Medizin

Der lange Kampf ums Leben

Yannik steht auf der Warteliste für eine Spenderniere. Mit ihm warten weitere 7148 Menschen. Bis ein passender Spender gefunden wird, ist sein Leben von der Hämodialyse abhängig.

Weltweit gibt es 850 Millionen Nierenkranke.

2020 werden in Deutschland 83.000 Hämodialysepatient*innen behandelt.

2019 wurden 2132 Nieren transplantiert.

7148 Menschen sind auf der Warteliste für eine Niere.

343 Menschen auf der Warteliste starben. 

Auch Yannik steht auf der Warteliste für eine Spenderniere. Seit seinem 13. Lebensjahr ist der Tod sein ständiger Begleiter. 2012 erkrankte Yannik an einer akuten Hochrisiko-Leukämie, doch nach sechs Monaten belastender Chemotherapie kam die Erlösung: ein passender Blutsfremdspender wurde gefunden und die Stammzelltransplantation war erfolgreich. Es folgten aber Komplikationen: Aufgrund einer Gehirnhautentzündung lag er vier Wochen im Koma, musste wie ein Kleinkind erneut lernen zu sprechen und zu gehen. Die Narbe an seinem Hinterkopf erinnert heute an ein Kavernom, eine Gefäßmißbildung, die operativ aus seinem Gehirn entfernt werden musste. All diese Schicksalsschläge prägten Yanniks Leben bevor er das 18. Lebensjahr erreicht hat und aus der Klinik entlassen werden konnte. Heute ist Yannik 21 Jahre alt und aufgrund der Therapien und nierenschädigenden Medikamente auf die Hämodialyse angewiesen. Zunächst war die Behandlung einmal wöchentlich ausreichend, mittlerweile muss Yannik dreimal wöchentlich über vier Stunden an die Dialyse. Yannik leidet aktuell auch an einer zunehmenden Herzinsuffizienz, die dazu führt, dass seine Nieren täglich weniger Leistung bringen. Darum musste auch die Frequenz der Hämodialyse schleichend erhöht werden, von einmal pro Woche auf nunmehr dreimal wöchentlich.

Vom alten Rom bis heute: Die historische Entwicklung der Hämodialyse

„Spätestens wenn die Restleistung der Nieren nur noch bei 10 Prozent liegt, ist eine Hämodialyse notwendig, um die Funktion der Nieren zu ersetzen und das Blut zu reinigen“, erklärt Dr. Strotmann, Leiter des Schwerpunktes Kindernephrologie am Klinikum München-Schwabing. Wenn die Nieren versagen, muss eine Maschine das leisten, wozu der eigene Körper nicht mehr in der Lage ist. Die Funktionen der Nieren sind vielfältig: Sie regulieren die Blutbildung, sind beteiligt am Stoffwechsel, regeln indirekt das Wachstum von Kindern, führen überschüssiges Wasser aus dem Körper und reinigen das Blut von Giftstoffen.

Dabei wird das Blut mithilfe eines Katheters, der als zentralvenöser Zugang am Hals oder Unterarm eingeführt oder bei längerer Behandlungsdauer operativ als arterio-venöse Fistel angelegt wird, aus dem Körper über einen Filter als Membran gepumpt. Über diesen Filter läuft eine Flüssigkeit, in die die Giftstoffe, die normalerweise die Nieren ausscheiden würden, transportiert werden. Anschließend wird das gewaschene Blut wieder zurück in den Körper gepumpt. „Den Filter kann man sich vorstellen wie einen Kaffeefilter“ erklärt Dr. Strotmann. „Auf der einen Seite werden die zellulären Bestandteile und das Plasma zurückgehalten und auf der anderen Seite wandern die Giftstoffe in die Flüssigkeit“. Dieses extrakorporale Verfahren dauert in der Regel vier bis fünf Stunden, dreimal die Woche. „Danach hat die Niere eine Funktion von 15 Prozent, damit kommt man gerade so hin“, betont Dr. Strotmann. 

Dr. Peter Strotmann über die Hämodialyse.

Dafür bekomme ich sofort die Quittung.

Die Hämodialyse bestimmt den Alltag des Jugendlichen nicht nur was seine freie Zeit angeht. Wegen des Ausfalls der Nieren muss Yannik viele weitere Einschränkungen in kauf nehmen. Er muss streng Diät halten und darf nicht zu viel Flüssigkeit trinken, was ihm sehr schwer fällt. Ab und zu bricht er diese Regeln. „Dafür bekomme ich dann sofort die Quittung“. Wenn Yannik beispielsweise zu viel Flüssigkeit zu sich nimmt, ist sein Natriumwert im Blut zu niedrig und er erleidet einen epileptischen Anfall. Diese Beeinträchtigungen einem Kind oder Jugendlichen zu vermitteln, ist schwierig, weiß Dr. Strotmann. Trotzdem ermöglicht er ihnen ab und zu, diese „verbotenen“ Lebensmittel zu sich zu nehmen. 

Dr. Peter Strotmann über die Beeinträchtigungen von Dialysepatienten.

Einfach mal in den Urlaub fahren ist nicht möglich.

Einfach mal in den Urlaub zu fahren ist für Yannik und seine Familie nicht möglich. Jeden Montag, Mittwoch und Freitag muss er regelmäßig zu den Dialysebehandlungen. Ohne Ausnahme, ohne Wenn und Aber. Als eine von drei Kinderdialysen hat das Klinikum München-Schwabing ein Einzugsgebiet von 150 Kilometern. Viele Familien müssen dreimal die Woche hunderte Kilometer zurücklegen, um zu ihren Behandlungen zu kommen. Dr. Strotmann trifft täglich Familien, die versuchen müssen, Krankheit und Alltag gleichzeitig zu meistern, egal ob Schule, Weihnachten oder ein Geburtstag ansteht. 

Dr. Peter Strotmann über den Alltag mit der Hämodialyse.

Trotz seiner Krankheitsgeschichte hat Yannik den Schulabschluss nachgeholt. Das war nicht einfach, da die Dialyse viel Zeit und Kraft in Anspruch nimmt und er oft fehlte. Seit drei Jahren versucht Yannik, eine Ausbildung im Einzelhandel zu absolvieren, doch leider ist sein Körper noch zu schwach und nun auch angegriffen durch die fortschreitende Herzinsuffizienz. „Ich konnte in den letzten drei Jahren nicht mal das erste Lehrjahr abschließen.“ Um mehr Rücksicht auf seine Gesundheit zu nehmen, hat Yannik beschlossen im August 2020 eine Lehre zum Bürokaufmann zu beginnen. „Das wird im Homeoffice stattfinden, da ich bei Corona als Hochrisikopatient gelte“. Er kann unter diesen Umständen nicht in einem Geschäft stehen, wo er mit vielen Menschen in Kontakt kommt. Das Coronavirus macht ihm dabei aber keine Angst, aus eigener Erfahrung der langwierigen Isolationszeiten unter der Leukämie-Behandlung weiß er besser damit umzugehen als andere. „Ich habe schon so vieles überstanden. Quarantäne und Mundschutz kenne ich schon zu Genüge.“ Yannik ist einer von rund 80.000 Menschen, die in Deutschland auf eine Hämodialysebehandlung angewiesen sind. Sind gelten als höchst gefährdete Risikogruppe und eine Infektion mit Covid-19 nimmt häufig einen schweren Verlauf. Da die Patient*innen mehrmals die Woche zur Behandlung in ein Dialysezentrum müssen, ist eine Ausgangssperre oder Quarantäne also ausgeschlossen. Doch gerade diese lebensrettende Behandlung bedeutet in ihrem Fall auch eine große Infektionsgefahr. Sowohl beim Transport als auch beim Aufenthalt in den Dialysezentren ist Kontakt mit anderen Menschen unabdingbar, und die Gefahr, sich mit dem Virus zu infizieren, nicht auszuschließen. Eine Quarantäne oder Isolation zuhause ist nicht möglich, denn ohne die Therapie sterben die Betroffenen. Inwieweit die Niereninsuffizienz alleine eine Rolle spielt, ist noch unklar, doch meist gehören dazu auch Begleiterkrankungen wie Diabetes, Herzerkrankungen oder Bluthochdruck, die als Risikofaktoren gelten. Auch am Klinikum München-Schwabing hat man Corona “gesehen” sagt Dr. Strotmann. Es sei schwer, den Patient*innen, die auf eine Behandlung angewiesen sind, vor einer Infektion zu schützen. Sobald ein Kontakt- oder Verdachtsfall auftritt, müssen die betroffenen Patient*innen isoliert werden. Das stellt das Klinikum vor große Herausforderungen: „Es ist natürlich personell und auch räumlich hoch anspruchsvoll. Und wenn wir größere Patientenmengen hätten, die isoliert werden müssen, dann würden wir ganz schnell an unsere Grenzen kommen“. 

