit sagt: „Die materielle und kulturelle Substanz des Landes wurde systematisch verramscht, um noch ein paar Jahre auf dem politischen Irrweg weiter marschieren zu können.“

Welche Werte vertritt die AfD?

In populistischer Manier verbreitet die Alternative für Deutschland seit 2013 ihre Ansichten in der Öffentlichkeit. Anfangs vor allem Euro-skeptisch, bewegt sich die Partei heute am rechten Rand des politischen Spektrums und ist bekannt für Provokationen. Das Ziel der AfD: „den Egoismus überwinden und wieder ein gemeinschaftsorientiertes Werte-, Sitten- und Normengefüge leben“, sagt Björn Höcke, Vorsitzender der AfD-Landtagsfraktion, 2014 in Thüringen. Welche Werte damit genau gemeint sind, bleibt offen. Ein Grund mehr, im Detail nachzufragen: Welche Werte vertritt diese Bewegung, die in Deutschland gerade erstarkt, eigentlich?

Deutsche Leitkultur und deutsche Religion

Stefan Möller, parlamentarischer Geschäftsführer der AfD-Fraktion im Thüringer Landtag, nennt als einen der zentralen Werte seiner Partei die deutsche Leitkultur. „Das sind die gebündelten Traditionen, sittlichen Gesetze, die Lebensweise, die wir in Deutschland seit Jahrhunderten weiterentwickelt haben,“ erklärt Möller, „da zählen ganz grundlegende Dinge dazu, wie zum Beispiel unsere freiheitlich demokratische Grundordnung, die relativ neu rein gekommen ist. Aber auch viele alte und neuere Traditionen.“ Konkret auf die Freiheit angesprochen, verstrickt er sich in Widersprüche. Zunächst weist er entschieden zurück, dass die Freiheit Deutscher höher einzustufen sei, als jene ausländischer Mitbürger. Grundsätzlich gilt aber: „Wie die Regeln sind, bestimmen wir.“. Der Islam hingegen sieht in seiner Glaubensvorstellung keine Trennung zwischen „Religion, Staat, Recht und Rollenverständnis“ und genau darin liege das Problem mit dem Islam. Eine parallele Existenz zum Christentum möchte man in der AfD zwar nicht ausschließen, aber sobald sich diese öffentlich zu erkennen gebe, berühre sie die „negative Religionsfreiheit, beispielsweise des Atheisten“.

Die AfD ist mit ihren Überzeugungen nicht nur in den Städten erfolgreich. Schon längst ist sie auch in der Provinz angelangt. Ursula Bachhuber hält vor allem die freie Meinungsäußerung für einen der wichtigsten Werte der Partei. Ob die Meinung von Muslimen in der AfD zu Wort kommt, weiß die ehemalige Vorsitzende des Kreisverbandes AfD Passau/ Freyung-Grafenau allerdings nicht, vermutet aber „eher nicht“.

Stefan Möller, Parlamentarischer Geschäftsführer der AfD-Fraktion im Thüringer Landtag zum Thema Familie

Vater – Mutter – Kind: Das traditionelle Familienbild der AfD

Der von der AfD vielfach angesprochene Erhalt der Traditionen zeigt sich auch in ihrem Familienbild. Als „Keimzelle des Staates“ oder „Pfeiler“ wird diese gerne von ihr bezeichnet. So steht es auch im Parteiprogramm. Dort bekennt sich die AfD zur traditionellen Familie als Leitbild. Ehe und Familie stehen für sie zu Recht unter besonderem Schutz. Ganz so eng sieht es Möller mit der Ehe von Paaren mit Kindern aber nicht: „Ob die verheiratet sind, ist mir, ehrlich gesagt, egal“. Die Hauptsache sei für ihn, dass Deutschland wieder mehr Kinder bekomme. Es gehöre „zur normativen Kraft des Faktischen“, dass  beispielsweise Homosexuelle dazu eben nicht viel beitragen könnten. Laut Grundsatzprogramm der AfD verstärkten höhere Geburtenraten unter Migranten im Vergleich zu deutschstämmigen Frauen den ethnisch-kulturellen Wandel zusätzlich. Die Familienpolitik der AfD lässt sich also folgendermaßen zusammenfassen: Kinderreichtum von Deutschen ist ein wichtiges Bollwerk gegen Zuwanderer.

