Am Ende des Tages zählt die „Solution“

In einer komplexen Welt wie dieser, kann es gar nicht so leicht sein sich zu entscheiden. Besonders unser berufliches Umfeld beinhaltet eine Vielzahl von weitreichenden Entscheidungen, die unsere Zukunft prägen. Manchmal entscheiden wir über andere, manchmal andere über uns. Ein Berufsfeld, das sich auf die Unterstützung der Entscheidungsfindung anderer spezialisiert hat, ist die Unternehmensberatung. Wer steckt hinter dieser viel diskutierten Branche? Leistet sie wirklich das, womit sie wirbt? Warum fließt da so viel Geld und was passiert, wenn nach einer Beratung falsche Entscheidungen getroffen werden? Drei Menschen erzählen aus der Praxis.

„Unternehmensberatungen haben sich in den letzten Jahren breit im Markt etabliert“, sagt Wilhelm Menninghaus. Er ist Partner und damit auf der ranghöchsten Position bei der Münsteraner Unternehmensberatung „zeb“. Das Unternehmen zählt zu den über 15.500 Beratungsorganisationen mit mehr als 110.000 Beratern in Deutschland. Das ist laut dem Bundesverband Deutscher Unternehmensberater (BDU) ein Zuwachs von über drei Prozent im Vergleich zu 2015. Die Consultingwirtschaft ist am Boomen. Thomas Leif kritisiert in seinem Buch „beraten und verkauft”‘, dass Consultingfirmen wie Pilze aus dem Boden schießen. Doch woher kommt die große Nachfrage der Wirtschaft?

Michael Hasler ist einer jener Jungunternehmer, der sich einen Unternehmensberater zu Rate gezogen hat. „Es ist wichtig, Beratung von anderen Menschen, besonders professionellen Menschen anzunehmen.“ Dabei verweist der „smartricity”-Mitbegründer darauf, dass man als Unternehmer nur schwer alles überblicken kann. „Besonders Kleinigkeiten, wie steuerliche Effekte, kann man selbst nur schwer einschätzen”, sagt er. Auch Menninghaus hebt hervor, dass Consultingunternehmen verschiedenen Zwecken dienen. Unternehmen zu managen und deren Meinungen zu spiegeln, sieht er als Hauptaufgabe. Der Berater sieht sich selbst in der Rolle eines unabhängigen, kritischen Meinungsbildners. Vor allem Unternehmen aus dem verarbeitenden Gewerbe, dem Finanz- und dem öffentlichen Sektor holen sich bei wichtigen Entscheidungen einen Sparring-Partner zur Seite. Einen Gesellschafter, mit welchem sie konkrete Entscheidungen, beispielsweise im Bereich der strategischen Unternehmensführung, besprechen können. Der Inhaber des Passauer Lehrstuhls für Innovation und Marketing Jan Schumann fügt hinzu, dass der Klient oft schon vor dem Auftrag weiß, in welche Richtung es gehen soll. Die umzusetzende Entscheidung steht seitens des Unternehmers oftmals schon fest. Auch Hasler bestätigt, dass er in den meisten Fällen das erhalten habe, was er erwartet hat.

Wofür braucht er dann einen externen Partner, wenn er notwendige Veränderungen selbst erkannt hat und eigenständig umsetzen könnte? Hasler beschreibt, dass er viel Neues erfahren habe, das ihm vorher nicht so klar war. Mit jedem Consultingtermin gibt der Unternehmer ein Stück seiner Verantwortung an seinen Partner ab und erhält im Gegenzug dafür Sicherheit. Der BDU erklärt, dass Unternehmensberater ihre Klienten dabei unterstützen würden, neue Möglichkeiten zu erkennen und zu nutzen. Insbesondere das strategische Denken und die analytischen Fähigkeiten, die ein Berater mitbringt, sind im Bereich des Organisations- und Prozesswachstums sowie der Strategie- und IT-Beratung gern gesehen.

Soviel steht fest: Den perfekten Unternehmensberater gibt es nicht. Aber welche Kompetenzen muss ein Mensch mitbringen, der anderen bei Entscheidungen hilft? Grundsätzlich solle ein Berater analytische Fähigkeiten, eine gewisse Intelligenz und Expertenwissen besitzen, meint Schumann. „Setzt man da an, jemanden in seiner Entscheidungsfindung zu unterstützen, sollte ein Berater die Rolle eines Coaches einnehmen.“ Er müsse sich dann in jemanden einfühlen können, um seine Entscheidungsfindung zu verstehen und ihm mögliche Denkfehler transparenter zu machen. Nach Menninghaus gibt es Unterschiede in der Art der Beratung. Im IT-Umfeld werden eher IT-ler, Mathematiker und Wirtschaftsinformatiker bevorzugt. Im strategischen Umfeld dagegen ist die gesamte Bandbreite an Wissensbereichen relevant, von Wirtschaftswissenschaftlern über Naturwissenschaftler bis hin zum Juristen. “Immer wenn es um fachliche Themen geht, ist auch eine gewisse Fachkompetenz gefragt”, erklärt Menninghaus. Leif kritisiert, dass ein Berater seine Kunden mit beängstigenden Szenarien bedrängen muss, um sich so Folgeaufträge zu sichern. Dem widerspricht Menninghaus. Ihm sei es wichtig, dass der Berater dem Kunden einen Denkanstoß gibt und ihm die Probleme vor Augen führt.