Dr. Peter Strotmann über die Gefahr durch Covid-19.

Mir ist bewusst, dass ich diese Jahre verloren habe.

Die Jahre des jungen Erwachsenen Yannik  werden wie die Kindheit  noch immer von seiner Krankheit und ihren Folgen bestimmt. Wichtige Phasen in seinem jungen Leben sind nicht existent oder waren belastet durch Angst, Schmerz und Leid. „Mir wird oft bewusst, dass ich diese Jahre verloren habe. Sie sind aus meiner Sicht nicht aufzuholen.“ Natürlich würde er gerne wie andere Jugendliche leben, doch das würde sein Körper nicht überleben. „Trotzdem mache ich auch ab und zu etwas Verbotenes. Dann trinke ich ein Bier oder rauche eine Zigarette mit“. 

Yannik lebt im Hier und Jetzt. „Große Lebenspläne zu schmieden habe ich aufgegeben, der Weg zurück ins normale Leben hat sich zu schwierig gestaltet. Stattdessen versuche ich, jeden Tag so schön wie möglich zu verbringen“. Dazu gehört, Zeit mit seiner Familie und Freunden zu verbringen und Fußball zu spielen. Ein wenig Hoffnung hat Yannik: Eine erfolgreiche Nierentransplantation würde seinen Gesundheitszustand deutlich verbessern. Doch der Weg dorthin ist lang und ein Wettlauf gegen die Zeit. Im Durchschnitt wartet ein Patient in Deutschland acht Jahre auf die Niere eines Verstorbenen. Und dann müssen Spender und Empfänger auch perfekt „matchen“, also zusammenpassen. Ansonsten besteht ein hohes Risiko für eine Abstoßung des Organs. „Ich lasse das auf mich zu kommen und betrachte die Wartezeit einfach mit Gelassenheit”.

Angesichts des erheblichen Mangels an postmortalen Organen wird heute im Einzelfall auch die elektive Lebendspende in Betracht gezogen. Yanniks Mutter hat sich dazu bereit erklärt, ihrem Sohn eine Niere zu spenden. Dieser Tage konnten die umfangreichen Voruntersuchungen mit dem Ergebnis abgeschlossen werden, dass eine Nierenspende durch Yanniks Mutter medizinisch möglich wäre. Eine solche Entscheidung bleibt grundsätzlich sorgfältig abzuwägen, aber die Option schenkt Zuversicht. Und die kann Yannik wirklich gebrauchen.

Weitere Informationen rund um das Thema Blut und die Hämodialyse, erfahrt ihr hier im Podcast. Ich habe mit Herrn Prof. Stefan Burdach, Ärztlicher Direktor des Klinikums München-Schwabing über seinen Alltag als Arzt, die Gefahr durch Corona und über den Begriff Blut gesprochen.

Viel Geld für nichts?

Das Nabelschnurblut des eigenen Kindes als persönliche Gesundheitsvorsorge aufbewahren – in der Medizin ein umstrittenes Unterfangen. Doch private Unternehmen verlangen viel Geld für diese Dienstleistung. Ein Geschäft mit den Ängsten werdender Eltern?

Carinas Hand liegt auf ihrem gewölbten Bauch – eine Geste, die in der 33. Schwangerschaftswoche schon völlig automatisch passiert. Ihr gegenüber sitzt ihre Schwester Isabel, Carinas Tochter Ida auf dem Schoß. Isabel sieht ihrer drei Jahre älteren Schwester Carina wie aus dem Gesicht geschnitten aus: Die braunen Augen mit dem fröhlichen Funkeln und die braunen, gelockten Haare sind unverkennbar. Doch während die 33-jährige Carina nachdenklich den Kopf hin und her wiegt, wirkt ihre drei Jahre jüngere Schwester wesentlich sicherer. Wenn Isabel spricht, klingt sie entschlossen: „Ich wollte diese einmalige Chance einfach nutzen. Man weiß nie, was im Leben noch so kommt.“ Die Schwestern möchten unerkannt bleiben, um ihre Privatsphäre zu schützen. Auf Nachnamen wird deshalb verzichtet, die Vornamen sind leicht abgeändert.

Das Thema an diesem sonnigen Freitagnachmittag im heimatlichen Garten in Amberg in der Oberpfalz: Lagere ich das Nabelschnurblut meines Kindes bei der Geburt ein, sodass ich im Bedarfsfall darauf zurückgreifen kann?

Lebensver(un)sicherung für werdende Eltern

Isabel stand vor einem Jahr vor der gleichen Entscheidung wie ihre ältere Schwester Carina nun. Für die heute 30-Jährige war damals klar, „ich möchte nur das Beste für mein Kind“. Für Isabel bedeutete „das Beste“, das Nabelschnurblut ihrer Tochter Maria nach der Geburt aufzubewahren. Nabelschnurblut ist das Blut, das nach der Entbindung und der Abnabelung in der Nabelschnur und der Plazenta zurückbleibt. Die Neugeborenen brauchen es nicht mehr – sie bekommen nun den notwendigen Sauerstoff über die eigene Atmung und die Nährstoffe über die Muttermilch. Dieses Plazentarestblut enthält Stammzellen – ein wertvolles Gut in der Medizin. „Ich würde sagen, das ist wie eine Versicherung, von der man hofft, dass man sie nie braucht. Aber im Zweifel haben wir sie“, sagt Isabel.

Carina steht vor der Wahl: Das Nabelschnurblut privat einlagern oder für die Allgemeinheit spenden

Was sind Stammzellen?


Stammzellen sind das natürliche Reservelager des Körpers. Sie können verbrauchte oder geschädigte Zellen ersetzt. Manche Zellen, wie Blutkörperchen oder Muskelzellen sind nicht in der Lage, durch Zellteilung Tochterzellen zu produzieren. Um diese spezialisierten Zellen zu erneuern, verwendet der Körper Stammzellen.

„Gerade bei Blut- und Krebserkrankungen – dem bekanntesten Einsatzfeld von Stammzellen – werden oftmals lebenswichtige Zellen durch aggressive Behandlungsmethoden, etwa Chemotherapien,  zerstört“, erzählt Marius Rüdiger, Leiter der Neonatologie und Pädiatrischen Intensivmedizin am Universitätsklinikum Dresden. Der Körper ist zu schwach, diese Zellen allein mit den eigenen Stammzellen zu ersetzen, sodass durch eine Transplantation fremde Stammzellen zugeführt werden.

Genau wie der menschliche Körper altern auch Stammzellen. “Je jünger Stammzellen sind, desto besser können sie geschädigte Zellen im Körper reparieren.” Laut Rüdiger sind Nabelschnurblutstammzellen deshalb Knochenmarksstammzellen oder peripheren Stammzellen in manchen Eigenschaften überlegen.

Was ist das Besondere an Stammzellen aus dem Nabelschnurblut?


„Nabelschnurblut weist so gut wie keine Schäden auf. Die Zellen im Nabelschnurblut haben noch keine Toxine aus der Umgebung oder andere Schädigungen erfahren. Krankheitserreger, die die Mutter hat, werden aufgrund der Dichte der Plazentaschranke nicht übertragen“, erklärt Gesine Kögler. Die Naturwissenschaftlerin arbeitet am Institut für Transplantationsdiagnostik und Zelltherapeutika am Universitätsklinikum Düsseldorf und leitet die José Carreras Stammzellbank. Seit fünfundzwanzig Jahren beschäftigt sie sich mit den Möglichkeiten, die Nabelschnurblutstammzellen für die Medizin bieten. 

Nabelschnurblutstammzellen gelten als besonders verträglich. „Die Transplantation von Nabelschnurblutstammzellen geht mit einer wesentlich geringeren Graft-vs.-Host-Reaktion einher,“ erklärt Kögler. Das heißt, im Körper der Empfänger*innen werden weniger zelluläre Immunreaktionen durch das Transplantat ausgelöst, die dem Organismus der Empfänger*innen schaden. Folgen dieser Immunreaktionen können schwere Erkrankungen des Darms, der Leber oder der Haut sein. Werden Nabelschnurblutstammzellen transplantiert, trete die Reaktion nur bei wenigen Ausnahmen auf.