„Der Islam gehört nicht zu Deutschland“

„Ich will, dass auch für meine Enkel hier zu Hause noch das Geläut der Kirchenglocken das geistliche Geräusch ist, das sie hören, und nicht der Ruf des Muezzins,“ sagt AfD-Bundesvorsitzender Jörg Meuthen im April 2016. Laut dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge liegt der Durchschnitt der Islamzugehörigkeit der zehn zugangsstärksten Länder bei 73,1%. Eine daraus resultierende sogenannte „Überfremdung“ ist aus Sicht der AfD eine große Gefahr für die deutsche Kultur. Denn „der Islam gehört nicht zu Deutschland“, ist im Parteiprogramm der AfD klar nachzulesen. Eine besondere Gefahr geht für Möller dabei von Islamisten aus. „Wenn Sie einen hohen muslimischen Bevölkerungsanteil haben, dann werden Sie immer einen erheblichen Anteil Islamisten haben. Denn das Eine folgt dem Anderen“, erklärt er. Doch laut dem Bundesministerium des Inneren zeigten 2014 gerade mal 43.890 Menschen islamistische Tendenzen. Dies entspricht 1,1 Prozent der in Deutschland lebenden muslimischen Bevölkerung.

Asylanträge

Christliche Werte spielen für die Politik der AfD hingegen eine große Rolle. „Ich definiere mich primär als Christ“, erklärt Bachhuber. Sie begegne Mitmenschen so, wie sie selber behandelt werden wolle. Das sei ihr Grundprinzip.  Auch im Parteiprogramm wird auf die Diskrepanz zwischen Christentum und Islam aufmerksam gemacht. „Minarett und Muezzinruf stehen im Widerspruch zu einem toleranten Nebeneinander der Religionen, das die christlichen Kirchen in der Moderne praktizieren,“ und seien somit eine Bedrohung der deutschen Werteordnung.

Christliche Werte spielen für die Politik der AfD hingegen eine große Rolle. „Ich definiere mich primär als Christ“, erklärt Bachhuber. Sie begegne Mitmenschen so, wie sie selber behandelt werden wolle. Das sei ihr Grundprinzip.  Auch im Parteiprogramm wird auf die Diskrepanz zwischen Christentum und Islam aufmerksam gemacht. „Minarett und Muezzinruf stehen im Widerspruch zu einem toleranten Nebeneinander der Religionen, das die christlichen Kirchen in der Moderne praktizieren,“ und seien somit eine Bedrohung der deutschen Werteordnung.

Parolen, Trillerpfeifen und Plakate

Auch Höcke bringt die Position der AfD auf den Punkt: „Entweder passt sich der Islam in Europa und in Deutschland unseren rechtsstaatlichen Normen, unseren Sitten, Werten und Normen an – oder er muss verabschiedet werden.“ Solche Parolen werden inzwischen immer häufiger mit den nationalsozialistischen Reden von Joseph Goebbels verglichen. Der Sprachduktus der AfD ist jedenfalls eingängig. Während ein Teil der Bevölkerung wie am Tag der Deutschen Einheit in Dresden die Parolen lautstark wiederholt, halten 45% der Deutschen laut einer Umfrage von N24 für verfassungswidrig. Bachhuber kann diese Ablehnung gegenüber ihrer Partei nicht verstehen: „Ich glaube es ist nicht die Sprache, die eigentlich sogar am allerwenigsten. Der Sprachduktus und auch die Art, wie man spricht, sind unterschiedlich. Das beste Beispiel ist Björn Höcke. Man hat seine Sprachmelodie mit der von Göbbels verglichen. Ein bisschen infam ist es, dass man da eine inhaltliche Nähe hergestellt hat.“

Was Björn Höcke so antreibt? Ein Überblick. (Anm.: Die einzelnen Sequenzen sind Ausschnitte ganzer Reden und teilweise dem Kontext entnommen)