Folgeaufträge zu akquirieren, sei nach Schumann der Sinn der verkäuferischen Tätigkeit der Beratung. Er erklärt, dass es durchaus eine Tendenz gäbe, oft Projekte zu verkaufen, welche das Unternehmen eigentlich nicht bräuchte. Aber Schumann beteuert, dass es sicherlich auch genug Probleme in Unternehmen gäbe, bei denen dies nicht so sei und man daher nicht pauschalisieren könne. In keinem anderen Beruf sind die Mitarbeiter so unter Druck gesetzt, wie in der Beraterbranche, sagt Leif. In vielen Firmen wird nach dem „Up-Or-Out-Prinzip” gearbeitet, was bedeutet, dass der Mitarbeiter in einer gewissen Zeit Leistung bringen muss. Falls er die Vorgaben nicht erfüllt, muss er das Unternehmen verlassen. Erledigt er seine Arbeit gut, kann er je nach Firma in unterschiedliche Klassen aufsteigen. Vom Consulter und Junior-Berater über den Manager hin zum Senior-Berater und Partner. Wie wirbt eine Unternehmensberatung solche Leute an, die unter dieser Belastung arbeiten? „Kern der Personalstrategie von Unternehmensberatungen ist das Recruiting”, erklärt Leif. Seiner Meinung nach seien der Universitätsabschluss, eine überdurchschnittliche Studienleistung und internationale Erfahrung von höchster Priorität bei der Mitarbeiterakquise. Trotzdem sind Beratungsunternehmen attraktive Arbeitgeber wegen ihrer guten Einkommens- und Karrierechancen und der Möglichkeit, dass ambitionierte Mitarbeiter viele Aufstiegsmöglichkeiten haben.

„Wenn Beratungsfirma XY das vorgeschlagen hat, dann muss es gut sein“, kritisiert Leif. Der Kunde wolle seine Entscheidungen rechtfertigen und im Zweifelsfall die Verantwortung auf den Berater schieben. Er bemängelt, dass aus genau den genannten Gründen die Kunden so viel Geld in die Unternehmensberatung stecken. Nach Menninghaus beziehen sich die hohen Tagessätze auf das jeweilige Beratungsmodell, in dem sich der Kunde befindet. Beratungen, die auf Prozesse oder Strategien abzielen, sind meistens teurer, da dort eher der erfahrene Partner tätig wird. Ein Coachingtag, auf den man sich gesondert vorbereitet, sei teurer, als ein Tag, an dem man nur eine Abschlusspräsentation vorstellen muss. Diese würden nämlich meistens durch einen Consultant erstellt werden. „Der Partner ist Hauptansprechpartner für den Kunden und hat Verantwortung für den gesamten Projekterfolg”, erklärt Menninghaus. Schumann stimmt dem zu und ergänzt, die Kosten seien abhängig von der Art der Beratung und der Größe des Unternehmens. Topberatungen besitzen den „Heiligenschein” und haben gut ausgebildete Leute, welche über jahrelange Erfahrungen verfügen. „Wenn Unternehmen das nicht zahlen würden, würden die Beratungen die Sätze nicht verlangen können”, schlussfolgert Schumann.

Leif kritisiert wiederum, dass die Unternehmen meistens standardisierte Verfahren und Lösungen von den Beratern angeboten bekommen und für etwas zahlen, was ein anderes Unternehmen schon einmal erhalten hat. „In bestimmten inhaltlichen Themen wird das Rad nicht immer wieder neu erfunden”, rechtfertigt sich Menninghaus. Er findet, dass Unternehmen durchaus davon profitieren können, wenn eine Lösung erprobt ist und einen gewissen „Reifegrad” hat, erklärt Menninghaus. Für Hasler ist es einleuchtend, dass große Unternehmen nach einem Standardprozedere arbeiten. „In unserem Fall unterstützte uns ein selbstständiger Berater. Da war das Konzept wirklich genau auf uns zugeschnitten”, erklärt Hasler. Im Endeffekt bleibt es also beim Unternehmer, abzuwägen, ob er sich für die teure Variante der Unternehmensberatung oder für die günstigere „Selbsttherapie” entscheidet und keine Beratung in Anspruch nimmt.