Ein gravierender Nachteil von Stammzellen aus Nabelschnurblut sei allerdings die begrenzte Menge, sagt Kögler. Nabelschnurblut ist nicht so zellreich wie ein unverwandtes Stammzelltransplantat aus dem peripheren Blut oder dem Knochenmark. Eine „Portion“ Nabelschnurblut besteht im Mittel aus 80 bis 100 ml, könne aber auch zwischen zehn und 200 ml variieren. Das reicht zwar für die Behandlung eines Kindes, aber nur selten für die eines Erwachsenen. „Hier muss man dann meist auf zwei Präparate ausweichen,“ erklärt die Naturwissenschaftlerin. Dies sei aber möglich, wenn das Nabelschnurblut sehr stammzellenreich ist. Dann würde man dem Erwachsenen neben seinen eigenen Nabelschnurblutstammzellen auch fremde zuführen.

Private Unternehmen bezeichnen diese Dienstleistung als persönliche Gesundheitsvorsorge für das eigene Kind. Das stärkste Argument dieser Blutbanken: „Stammzellen aus dem Nabelschnurblut kann man nur einmal im Leben des Kindes gewinnen. Verpasst man diese Chance, hat man diese Therapiemöglichkeit vertan“, betont Marion Bartel, wissenschaftlich-medizinische Fachberaterin bei der privaten Blutbank vita34. Sollte das Kind erkranken, könne man auf die im Nabelschnurblut enthaltenen Stammzellen zugreifen und diese zur Behandlung einsetzten. So zumindest die Theorie. Die Wahrscheinlichkeit, eine Transplantation der eigenen Stammzellen zu benötigen, ist geringer als 1 zu 20 000. Sollte dieser Fall eintreten, können auch Stammzellen aus dem Knochenmark oder periphere Stammzellen verwendet werden. Nabelschnurblut habe viele Vorteile, sei aber nicht die einzige Therapiemöglichkeit, stellt Mario Rüdiger, Leiter der Neonatologie und Pädiatrischen Intensivmedizin am Universitätsklinikum Dresden, klar. Er würde keinesfalls von einer verpassten Chance sprechen, sollten Eltern das Nabelschnurblut nicht privat einlagern. “Noch gibt es keine wissenschaftlichen Studien, die eindeutig belegen, dass der Einsatz von eigenen Nabelschnurblutstammzellen besser als fremde Stammzellen sind.” Der Mediziner betont:

„Der privaten Einlagerung von Nabelschnurblut fehlt die Sinnhaftigkeit.“

Mario Rüdiger, Universitätsklinikum Dresden

Im Garten der beiden Schwestern wird gleich zu Beginn des Gesprächs deutlich: Für die Gesundheit ihrer einjährigen Tochter Maria würde Isabel alles tun. Zumal sie aus eigener Erfahrung weiß, dass es nicht selbstverständlich ist, ein Leben lang gesund zu sein. Seit mehreren Jahren leidet die junge Frau an einer neurologischen Erkrankung, auf welche sie aber nicht näher eingehen möchte. Diese ist zwar nicht genetisch bedingt, habe aber durchaus eine Rolle bei der Entscheidung für eine private Einlagerung gespielt. „Ich habe Gesundheit einfach viel mehr schätzen gelernt. Egal, was Maria im Leben passiert, wir können auf diese Stammzellen zurückgreifen. Und das ist einfach ein schöner und tröstlicher Gedanke.“

Eltern, die ähnlich denken wie Isabel und sich eine private Einlagerung des Nabelschnurblutes wünschen, bekommen von privaten Blutbanken bereits vor dem eigentlichen Geburtstermin ein Paket zugesendet. “Das müssen die Eltern bei der Geburt mit in das Krankenhaus nehmen”, erzählt Marion Bartel von vita34. In diesem Paket befindet sich unter anderem der Plastikbeutel, in dem das Nabelschnurblut des Kindes gesammelt wird. Ist er mit dem Blut gefüllt, wird er an die private Blutbank gesendet und dort bei -196 Grad in flüssigem Stickstoff eingefroren. Laut Bartel bewahrt vita34 über 230 000 Nabelschnurblutpräparate auf. Bisher gab es 42 Anwendungen, die Hälfte davon erfolgte bei Geschwisterkindern.

Eine Sache der Aufklärung

„Als ich davon erfahren habe, war mir sofort klar: Diese Sicherheit will ich auch für mein Kind!“

Isabel hat die Nabelschnur ihrer Tochter privat eingelagert

Von der Möglichkeit einer privaten Einlagerung hat Isabel schon vor ihrer Schwangerschaft durch einen Arbeitskollegen erfahren. „Er hat mir damals erzählt, dass er und seine Frau das Nabelschnurblut ihres Kindes nach der Geburt haben aufbewahren lassen. Der Gedanken, das eigene Kind auf diese Weise schützen zu können, hat mich einfach begeistert.“ Als Isabel erfährt, dass sie selbst ein Kind erwartet, war die Frage weniger, ob sie einlagert, sondern bei welchem Anbieter. “Mein Mann Stefan hat sogar einen eigenen Ordner für das Thema Nabelschnurblut angelegt.” Bei diesen Worten muss Isabel lachen. Schlussendlich haben sich Isabel und Stefan für die private Blutbank eticur) aus München entschieden, die mit dem Uniklinikum in Erlangen zusammenarbeitet.

Doch werdende Eltern können sich nicht nur für das Wegwerfen der Nabelschnur oder die private Einlagerung entscheiden. Eine weitere Möglichkeit ist das Spenden des Nabelschnurblutes an eine öffentliche Spende-Einrichtung. Dort wird das Nabelschnurblut eingelagert, bis es einem akut Erkrankten weitergegeben wird. Öffentliche Organisationen wie die Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Knochenmark- und Blutstammzelltransplantation und die American Academy of Pediatrics sprechen sich klar gegen eine private Einlagerung von Nabelschnurblut aus und empfehlen werdenden Eltern die Spende an eine öffentliche Nabelschnurblutbank. „Wenn Eltern das Nabelschnurblut spenden, dann wissen sie sicher, dass dieses Blut Erkrankten helfen wird“, erzählt Rüdiger. „Bei der privaten Einlagerung ist es unwahrscheinlich, dass das eigene Kind von dem Nabelschnurblut profitiert. Deshalb halte ich die Spende auf jeden Fall für sinnvoller.“ Laut Angaben des Zentralen Knochenmarkspender-Register Deutschland, standen dem Register 2019 17.733 Nabelschnurblutspenden zur Verfügung, im gleichen Jahr wurden neun dieser Spenden an Patient*innen weitergegeben.

Wer nicht zwischen privater Einlagerung und altruistischer Spende wählen will, dem bieten manche privaten Blutbanken eine Kombi-Variante an. In Kooperation mit öffentlichen Einrichtungen werden die Daten des eingelagerten Nabelschnurblutes für eine potentielle Spende erfasst. Sollte das eigene Kind der genetische Zwilling eines akut erkrankten Menschen sein, so können die Eltern entscheiden, ob sie das Blut spenden wollen. Laut Marion Bartel bietet vita34 werdenden Eltern mit diesem Konzept einen möglichen Lösungsweg an. Doch was halten Spende-Einrichtungen von der Kombi-Variante? Wie ist ein solches Konzept ethisch zu bewerten? Ist die Kombi-Variante wirklich die Lösung? Antworten auf diese Fragen gibt es in einer neuen Folge blutrauschen.

„Die Option der Spende war mir bis heute gar nicht bekannt“, sagt Carina. Auch mit der privaten Einlagerung habe sie sich nie näher beschäftigt. Bei ihren ersten beiden Schwangerschaften sei das Thema gar nicht im Gespräch gewesen. Als sie 2015 mit ihrer Tochter Ida schwanger wurde, kannte sie diese Möglichkeit damals noch nicht und ihre Gynäkologin hat sich dazu auch nicht geäußert. Bei ihrem Sohn Ludwig, zwei Jahre später, wurde ihr dann von einer Arzthelferin „einfach ein ganzer Stapel an Flyern in die Hand gedrückt“, darunter auch Werbung verschiedener privater Blutbanken. Doch wirklich darüber gesprochen habe ihre Frauenärztin nicht mit ihr. Fairerweise müsse sie aber sagen, dass sie selbst keine Initiative ergriffen und sich eigenständig informiert hat. Auch abseits von Besuchen bei Frauenärzt*innen, mit Freunden und in ihrem Bekanntenkreis, sei über Nabelschnurblut nie gesprochen worden. Einfach, weil kaum jemand davon weiß, erzählt Carina.