Grundrechte wie die Meinungs- oder Religionsfreiheit sind elementare Werte unserer westlichen Welt. Eine Nation muss auch Gedanken aushalten können, die sich am äußeren Rand des politischen Spektrums befinden, denn eine Demokratie ohne Pluralismus ist nicht möglich. Dennoch gibt es Grenzen. Die Frage ist, wo diese zu ziehen sind und die AfD Teil der deutschen Wertegemeinschaft sein kann, obwohl sie den Islam diffamiert. Verhalten sich Menschen, die mit Hassparolen wie „Hau ab!“ und „Volksverräter!“ auf der Straße demonstrieren, im Sinne unseres Grundgesetzes? Sie scheinen jedenfalls die Bedeutung des 3. Oktober nicht verstanden zu haben. Eine Einheit ist in Dresden an diesem Jahrestag nicht spürbar.

Das „C“ in CSU

Anlässlich zum Tag der deutschen Einheit erinnert die CSU an den Wert der Freiheit, der in der ehemaligen DDR nicht selbstverständlich war und es auch heute noch in vielen Teilen der Welt nicht  ist. Die Christliche-Soziale Union legt bereits in der Präambel ihres Grundsatzprogrammes fest, dass sie sich in der „Verantwortung vor Gott und den Menschen verpflichtet“ sieht. Dr. Günther Beckstein, ehemaliger bayerischer Ministerpräsident, betont ebenfalls die Wichtigkeit der christlichen Werteordnung für seine Partei: „Das C in der CSU ist nach wie vor sehr wichtig; es steht für eine der drei Wurzeln der CSU: Christliche, soziale und liberale Wurzeln prägen das Menschenbild der CSU.“ Von diesem „C“ behaupten nun viele Kritiker sei nicht mehr viel übrig geblieben. Gerade in der Flüchtlingspolitik wird der christlichen Partei vorgeworfen, sich den Ansichten der Alternative für Deutschland anzuschließen und ihnen mit populistischen Aussagen Konkurrenz zu machen. Andreas Scheuer, Generalsekretär der CSU, äußert sich beispielsweise über die Rückführung von Flüchtlingen mit scharfen Worten: „Das Schlimmste ist ein fußballspielender, ministrierender Senegalese, der über drei Jahre da ist – weil den wirst Du nie wieder abschieben. Aber für den ist das Asylrecht nicht gemacht, sondern der ist Wirtschaftsflüchtling.“

Trotz solcher Worte könne man nicht grundsätzlich sagen, dass sich die CSU und die AfD in ihrer Wertvorstellung überschneiden, entgegnet Walter Taubeneder. Der Landtagsabgeordnete bestätigt, dass es Schnittstellen gebe, zu jeder Seite, dennoch könne man mehrere Aussagen der AfD nicht akzeptieren. Deutliche Grenzen zieht Taubeneder bei der Religionsfreiheit: „Wir stehen zur Religionsfreiheit. Wenn allerdings eine Radikalisierung stattfindet, müssen die Gesellschaft und die Politik eingreifen. Salafisten oder Hetzprediger dürfen nicht toleriert werden.“

Schwieriger gestaltet sich die Thematik der Familienpolitik. Sowohl die CSU als auch die AfD vertreten die traditionelle Familienkonstellation aus Vater, Mutter und Kind als Leitbild und beide Parteien bestehen darauf, dass ihr Familienbild realitätsnäher ist als das der anderen Parteien. Beckstein geht davon aus, dass sich die meisten jungen Leute eine Familie im traditionellen Sinne wünschen, aber dennoch sei es selbstverständlich, dass alle anderen Lebensformen vom Staat ermöglicht werden müssen. „Das Leitbild ist die Ehe und herkömmliche Familie, alle anderen Formen werden respektiert, der Staat hat die Aufgabe, alle Formen bestmöglich zu gestalten. Ob jemand heiratet, ob er/ sie Kinder hat/ will, ist allein Privatsache,“ führt Beckstein aus. Nach Auffassung der AfD ist dieser Punkt weniger eine Privatsache, schließlich sei es Aufgabe der Politik das klassische Familienbild in der gesellschaftlichen Wirklichkeit als Ideal zu etablieren. „Wenn Sie ein demographisches Problem haben und zwar ein gewaltiges, dann müssen Sie genau dieses Ziel haben,“ erklärt Stefan Möller, Parlamentarischer Geschäftsführer der AfD-Fraktion im Thüringer Landtag, „Wir haben zu wenige Kinder und zu viele Alte. Wie wollen Sie einen Staat organisieren, der dieses Problem löst? Wer soll die Kinder kriegen?“