Unternehmensberatungen verfolgen das Ziel, Menschen und ihre Unternehmen erfolgreich zu machen. Doch Beratung ist nicht immer nur der Selbstverdienst von einem Einzelnen. „Es macht immer Sinn, bestimmte Leute in Beratungssituationen hinzuzuziehen.“ Menninghaus zieht Berater mit Einfühlungsvermögen jenen vor, die „so bullish“ mit der Tür ins Haus fallen. Er erklärt, dass man in der Beratung oftmals auch externe Fachspezialisten hinzu zieht, die spezielle Kundenanliegen besser umsetzen können. Demzufolge sind Beratungen auch immer abhängig von anderen. Wenn sich Kunden aus einer Branche bei dem gleichen Berater unterstützen lassen, wer garantiert dann die Unabhängigkeit voneinander und den Wettbewerb? Menninghaus verteidigt, dass Klienten aus demselben Arbeitsfeld eigene Philosophien verfolgen und die Beratung zu unterschiedlichen Themen und Zeitpunkten in Anspruch nehmen. Schumann widerspricht: „Wenn man mehrere Wettbewerber hat und überall ist McKinsey im Haus, kann man sich natürlich fragen, ob das Wissen nicht von einem Unternehmen in das nächste getragen wird”. Dadurch wird eine ähnliche Beratungsstrategie in verschiedenen Unternehmen eingesetzt. Im Ergebnis handeln die beratenen Kunden nach vergleichbaren Lösungsmustern. Leif fügt hinzu: „Eine Riege ehemaliger Politiker in den Beratungsunternehmen sorgt zudem für enge Kontakte zur öffentlichen Hand.” So soll zum Beispiel Angela Merkel eine gute Beziehung zum Chef von McKinsey pflegen. Unternehmensberater sind kein abgeschlossenes System, sondern eng verbunden mit Experten verschiedener Branchen.

Leif beschreibt ein Interview mit einem anonymen Berater, der davon spricht, dass Unternehmer sich bei ihrem Consulter „Legitimation, Akzeptanz und Loyalität“ einkaufen. Sie geben ihre Entscheidungskraft ab und legen gezielt ihre eigene Verantwortung in fremde Hände. Schumann hält dagegen, Verantwortung abzugeben sei total menschlich, nachvollziehbar und vernünftig. „Als Entscheidungsträger mit weitreichenden Entscheidungen ist es grundsätzlich immer sinnvoll, mich abzusichern.“ Klienten schenken ihren Beratern großes Vertrauen, die richtigen Strategien für ihr Unternehmen zu finden. Schumann mahnt: „Die Entscheidung muss schlussendlich der treffen, der sie zu entscheiden hat.“ Hasler hat sich einen Consulter als Kompagnon ins Haus geholt und ist bisher sehr zufrieden. Zuversichtlich blickt der Unternehmer nach vorne: „Die Lösungen sind absolut brauchbar, muss man später nur noch auf dem Markt testen. Das könnte schon klappen.“ Auch künftig möchten sie mit weiteren, gern auch größeren Unternehmensberatungen zusammenarbeiten: „Unser Ziel ist es, international zu agieren.“ Mit diesem Bestreben sind die Startup-Unternehmer nicht allein. Immer mehr Unternehmen gehen Consulting-Partnerschaften ein. Aus Zahlen des BDU geht hervor, dass alle Beratungsfelder der Consultingwirtschaft ein Umsatzwachstum von mindestens 4,5 Prozent und mehr erfahren haben. Besonders die zunehmende Digitalisierung von Unternehmen erfordert neue Expertise.

Soweit so gut. Doch wer trägt die Verantwortung, wenn eine provozierte Veränderung unangenehm wird oder eine falsche Entscheidung getroffen wurde? Menninghaus, der bereits seit 21 Jahren als Partner bei „zeb“ tätig ist, sagt, dass Unternehmensberatungen nicht als verlängerte Werkbank dienen, sondern mit ihren Kunden gemeinsam in einem Boot sitzen. „Bei Fehlentscheidungen sind beide verantwortlich, da das Projekt miteinander läuft und das Ziel immer mit dem Projekt laufen muss.“ Gründe für Misserfolge sieht er speziell in der SetUp-Phase, in der die Erwartungen der Klienten in Verträgen ausgetauscht werden. Menninghaus meint, wenn man das vernünftig angeht, kann man Fehler sehr gut vermeiden. Auch Hasler teilt diese Meinung. Ihm sei durchaus bewusst, dass beide zur Rechenschaft gezogen werden können, er aber nicht allein die Last zu tragen hat. „Der Berater bekommt Geld, er hat die Expertise, er kennt sich aus, er sollte es überblicken können. Dennoch muss man auch selbst überprüfen, ob das alles Sinn macht.“ Und auch Schumann nimmt die Angst vor der Schuldzuweisung. „Der Entscheidungsträger muss bei Fehlentscheidungen nicht sofort geköpft werden.“ Trotz alledem funktioniert das Geschäft mit der Beratung. Strategen und Analytiker sind gern bezahlte Entscheidungshilfen der Gesellschaft. Menninghaus appelliert an seine Branche, stets Ehrlichkeit zu wahren und mehr Mut für komplexere Themen zu zeigen. Davon profitieren die Unternehmen. Hasler empfiehlt vor allem Jungunternehmern, professionelle Beratung in Anspruch zu nehmen, um überhaupt völlig neue Potenziale am Markt entdecken zu können.

[ssba]

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