Auch Gesine Kögler, Leiterin der José Carreras Stammzellbank in Düsseldorf, versteht nicht, warum das Thema Nabelschnurblut so „stiefmütterlich behandelt wird.“ „Viele Ärzt*innen wollen das gar nicht ansprechen, weil sie die Eltern nicht beeinflussen oder ihnen ein schlechtes Gewissen einreden wollen, wenn sie es nicht machen“. Für die Naturwissenschaftlerin ist es wichtig, bei der der Aufklärung werdender Eltern harte Zahlen aufzuzählen. „Nur so können sich werdende Eltern ein Bild davon machen, was mit Nabelschnurblut heute möglich ist“, sagt Kögler. Dabei ist auch klar zu kommunizieren: „Die private Einlagerung ist kein Heilmittel für das Kind.“

Ungewissheit in der Forschung

In einem anderen Garten, 400 Kilometer von Isabel und Carina entfernt, in der Nähe von Berlin: Janett lehnt sich in ihrem Stuhl zurück, die hohe Kinderstimme ihres kleinen Sohnes ist zu hören. „Mama kann jetzt nicht, Liebling. Mama telefoniert gerade,“ antwortet die 32-Jährige ihrem Sohn Silas. Auch Janett hat sich vor knapp vier Jahren für eine private Einlagerung entschieden. Doch im Gegensatz zu Isabels Tochter Maria ist „die Chance, dass Silas sein Nabelschnurblut einmal brauchen wird, hoch.“ Sein Großvater väterlicherseits verstarb kurz vor Silas Geburt an Leukämie. Eine Krankheit, von der auffällig viele Mitglieder der Familie betroffen sind. Bei Leukämie ist die Gefahr einer genetischen Vererbung besonders groß. „Wir wollen, wenn der schlechteste Fall eintritt, weil gerade Kinder anfälliger für Leukämie sind, dafür sorgen, dass wir nicht auf Fremdstammzellen angewiesen sind,“ erzählt Janett. „Ich habe Angst, dass mein Sohn erkrankt und es keine*n Stammzellspender*in für ihn gibt.“ Also hat Janett sich vor ihren Laptop gesetzt und angefangen zu suchen. Die große Frage, die sie sich und dem Internet stellte, lautete: Was kann ich tun, um mein Kind zu schützen? Die Antwort, die das Netz Janett lieferte – private Einlagerung. Doch gerade bei Leukämie wird bevorzugt auf die Transplantation fremder Stammzellen statt eigener zurückgegriffen.

Janett, ihr Mann Sascha und ihr Sohn Silas

„Ich wollte meinen Sohn einfach auf irgendeine Weise schützen. Selbst, wenn das Ganze noch nicht wissenschaftlich erwiesen ist.“

„Die Stammzellen, die ich dem Erkrankten zuführe, dürfen nicht von der Krankheit befallen sein, die ich heilen möchte“, erzählt Mario Rüdiger vom Universitätsklinikum Dresden. „Wenn Kinder in jungen Jahren an Leukämie erkranken, ist es wahrscheinlich, dass sich die schädlichen Krebszellen bereits im Nabelschnurblut befinden.“ Dieser Tatsache war sich Janett zwar bewusst, als sie sich für eine private Einlagerung entschieden hat, aber „prinzipiell gibt es die Möglichkeit einer Eigentransplantation, selbst wenn sie nicht oft genutzt wird.“ Außerdem gebe es noch andere Krankheiten, bei welchen das eigene Nabelschnurblut vielleicht helfen könnte, meint Janett. Auch Marion Bartel von vita34 betont, dass „sich neu entwickelnde Therapien viel entscheidender für die Zukunft sind.“ Vor allem bei der Behandlung von Autismus, einer neurologischen Entwicklungsstörung, und Hirnschäden könnte eigenes Nabelschnurblut laut Bartel eine große Chance sein. Durch Studien wissenschaftlich erwiesen ist der Nutzen von eigenem Nabelschnurblut bei diesen beiden Erkrankungen jedoch nicht.

klinische Studien zum Einsatz von eigenem Nabelschnurblut bei Autismus und Zerebralparese


Man forsche zwar bei Krankheiten wie Autismus oder Zerebralparese, Bewegungsstörungen, deren Ursache in einer frühkindlichen Hirnschädigung liegen, zu dem Einsatz von eigenem Nabelschnurblutstammzellen. „Aber diese klinischen Studien befinden sich alle noch in Phase 1 oder Phase 2. Es wird noch Jahre dauern, bis diese Studien Phase 3 erreichten“, erzählt Gesine Kögler von der José Carreras Stammzellbank. In Phase 2 wird das Therapiekonzept geprüft und untersucht, ob das eigene Nabelschnurblut zu positiven Effekte führt. Diese Phase umfasst meist zwischen zwanzig und achtzig Probanden. Erst in Phase 3 wird die Therapie an mehreren hundert bis tausend Probanden angewendet, um einen signifikanten Wirksamkeitsnachweis zu erbringen. „An diesem Nachweis scheitern viele Therapien und werden nicht als Arzneimittel zugelassen“, sagt Kögler. Fremdes gespendetes Nabelschnurblut für die Transplantation hat diese Zulassung bereits und gilt als Fertigarzneimittel. Studien mit eigenem Nabelschnurblut konnten diesen Wirksamkeitsnachweis noch nicht erbringen.

Bisherige Studien mit eigenem Nabelschnurblut zu Autismus widersprechen sich in ihren Ergebnissen. Bei manchen klinischen Studien wurden Verbesserungen in Sprache, (Lern-)Verhalten und logischem Denken festgestellt, bei anderen wiederum blieben diese Veränderungen aus oder waren so gering, dass sie nicht als signifikant angesehen wurden. Bisher blieb auch der Nachweis aus, dass eigenes Nabelschnurblut ein besseres Therapiemittel für als fremdes Nabelschnurblut ist. „Bei der Erkrankung Autismus werden genetische Veranlagungen nicht ausgeschlossen, weshalb eine Transplantation von eigenem Stammzellen kontraproduktiv sein kann“, erzählt Kögler. „Aus diesem Grund verwenden immer mehr Studien fremdes Nabelschnurblut.“ Bei der Krankheit Zerebralparese konnte man in einer Studie feststellen, dass Nabelschnurblutstammzellen motorische Fähigkeiten und die Gerhinrkonnektivität verbessern. Allerdings fehlt auch hier der Beweis, dass eigenes Nabelschnurblut fremden Nabelschnurblut vorzuziehen ist.

Wörter, die in dem Zusammenhang mit der Forschung an Nabelschnurblut häufig fallen – „vielleicht“, „könnte“, „prinzipiell ist es möglich“. Auch den beiden Müttern aus Amberg ist bewusst, dass eigenes Nabelschnurblut nur höchst selten in der Behandlung von Krankheiten zum Einsatz kommt. „Die ganze Forschung steckt ja noch in den Kinderschuhen“, sagt Isabel. Das habe ihr eticur) bei einem Beratungsgespräch auch so gesagt. „Aber ich glaube innerlich ganz fest daran, dass die Forschung kurz vor dem Durchbruch steht. In 20 oder 30 Jahren werden Nabelschnurstammzellen das Mittel der Wahl in der Medizin sein.“ Auch das haben ihr private Blutbanken versichert.

Mario Rüdiger ist, was einen Durchbruch der Forschung anbelangt, weniger zuversichtlich als die Mütter. „Die Heilung mit eigenen Nabelschnurblutstammzellen bietet zum jetzigen Stand der Forschung keinen Vorteil gegenüber der Therapie mit fremdgerichtetem Nabelschnurblut.“ Ob Stammzellen aus dem eigenen Nabelschnurblut im Erwachsenenalter heilen können, ist allein deshalb schon ungewiss, weil niemand weiß, wie lange die Stammzellen in kryokonservierter Form funktionstüchtig bleiben. Gesine Kögler kann dem Mediziner nur zustimmen:

„Wann und vor allem ob es jemals medizinisch vorteilhaft sein wird, mit eigenem Nabelschnurblut zu therapieren, kann niemand sagen. Das wird sich auch so schnell nicht ändern.“

Gesine Kögler, José Carreras Stammzellbank

Trotz der Möglichkeit einer lebenslangen Einlagerung, hat sich Isabel erst einmal für den Zeitraum von 25 Jahren entschieden. Danach könne man den Vertrag entweder verlängern oder kündigen. Bei einer Auflösung des Vertrages würden die Stammzellen weggeworfen werden. „Nach diesen 25 Jahren übergeben wir den Vertrag wahrscheinlich an Maria und sie kann entscheiden, was sie mit ihren Stammzellen machen will.“ 2595 Euro hat die private Einlagerung Isabel und ihrem Mann gekostet. „Der finanzielle Aspekt hat bei dieser Entscheidung keine Rolle gespielt“, erzählt die junge Mutter. Sie arbeitet als Verwaltungsangestellte, ihr Mann ist Ingenieur. Eines macht sie während des Gespräches deutlich:

„Ich finde, Geld und Gesundheit kann man nicht gegeneinander aufwiegen. Geld, wenn es knapp wird, kann man sich leihen. Ich kann mich an die Bank oder an den Staat wenden, die mir Sicherheit bieten. Bei Gesundheit habe ich diese Sicherheit nicht.“

Isabel, Mutter einer einjährigen Tochter

Doch nicht jeder ist in der Lage, diese Kosten zu tragen – selbst mit Ratenzahlung. Aus diesem Grund hat sich Janett in Berlin für die private Firma vita34 entschieden – „einfach, weil das der günstigste Anbieter war.“ Janett zahlt eine jährliche Gebühr von 70 Euro. Die private Einlagerung kann je nach Länge des Vertrages und Anbieter zwischen 2000 und 5000 Euro kosten. Mit jeder Zahlung wird der Vertrag automatisch um ein Jahr verlängert. „Wir hätten es auch bei höheren Kosten möglich gemacht. Aber dann hätten wir uns etwas einfallen lassen müssen, um das bezahlen zu können.“

3D-Ultraschallbild in Carinas 33. Schwangerschaftswoche

Trotz der fehlenden wissenschaftlichen Beweise für die Sinnhaftigkeit einer privaten Einlagerung, bereut Isabel ihren Entschluss nicht. „Jetzt, ein Jahr später, bin ich noch viel stolzer auf meine Entscheidung”, sagt Isabel. Carina nickt bei den Worten ihrer kleinen Schwester und streichelt ihrem Sohn Ludwig nachdenklich über den Kopf. „Bei Ida und Ludwig habe ich die Chance verpasst, egal ob ich jetzt gespendet oder privat eingelagert hätte“, sagt Carina. Doch sich im Nachhinein darüber zu ärgern, das sei sinnlos. Zumal es auch noch keine Situation gab, in der sie die Stammzellen für eines ihrer Kinder benötigt hätte. „Wenn diese Situation da wäre, würde ich mich sicher fragen, ob das Nabelschnurblut, das wir damals so leichtfertig weggeworfen haben, helfen könnte.“ Ob Carina das Nabelschnurblut ihres dritten Kindes privat einlagern lässt oder spendet, weiß sie noch nicht. Was sie allerdings bei dieser Schwangerschaft anders machen möchte: Sich wirklich mit dem Thema Nabelschnurblut auseinandersetzen, um nicht aus Unwissenheit eine Entscheidung zu treffen. 

Quellen und weiterführende Literatur

Eglige Helferlein

Blutegel sind viel mehr als nur eklige Blutsauger. Sie können sowohl Tiere als auch Menschen heilen. Ein Abriss der heilenden Wirkung der Würmer und ihrer Aufzucht.

Mit Strom aufgeladene Metallstreifen laufen am Rand eines großen Wasserbeckens entlang – so, als sollten sie verhindern, dass etwas, das darin lebt, nicht herauskommt. Es wirkt, als sei der Teich lediglich mit rosafarbenen Seerosen gefüllt. Bei genauerem Betrachten wuseln schwarze Würmer im Inneren des Beckens wild umher. Was auf den ersten Blick wie ein Zuchtbecken für Wasserpflanzen aussieht, ist auf den zweiten die Kinderstube von Blutegeln – das ist die Biebertaler Blutegelzucht.

Glitschig, blutrünstig, einfach nur eklig – so werden Blutegel häufig beschrieben. Dabei können sie zahlreiche Erkrankungen heilen, was sich Menschen und Tiere schon seit tausenden von Jahren zu Nutze machen. Das Wort „Egel“ kommt aus dem Griechischen und wird mit „kleine Schlange übersetzt“. Blutegel gehören zu den Ringelwürmern und sind eng mit dem Regenwurm verwandt. Ausgewachsene Egel sind zwischen fünf und zehn Zentimeter lang und messen im hungrigen Zustand den Durchmesser eines Zentimeters. Sattgegessen steigt der Durchmesser auf bis zu drei Zentimeter.

Der Rücken besteht aus 95 Ringeln, wovon die ersten neun bis zehn den Kopf bilden. Dort befinden sich zehn schwarze Augen auf der Rückseite. Auf der Vorderseite liegt der Schlund mit drei Kiefern, die jeweils 80 Kalkzähne zählen.

Trotz ihres gewöhnungsbedürftigen Aussehens können Blutegel bei zahlreichen Erkrankungen eingesetzt werden. Dazu zählen beispielsweise Rheuma, Krampfadern, Tinnitus, Thrombose, Gürtelrose und Furunkel. Auch Tiere könnten beispielsweise von Abszessen, Arthrose und Sportverletzungen befreit werden, erklärt Tierheilpraktikerin Dagmar Gellert. Sie besitzt eine mobile Tierheilpraxis und bietet neben anderen Therapieformen auch die Blutegeltherapie an Tieren an. Sie trägt ein dunkelgrünes T-Shirt, auf welches das Logo ihrer Praxis gedruckt ist und ihren Hund, einen Husky-Mix, hat sie auch mit in das Café gebracht. Gellert erzählt begeistert von der heilenden Wirkung der kleinen Würmer: „Blutegel heilen durch ihren Speichel, den sie beim Beißen in die Wunde abgeben.“ Es wird angenommen, dass dieser aus 30 bis 100 Substanzen besteht, von denen bisher aber nur acht benannt und einigermaßen erforscht sind. Der Speichel wirkt unter anderem entzündungshemmend, schmerzlindernd und verlangsamt die Blutgerinnung.

Beim Ansetzen der Blutegel gibt es verschiedene Techniken, die je nach Präferenzen der Therapeut*innen angewandt werden. Es besteht beispielsweise die Möglichkeit, die zu behandelnde Stelle leicht anzuritzen oder dort mit einer Nadel hineinzustechen, sodass an dieser Stelle Blut austritt. Es gibt außerdem spezielle Lockstoffe, die verteilt werden können, um die Egel anzuziehen. Tierärztin Petra Smital arbeitet an der Tierklinik Oberhaching und bietet ebenfalls die Blutegeltherapie an Tieren an. Sie präferiert es, die Blutegel durch dem Patienten abgenommenes Blut und den Lockstoff anzusetzen.

Gellert setzt auf eine andere Methode: „Ich lasse die Egel die passende Stelle selbst finden. Dafür mache ich das Fell des zu behandelnden Tieres nass und setze die Egel darauf.“ Grund für dieses Vorgehen ist, dass Egel sehr wärmeempfindlich seien und schon leichte Temperaturunterschiede ausmachen könnten. Entzündete Stellen sind in der Regel etwas wärmer als ihre Umgebung und so könnten die Egel diese schnell ohne Hilfe finden. 

Mit ihren drei Kiefern schneiden sich die Blutegel in die Haut und hinterlassen eine „Y“-förmige Wunde. Der Biss an sich ist nicht schmerzhaft und kann mit einem Mückenstich verglichen werden. Der Blutegel saugt zwischen zehn Minuten und drei Stunden, bis er satt ist, dann fällt er von selbst ab. „Die Egel dürfen nicht gewaltsam entfernt werden“, warnt Gellert. „Ansonsten kann es nämlich passieren, dass sie sich vor Schock in die Wunde des Patienten übergeben und so Keime in diese gelangen.“

Falls ein Blutegel bei der Therapie an einem Tier schon über drei Stunden saugt, bereits satt ist, sich aber nicht ablöst, gibt es die Möglichkeit, den Patienten in Bewegung zu bringen. Dann löst sich der Egel meist von selbst. „Grund dafür ist, dass beispielsweise Rinder in der freien Natur instinktiv Wasserstellen aufsuchen, um sich von Blutegeln heilen zu lassen“, erklärt Gellert. „Bewegt sich das Tier, signalisiert das dem Blutegel, dass dieses die Wasserstelle verlässt und so lässt er von selbst von der zu behandelnden Stelle ab“. 