Über allem stehe immer das Gebot der Nächstenliebe, betont Taubeneder. Die christliche Auffassung von Werte ist für den CSU-Abgeordneten fester Bestandteil seiner politischen Handlungen. „Wenn du merkst, es geht einem schlecht, muss dir das auch weh tun.“ Folgt man den Wertevorstellungen des Landtagabgeordneten ist das „C“ in der CSU noch nicht verloren gegangen. „Seit der Flüchtlingskrise ist jedoch am rechten Rand ein Vakuum entstanden, was die AfD gnadenlos ausnutzt,“ sagt Taubeneder, es sei schwer gegen die AfD und ihre populistischen Aussagen anzugehen. Deutschland spaltet sich in seinen Wertevorstellungen einer liberalen und demokratischen Gesellschaft.

Das Erstarken rechter Kräfte ist jedoch nicht nur hierzulande und in Europa spürbar. Gerade jetzt im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf mit Donald Trump als Kandidat der Republikaner geht ein Riss durch die Bevölkerung. Während ein Teil der Bevölkerung entsetzt über die rechtspopulistischen Äußerungen Trumps die Hände über den Köpfen zusammenschlägt, befürwortet und bejubelt vor allem die weiße, männliche Mittelschicht den polarisierenden Unternehmer.

„Trump ist das ES, Clinton das Über-ICH'

Am 8. November wählt die amerikanische Bevölkerung die Wahlmänner, die wiederum am 18. Dezember ihre Stimme für einen der Kandidaten abgeben. Selbst jetzt nach dem ersten großen TV-Duell liegen Hillary Clinton und Donald Trump in den Umfragen noch gleich auf. Entscheidend für den Wahlausgang werden die verbleibenden 20 Prozent der unentschlossenen Wähler sein. Clinton versucht vor allem die Minderheiten in der amerikanischen Bevölkerung für sich zu gewinnen. Doch allein mit Schwarzen, Latinos, Muslimen und Frauen kann auch Clinton nicht die Wahl zum höchsten politischen Amt in den USA gewinnen. Mit mehr als 40 Jahren Berufserfahrung ist die ehemalige First Lady ein Politprofi, umso verwunderlicher, dass ein politischer Anfänger wie Trump es schafft, innerhalb kurzer Zeit so viele Menschen zu mobilisieren.

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Wer ist ein „richtiger“ Amerikaner?

Als der US-Wahlkampf  begonnen hat, schien ein Sieg Trumps in weiter Ferne. Mit den Vorwahlen hat eine überraschende Wendung eingesetzt und Trump könnte möglicherweise den nächste republikanischen Präsidenten der Vereinigten Staaten stellen.  Kerstin Kohlenberg, Korrespondentin der ZEIT in New York, erklärt sich dieses Phänomen, dadurch, dass er trotz seiner provokanten und oft unbedachten Äußerungen, auf die Amerikaner als Mann des „einfachen“ Volkes wirkt. Clinton hingegen würde steif und als der Inbegriff des abgehobenen, amerikanischen Establishments in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden. Trumps Botschaften sind simpel: „I make America great again!“ Er will nationale Interessen wahren, indem er definiert, wer ein „richtiger Amerikaner“ ist. Er packt die Menschen damit nicht nur an ihrem „Ur-Gefühl – Wer will ich sein?“ sagt Kohlenberg, sondern liefert auch die Antwort darauf, indem er ihnen verspricht, sie als amerikanische Bürger wieder stark und stolz zu machen. „Er ist im Grunde genommen die Verkörperung vieler amerikanischer Träume.“ Mit seiner Definition schließt er allerdings einen Teil der Bevölkerung aus. Menschen ohne Pass und Sozialversicherungsnummer kommen nicht in Trumps Ideal vor, da diese seiner Meinung nach eine Bedrohung der nationalen Interessen darstellen. Eine weitere Kernbotschaft ist die Durchsetzung internationaler Interessen. Die Handelsbeziehungen zu China und das Nordamerikanische Freihandelsabkommen (NAFTA) stehen dabei im Fokus seiner Wahlkampfkampagne. Auf die Frage der Umsetzung seiner Versprechen entgegnet Trump mit oberflächlichen Maßnahmen wie den Bau einer Mauer an der Grenze zu Mexiko oder ein Einreiseverbot für Muslime. „Er bleibt oft eine Antwort schuldig, wie er das erreichen will,“ sagt Dr.  Nicole Renvert, Associate Fellow für Transatlantische Beziehungen der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP).