Die Wunde blutet anschließend bei Tieren an die zwölf Stunden nach, wodurch sie sich selbst reinhält. Auch bei Menschen werden medizinische Blutegel eingesetzt, hier kann der Prozess des Nachblutens bis zu 24 Stunden anhalten. Nach einer Blutegeltherapie treten häufig leichte Schwellungen und Juckreiz auf, die sich jedoch wieder legen und normal sind. Außerdem sind allergische Reaktionen möglich, in diesen Fällen sollte die Therapie abgebrochen werden. Gellert verwendete bereits Egel an ihrem eigenen Knie und war mit dem Ergebnis zufrieden. Vergangene Blutegeltherapien an Tieren verliefen ebenfalls problemlos: „Bis jetzt sind die Erfahrungen, die ich mit Blutegeln gemacht habe, durchweg positiv“. Nicht immer problemlos lief es bei Humanheilpraktikerin Edeltraud Musil ab. Sie besitzt eine Naturheilpraxis im oberbayerischen Wielenbach und bietet unter anderem die Blutegeltherapie für Menschen an. Sie ist ebenfalls begeistert von den kleinen Würmern, berichtet aber auch von Komplikationen.

Für die Therapie können nicht einfach Blutegel aus einem Teich in der freien Natur entnommen werden, denn nur wenige Egelarten haben einen medizinischen Nutzen. Deshalb gibt es spezielle Betriebe, die sich der Vermehrung, Aufzucht und dem Verkauf der Würmer widmen, dazu zählt die Blutegelzucht Biebertal. Sie besitzt an die, eigens für die Egelaufzucht angelegte, 50 Teiche. Auch Gellert bezieht ihre Blutegel regelmäßig über die Zucht. Sie greift in ihre Tasche, holt ein kleines Glas mit einem hellgrünen Deckel heraus und stellt es auf den Tisch. Darin schwimmt ein kleiner Blutegel elegant umher. Dass sie sich in einem Café befindet, scheint sie nicht zu stören: „Hier, dieser Blutegel kommt zum Beispiel aus Biebertal“. Die in Hessen nahe Gießen gelegene Blutegelzucht gehört nach Zuchtunternehmen in Russland zu den größten Europas. Der Betrieb begann als soziales Projekt, entwickelte sich jedoch 2008 zu einem wirtschaftlichen Unternehmen, da die Nachfrage nach Blutegeln kontinuierlich anstieg.

„Jährlich verkaufen wir um die 500 000 Blutegel“, erzählt Galatis stolz und zupft sein Poloshirt zurecht, welches das Logo der Biebertaler Blutegelzucht ziert. Mit einem freundlichen Lächeln sitzt er locker zurückgelehnt am Schreibtisch und erzählt begeistert von seinem Betrieb. 150 000 der verkauften Tiere sind selbst gezüchtet. Der Rest ist importiert: „Wir beziehen den Großteil der Blutegel aus dem Donaueinzugsgebiet. Dazu zählen Ungarn, Serbien, Rumänien und Bulgarien, aber auch Tiere aus der Türkei werden importiert.“ Die importierten Blutegel werden in einem 60 Meter langen Gewächshaus in mehreren großen Teichen gehalten.

Blutegel sind Zwitter, zwei geschlechtsreife Tiere können sich dadurch gegenseitig befruchten. Dabei scheiden die Egel eine Eiweißmasse aus, die zu einem Kokon wird, in welchem sich bis zu 30 Eier plus Dotter befinden. „Hier werden diese Kokons vom Ufer der Teiche in den Becken abgesammelt, damit die Tiere unter kontrollierten Bedingungen schlüpfen können“, erklärt Linda Bisping, die Assistentin des Geschäftsführers und zeigt dabei auf die längliche Seite eines mit Seerosen gefüllten Beckens, wo sich ein Streifen Erde befindet.

Die junge Frau trägt einen dunkelblauen Rock und ein rosa Top und erzählt begeistert von der Konkonsammlung, Aufzucht, Fütterung und Verpackung der Blutegel. Die Zucht der Würmer ist ein aufwendiger Prozess, der mehrere Stufen durchläuft, bis diese schließlich verkaufsreif sind. Vom Schlüpfen über die Aufzucht hin zur Fütterung und dem Verkauf haben Geschäftsführer Harald Galatis und die Mitarbeiter*innen der Blutegelzucht einiges zu tun.

Weltweit existieren etwa 600 blutsaugende Egelarten, 15 davon werden im medizinischen Bereich verwendet. Für die Blutegeltherapie werden die Arten „Hirudo medicinalis“ (Medizinischer Blutegel), „Hirudo verbana“ (Mediterraner Medizinischer Blutegel) und „Hirudo orientalis“ (Orientalischer Blutegel) eingesetzt, wobei der „Hirudo orientalis“ hauptsächlich in Osteuropa verwendet wird. Die Biebertaler Blutegelzucht vertreibt momentan die Art „Hirudo verbana“. „Diese Art ist unseres Wissens nach am besten zu vermehren“, erklärt Galatis. Der „Hirudo medicinalis“ wird – obwohl er ursprünglich natürlich in der Region vorkam – nicht verkauft, da er durch Massenexporte und die Gewässerverschmutzung im Zuge der industriellen Revolution ausgerottet wurde.

Bisping rührt mit einem Besen in einem der Becken herum, in dem sich die importierten Blutegel befinden. Schließlich hat sie einen kleinen Wurm erwischt und drapiert in für ein Foto dekorativ auf einem Seerosenblatt.

„Die importierten Egel müssen, nachdem sie bei uns ankommen, in eine achtmonatige Quarantäne. Das bedeutet, sie bekommen in dieser Zeit nichts zu fressen“, sagt Bisping. Durch die Quarantäne soll verhindert werden, dass der Egel noch Krankheitserreger seiner vorherigen Blutmahlzeit in sich trägt. Blutegel können nach einer großen Mahlzeit bis zu zwei Jahre ohne Futter überleben. 

Die geschlüpften Würmer aus der Eigenzucht bewahrt der Betrieb in einem kühlen Raum auf. Dort steht eine Reihe langer Metallregale, die mit großen Gläsern gefüllt ist, in denen sich zahlreiche kleine Egel tummeln. Eine Mitarbeiterin in weißer Kleidung steht zwischen den Regalen und wechselt das Wasser in den Gläsern aus. Mit weißen Gummihandschuhen und einem Sieb sortiert sie zudem tote und verletzte Egel aus.

Die Fütterung der selbstgezüchteten Egel beginnt schon in deren erster Lebenswoche. Hierfür wird Blut in Membrane gefüllt, welche unbehandelten Kondomen ähneln. Alternativ verwendet der Betrieb auch gereinigte Schweinedärme. Das Blut wird anschließend in die Membrane gefüllt. Diese fertigen „Würste“ liegen in einem Eimer für die Egel bereit. Die Würmer werden aus den Gläsern in die Eimer gesetzt und docken sich mit ihren drei Kiefern an. Anschließend saugen sie so lange Blut heraus, bis sie satt sind. „Nach drei Wochen steht die zweite Fütterung an“, erklärt Geschäftsführer Galatis. „Das dauert auch noch nicht lange, da die Egel noch sehr klein sind.“ Die Fütterungsintervalle werden mit fortschreitender Zeit immer größer und dauern schließlich sogar mehrere Monate an. Die Tiere fressen zwischen fünf bis acht Mal, bis sie die verkaufsreife Größe erreicht haben. Verkaufsreif heißt fünf bis zehn Zentimeter groß und ungefähr zwei Jahre alt.

Zu dieser Größe schaffen sie es dank Pferde- oder Rinderblut. Rinderblut wurde zwischenzeitlich aufgrund des Rinderwahns BSE verboten, weswegen die Biebertaler Blutegelzucht auf Pferdeblut umstieg. Seit kurzer Zeit ist die Verfütterung von Rinderblut jedoch wieder zugelassen, was Galatis sehr freut: „Wir haben nun eine Kooperation mit einem Biobauernhof in der Nähe, von dem wir das Rinderblut bekommen. Es eignet sich einfach besser zur Fütterung, da Rinder, wenn sie geschlachtet werden, nicht so alt sind wie Pferde. Außerdem bekommen Pferde in der Regel mehr Medikamente“. Auch Schweineblut testete der Betrieb zur Fütterung, jedoch vertrugen die Blutegel dies nicht gut und wurden krank.

Nachdem die Egel ihre Verkaufsgröße erreicht haben, kommen sie in die Verpackung. Darin stehen mehrere Eimer gefüllt mit hunderten Blutegeln. Die Tiere liegen übereinandern und saugen sich an der Wand der Eimer fest. Am Rand des Eimers befinden sich, genau wie in den Becken, Metallstreifen. „Sie verpassen den Egeln einen leichten Stromstoß, wenn sie versuchen herauszukriechen“, erklärt Bisping.