Trump und seine Inszenierung als Mann des „einfachen“ Volkes

Doch wie kann ein Mann Kandidat für das Amt des Präsidenten werden, wenn er keinerlei politische Erfahrungen hat, sich oft aggressiv verhält, durch diskriminierende Äußerungen auffällt und regelmäßig seiner Lügen überführt wird?

„Politiker sind oft eine Projektionsfläche für die Wünsche, Sorgen, Nöte oder Frustrationen der Menschen,“ erklärt Renvert. Durch seine Inszenierung als einfacher Mann des Volkes fühlen sich große Teile der Bevölkerung von ihm verstanden. „Die Demokraten haben es verpasst, vor allen Dingen den Männern, die durch die Finanzkrise ihren Job verloren haben, die zu geringeren Zahlen die High School beenden oder oft keine College-Abschlüsse machen, eine Art Heldengeschichte zu produzieren – ein positives Rollenmodell zu bieten. Dann kommt Trump da mitten rein und greift alle ab,“ führt Kohlenberg aus. Trump selbst ist schon zweimal geschieden und inzwischen das dritte Mal verheiratet. Seine Karriere im Immobiliengeschäft verlief ebenfalls nicht immer geradlinig nach oben. Berühmt wurde er vor allem durch die Fernsehsendung The Apprentice, in der er Mitarbeiter für sein Firmenimperium gesucht hat. All diese Faktoren nutzt Trump, um sich der amerikanischen Bevölkerung als Teil der Gesellschaft zu präsentieren und inszeniert sich so als ihr Sprachrohr gegenüber dem elitären Establishment.

Kerstin Kohlenberg, ZEIT-Korrespondentin in NY, erklärt, warum Donald Trump so viele Amerikaner anspricht.

Renvert führt an, dass es kein neues Phänomen ist, dass sich Amerikaner für einen Kandidaten stark machen, der ihr eigenes Bild bestätigt: „Diejenigen, die sich über Trump informieren wollen, lesen eben nicht unbedingt kritische Presse über ihn oder sie sagen, selbst wenn er lügt – „das ist ein Macher-Typ.“ Kohlenberg hingegen erklärt Trump anhand des Freudschen Modells der Psyche. Die drei Stufen, das Es, das Ich und das Über-Ich, stehen exemplarisch für die Bevölkerung, Trump und Clinton. Das Ich bezeichnet das bewusste Denken im Alltag und steht damit für die Bevölkerung. Clinton mit ihren faktenbasierten Reden stellt das vernünftige, moralische Über-Ich, was oft schwer für das Ich zu greifen ist. Das unterbewusst und gefühlsmäßig gesteuerte Es ist demnach repräsentativ für Trump. „Er ist sozusagen Trieb, Gefühl und geballte Menschen-Ur-Kraft und das finden die Leute, die sich als Opfer von Amerika und von dieser liberalen Politik, die Amerika seit Jahren betreibt, toll. Denen ist es egal, dass möglicherweise totales Chaos entstehen wird. Sie haben nichts zu verlieren. Sie wollen Rache,“ erklärt Kohlenberg.