Bevor die Egel final verpackt werden führt das Personal noch eine Qualitätssicherung durch. Dabei nehmen die Mitarbeiter die Würmer aus den Eimern heraus und untersuchen sie unter anderem nach Wunden oder auffällig trägem Verhalten. Ist die erwünschte Qualität der Blutegel gegeben, kommen sie in ein Leinensäckchen, welches in ein Styroporkästchen gelegt wird, das mit feuchten Schaumstoffwürfeln gefüllt ist. Dann können die Tiere verschickt werden.

Ausgewachsene Egel werden bis zu zehn Zentimeter lang, die Zucht bietet verschiedene Größen an. So gibt es die Auswahl zwischen Mini-Egeln, kleinen und mittelgroßen Würmern. Wie groß die Egel dann jeweils sind, gibt der Betrieb nicht an, da sie immer unterschiedlich groß seien. „Wir haben keine Größenordnung wie beispielsweise bei Schrauben, also vollständig standardisiert und genormt“, sagt Galatis. „Manchmal haben wir bestimmte Größen einfach nicht, da müssen wir halt so frei sein können und eine andere Größe verschicken“. 

Die meisten Blutegel haben keinen weiten Weg vor sich. „Unsere Kunden kommen zu über 90 Prozent aus Deutschland, Österreich und der Schweiz“, zählt Galatis auf. „Wir schicken die Egel aber auch nach Italien, Frankreich, Spanien und in die skandinavischen Länder. Selten zum Beispiel auch nach Chile oder Korea.“ Der Grund hierfür ist die unterschiedliche rechtliche Regelung innerhalb der Länder. In Deutschland fallen Blutegel unter das Arzneimittelgesetz und gelten als Fertigarzneimittel, da die pharmakologische Wirkung als schmerzhemmend nachgewiesen und von einer gerinnungs- und entzündungshemmenden Wirkung auszugehen ist. Nicht in allen Ländern gilt dieses Gesetz für die Würmer, weswegen die Preise der Biebertaler Blutegelzucht für manche Länder vergleichsweise hoch sind und diese somit kein Interesse an den Blutegeln aus Biebertal haben.

Zu den Kunden der Biebertaler Blutegelzucht zählen Ärzt*innen, Tierärzt*innen und Humanheilpraktiker*innen. „Tierheilpraktiker dürfen nicht direkt bei uns bestellen, da sie keine einheitliche Prüfungsordnung haben und somit nicht zu den Heilberufen zählen“, erklärt Galatis. Diese müssen die Blutegel dann über eine Apotheke beziehen. Da die Egel zwar ein apothekenpflichtiges Arzneimittel, jedoch nicht verschreibungspflichtig sind, können auch Privatpersonen die Würmer über die Apotheke bestellen.

Tierheilpraktikerin Dagmar Gellert rät jedoch dringend davon ab, Blutegel ohne jegliche Vorkenntnisse anzuwenden: „Man kann Seminare speziell für die Blutegeltherapie besuchen, das würde ich auch unbedingt empfehlen“. Sie absolvierte bereits ein Seminar zur Blutegeltherapie in der Biebertaler Blutegelzucht. Dies ist wichtig, da beispielsweise bei der privaten Haltung – im Blutegelfachjargon: Hälterung – einige Dinge beachtet werden müssen. „Die Blutegel sollten kühl gelagert werden“, erklärt Gellert. „Ich bewahre sie in einem großen Weckglas mit frischem Wasser und Steinen auf“. Die Steine sind wichtig, da der Egel regelmäßig eine Schleimhülle abstreift. Ohne die Steine kann er diese nicht entfernen und dadurch können sich Einschnürungen bilden, an denen der Egel im schlimmsten Fall erstickt. Viele Ärzt*innen und Heilpraktiker*innen setzen zudem auf bestimmte Bedingungen des Wassers, wie zum Beispiel, dass es abgekocht sein muss. Gellert hält davon nicht viel: „Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es egal ist, welches Wasser man verwendet. Normales Leitungswasser reicht vollkommen aus.“

Nachdem Blutegel an Mensch oder Tier angesetzt wurden, finden sie häufig kein gutes Ende. Es ist Vorschrift, dass die Tiere nach der Anwendung entsorgt werden. Da die Würmer als Fertigarzneimittel gelten, fallen sie unter die Kategorie „Abfälle aus dem medizinischen Bereich“ und müssen dementsprechend beseitigt werden. Grund hierfür ist die mögliche Gefahr von Krankheitsübertragungen bei erneutem Ansetzen, obwohl dies laut Galatis und Gellert bis jetzt noch nicht nachgewiesen werden konnte. Um den Würmern ein möglichst stressarmes Ableben zu ermöglichen, wird empfohlen, sie nach Gebrauch einzufrieren. „Sie fallen durch die Kälte in eine Stoffwechselruhe, da dadurch simuliert wird, dass sie sich in einem Teich befinden, der im Winter zufriert“, erklärt Gellert. Sie können aber auch in Alkohol oder kochendes Wasser eingelegt werden.

Alternativ bietet die Biebertaler Blutegelzucht die Möglichkeit an, die Tiere kostenpflichtig zurückzuschicken. Diese werden dann für acht Monate in der Lebenshilfe Gießen gepflegt und in einen Teich Luftlinie ungefähr fünf Kilometer von der Zucht entfernt ausgesetzt. In diesem sogenannten Rentnerteich werden die Tiere zwar nicht mehr gefüttert, sie können sich jedoch von Fischen, Vögeln oder Amphibien im Gewässer ernähren. Bei regelmäßigen Mahlzeiten können die Würmer an die 30 Jahre alt werden. Galatis selbst sieht die Entsorgung nach einmaliger Anwendung skeptisch: „Blutegel sind Lebewesen und deshalb schützenswert. Außerdem stehen sie auf der Liste des Washingtoner Artenschutzabkommens als gefährdete Tiere und wir Menschen erlauben uns den Luxus, jedes Jahr hunderttausende Egel zu töten. Deswegen finde ich den Rentnerteich die beste Lösung zur Entsorgung.“ In dem ehemaligen Fischteich mit ruhiger, separater Lage, hindern auch keine Metallstreifen die Blutegel, ihre Rentnerstube zu verlassen.

Hämophilie und Sport: Wie passt das zusammen?

Noch bis in die 70er Jahre galt Sport für Menschen mit Bluterkrankheit als absolutes Tabu – zu groß war die Angst vor unkontrollierbaren Blutungen. Heute ist die Medizin wesentlich weiter. Sport und Hämophilie sind nun kein gegensätzliches Begriffspaar mehr.
Doch die Recherche hat aufgezeigt: Eine pauschale Antwort auf die Frage „Sind Sport und Hämophilie vereinbar?“ existiert nicht. Um die Sportwelt von Menschen mit Bluterkrankheit zu begreifen, muss man tiefer bohren und Betroffene zu Wort kommen lassen.

Was geht und was nicht? Was gilt es zu beachten? Welchen Hindernissen begegnet ein*e Sportler*in mit Bluterkrankheit?
Ziel dieses Projekts ist es, die Frage nach der Vereinbarkeit von Sport und Bluterkrankheit zu diskutieren und möglichen Antworten auf die Spur zu kommen
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Was ist Hämophilie?


Die Hämophilie, auch Bluterkrankheit genannt, ist eine angeborene, vererbbare Blutgerinnungsstörung. Sie ist eine eher seltene Erkrankung und tritt bei einem von etwa 5000 bis 8000 männlichen Neugeborenen auf. Frauen erkranken nahezu nie an ihr. Menschen, die an dieser Krankheit leiden, fehlt lebenslang ein Stoff im Blut, welcher für die Blutstillung nötig ist – der sogenannte Gerinnungsfaktor.

Durch diesen Mangel an Gerinnungsfaktor verläuft bei Hämophilen die Blutstillung verzögert und unvollständig. Bei Verletzungen, aber bei schwerer Hämophilie auch spontan, ohne erkennbaren Anlass, kann es unbehandelt zu ausgedehnten Blutungen kommen. Die Blutungen betreffen vorwiegend Muskeln, Gelenke und Haut, seltener innere Organe.

Man unterscheidet zwei Formen der klassischen Hämophilie:
– Hämophilie A: (Gerinnungs-)Faktor VIII fehlt
– Hämophilie B: Faktor IX fehlt

Die Bluterkrankheit kann in verschiedenen Schweregraden auftreten, bei denen der Gerinnungsfaktor nur teilweise oder gar nicht vorhanden ist.  

Quelle:
Interessengemeinschaft Hämophiler e.V.