„Trump ist undomestiziert!“

Der Hass gegen das Establishment und gegen Washington sitzt tief, ist aber nicht die Schuld von Trump, vielmehr würde er die momentane Stimmungslage widerspiegeln, sagt Renvert. „Leider muss man sagen, ist Trump ein Produkt einer kulturellen Entwicklung, einer medialen Landschaft, aber auch einer gesellschaftlichen Entwicklung, in der man ungestraft Sachen sagen darf, die rassistisch oder antisemitisch sind, Thesen die gegen Frauen sprechen.“ Kohlenberg würde ihn dennoch nicht als Rassisten oder Ähnliches bezeichnen. Ihre Erklärung für Trumps unangemessenes Verhalten ist deutlich simpler: „Er ist undomestiziert auf eine gewisse Art und Weise. Er hat keinen Filter für viele Dinge. Er ist wie die Version eines total verwöhnten Kindes, das nie Essmanieren entwickeln musste, weil immer jemand da war, der den Tisch sofort sauber gemacht hat. Das Ziel von Trump ist immer: wie kann ich mich und meine Lage verbessern?“ Um das zu erreichen, spiele es keine Rolle, ob ihm dabei eine Frau oder ein Mann, ein Weißer oder ein Schwarzer behilflich ist.

Hinter den verbalen Attacken von Trump stehe demnach kein gefestigtes Weltbild wie es bei einem Rechtspopulisten sonst üblich wäre. „Ich halte ihn für eine Sonderform eines Populisten, weil er sehr geschickt sehr rechte, aber auch ganz linke Thesen aufgreift, wie das Anti-Establishment oder das Anti-Washington“ erklärt Renvert, „Er ist auf jeden Fall wortgewaltiger als ein Populist. Ich würde ihn schon als einen Diktator bezeichnen, der es eben auch schafft, Gruppen zu mobilisieren, die ihn vielleicht sonst gar nicht wählen würden.“ In Kreisen der transatlantischen Gemeinschaft sieht man einer Präsidentschaft Trump skeptisch entgegen. Dennoch würde man sich auch mit ihm als Präsident arrangieren müssen und eingebettet in eine feste Struktur aus Checks and Balances, Surpreme Court und Kongress wäre seine Handlungsmacht beschränkt, erläutert Renvert. Viele amerikanische Bürger befürchten dennoch, dass am 8. November der Rechtspopulismus über die Vernunft siegt und Amerika unter Trump seinen Status als Weltmacht verliert. Trotz der Kontrollmechanismen des Staates ist ein Präsident dazu bemächtigt, Handelsabkommen zu beenden, welches unvorstellbare Auswirkungen auf den Außenhandel und den globalen Wirtschaftszirkel haben könnte. „Er kann Waffen senden. Er kann einen Krieg beginnen,“ warnt Kohlenberg, „In Deutschland würde man natürlich, ganz besonders wenn es um kriegerische Sachen geht, die Auswirkungen viel massiver spüren. Wenn er das tatsächlich durchzieht mit seiner Putin-freundlichen Politik, könnten wir sozusagen Krieg vor der Haustür haben.“ Die deutschen Befürchtungen über Trump als Präsidenten sind also durchaus ernst zu nehmen.

Die deutsche Angst vor Trump

Ein Präsidenten mit der Befehlsgewalt über nukleare Waffen und Streitkräfte, ein Freund Putins, ein Mann, der sein Land und seine Leute mit einer Mauer isolieren will – ein Mann, der völlig unkontrollierbar und unvorhersehbar ist, könnte die Welt, wie wir sie heute kennen, völlig verändern. Wie diese neue Welt unter einer Herrschaft Trumps aussehen könnte, wenn das ES über das Über-Ich siegt, wird in folgendem Szenario dargestellt.

Bild- und Videomaterial: pixabay, Florian Czmaiduch, AfD Thüringen, AfD Landtags-TV via Youtube, Klara Weidemann, Malina Illenberger

Florian Czmaiduch, Klara Weidemann und Malina Illenberger

Während der Recherche tauchten die Autoren tief in die Rhetorik von Rechtspopulisten ein. Das morgendliche Ritual: sämtliche Reden von Björn Höcke hintereinander schauen. Irgendwann haben sie sogar von ihm geträumt.

[ssba]

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