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Stolperstein Hämophilie –

Gehversuche eines Bluters im Sport

„In diesem Video erwarten euch brennende Oberschenkel, glückliche Gesichter, erhobene Daumen und ein neues Mitglied der HOPE-Familie. Hier kommt aus der Türkei: Murat.“ Mit diesen Worten begrüßt Arni Lehmeier die YouTube-Community zur Wandsitz-Challenge. Dann geht es zu zehnt an die Wand. Ziel der Gruppe: in der Summe der Einzelzeiten 30 Minuten im Wandsitz verharren. Das Team bringt sich in Position und das Startsignal fällt.

Halten. Halten. Halten.

Bei Sekunde 27 ist Schluss für Murat. Er rutscht von der Wand.

Murat ist 21 Jahre alt, lebt und studiert in Istanbul und kam mit einer schweren Hämophilie A auf die Welt. Seit seiner frühen Kindheit hat er Probleme mit dem Sprunggelenk, erzählt Murat. Ende des Jahres 2019 stellt ihm sein betreuender Arzt bei einem Kontrollbesuch schließlich eine Diagnose. Murat hat hämophile Arthropathie im rechten Sprunggelenk – eine chronische Gelenkerkrankung, hervorgerufen durch unentdeckte Einblutungen infolge seiner Hämophilie. „Früher war ich häufig schwimmen, eine der besten Sportarten für Hämophile“, sagt er. Spätestens seit dem vergangenen Jahr und der Diagnose habe er jedoch jegliche sportliche Betätigung unterlassen, erzählt Murat. Nur das Schachspielen, seine absolute Leidenschaft, hat er beibehalten.

Es ist April diesen Jahres, als Arni Lehmeier eine Nachricht an den türkischen Studenten verfasst. Ursprünglich lernten sich Arni und Murat im Sommer 2018 kennen, als Lehmeier ein Auslandssemester in Istanbul verbringt. Es entsteht eine Freundschaft zwischen den Studenten, die die Erkrankung an der Hämophilie verbindet. Zurück in Deutschland schläft der Kontakt zu Murat zunehmend ein und so ist Arni nicht genau über das gesundheitliche Befinden des türkischen Hämophilen informiert, als er sich erneut bei diesem meldet. Einige Bekannte konnte Arni in der Vergangenheit bereits für die Mitwirkung in seinen Videos gewinnen. Diese sind selbst nicht von der Hämophilie betroffen. „Ich bin aber immer auf der Suche nach Motivierten“, erzählt er, „und da musste ich an Murat denken, der mir als neugieriger Charakter im Gedächtnis geblieben ist.“ Er weiht ihn in sein neuestes HOPE-Projekt, die Wandsitz-Challenge, ein. Durch Murats Beitritt kann er erstmals einen weiteren Hämophilen für HOPE begeistern.

Arni Lehmeier hat einen Masterabschluss in Gesundheitsförderung und somit seine Erkrankung zum Beruf gemacht. Durch sein Videoprojekt HOPE (Hämophilie Ohne ProblemE) möchte er Betroffenen einen besseren Umgang mit Erkrankung und auch Sport vermitteln.

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Was bedeutet „Faktorkonzentrat“?


Heutzutage ist Hämophilie durch die Vergabe von sogenanntem Faktorkonzentrat behandelbar. Die fehlenden Gerinnungsfaktoren können gentechnisch hergestellt und von Patient*innen selbst mit einer Spritze direkt in die Blutbahn injiziert werden (ärztlich kontrollierte Heimselbstbehandlung).

Die Dosierung, d. h. wie oft und in welcher Menge Faktoreinheiten verabreicht werden, hängt vom Schweregrad der Erkrankung, von der Lebensweise der Patient*innen, dem durch Blutproben ermittelten Gehalt von aktivem Faktor im Blut und dem verabreichten Medikament ab. (Geltungsbereich: Deutschland)

Es gibt zwei Varianten der Verabreichung des Faktorkonzentrats:
– Bedarfsbehandlung: zur Blutstillung bei einem akuten Blutungsereignis
– Dauerbehandlung: prophylaktische Vergabe in regelmäßigen Abständen zur Blutungsvorbeugung (i.d.R. bei Kindern und Jugendlichen und einer schweren Ausprägung der Bluterkrankheit)

Der tatsächliche Prozentwert der Blutgerinnung, der mit der Faktorvergabe erreicht werden kann, hängt von mehreren Faktoren wie der eigenen Blutungsneigung, dem verwendeten Faktorpräparat oder dem Alter und Körpergewicht ab.

Einige Richtwerte erleichtern die Observation der Blutgerinnungswerte für Hämophile:
– für sportliche Aktivität sollte man eine Blutgerinnung von
mindestens 15 % haben
– für Alltagsaktivitäten 5 %
– unter 3 % erhöht sich das Risiko für Spontanblutungen

Hinweis: Der Normalbereich in der Gerinnungsfähigkeit bei gesunden Menschen liegt zwischen 70 und 130 %.

Quellen:
Interessengemeinschaft Hämophiler e.V.
Novo Nordisk Pharma GmbH
VidaWell GmbH
Swedish Orphan Biovitrum GmbH

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Murat erinnert sich noch genau an Arnis Anfrage zur Unterstützung bei der Wandsitz-Challenge. Von der Diagnose des vergangenen Jahres beunruhigt, zeigt er sich zunächst skeptisch gegenüber der Idee und konfrontiert Arni mit seinem Problem im Sprunggelenk. Aufgrund der eigenen Vorbelastung durch eine hämophile Gelenkarthrose kann dieser die Bedenken des Studenten nachvollziehen. „Mir lag am Herzen, Murat zu beraten und ihn dennoch an den Sport heranzuführen.“

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„Unsere Gelenke sind nur so stark wie die Muskeln, die sie schützen. Daher sind Kräftigungsübungen für Hämophile umso wichtiger.“

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Arni empfiehlt ihm, sich langsam heranzutasten, alle zwei Tage zu trainieren und auf die Faktorversorgung vor dem Sport zu achten. „Nach unserem Gespräch hat Murat begeistert zugesagt“, erzählt Arni.

Der Student schöpft Hoffnung durch Arnis Worte und macht sich ans Training. „Am Anfang habe ich nur wenige Sekunden geschafft“, erzählt Murat. „Aber ich glaube, allmählich hat mein Körper gespürt, dass das Training kein Gift für ihn ist.“ Zwei Wochen später ist die Videoaufzeichnung geplant. Das Team schafft 41 Minuten im Wandsitz und übertrifft somit das angestrebte Ziel von 30 Minuten. „Dafür, dass vorher gar nichts ging, waren 27 Sekunden eine enorme Steigerung für mich. Aber als ich das Video und die starken Zeiten der anderen gesehen habe, habe ich angefangen zu weinen. Natürlich nur ein Witz.“ Murat lacht. „Aber sagen wir, ich habe 30 Sekunden geschafft?“

Räumlich getrennt, für den Sport ganz nah – Arni und Murat bei der Wandsitz-Challenge

Wenige Wochen später startet Arni eine neue Sport-Challenge. „Ich habe gemerkt, dass Murat Blut geleckt hat“, sagt Lehmeier. Er will den Studenten weiter motivieren und geht erneut auf ihn zu. Durch seinen ersten persönlichen Fortschritt angespornt, sagt dieser prompt zu. Während sich die anderen Teilnehmer*innen der Challenge an verschiedenen Workouts versuchen, gelingt es Murat nicht, die Sorge über sein Gelenkproblem völlig loszulassen. Ein Lauftraining traut er sich nicht zu. Doch der Ehrgeiz des 21-Jährigen scheint geweckt – mit Humor nimmt er Arnis alternative Idee an und schwingt für das Video eine halbe Stunde lang den Wischmopp. „Wichtig ist, dass man sich bewegt. Dafür braucht man ja nicht direkt einen Marathon laufen“, findet Lehmeier.

Arni motiviere ihn definitiv zu mehr Sport, sagt der Student. „Er hat mich überzeugt, dass Sport nicht nur aus Basketball oder Fußball besteht und dass – seien es die noch so kleinen Dinge – sportliche Aktivität auch für mich möglich und gesund ist.“ Wäre da nicht die Situation in der Türkei, die Murat zusätzlich einen Stein in den Weg legt. Sport nimmt in der türkischen Gesellschaft ohnehin keine maßgebliche Rolle ein, berichtet Arni aus seiner Erfahrung. Unter Hämophilen gestalte sich Sport noch einmal schwieriger, erzählt er weiter. Während die prophylaktische Versorgung mit Faktorpräparaten für Hämophile hierzulande in den 1980er Jahren aufkam, wurde sie in der Türkei erst 2006 gesetzlich wirksam. Ältere Hämophilie-Patient*innen haben daher oftmals mit massiven Vorschädigungen zu kämpfen und trauen sich nicht an Sport heran. Zwar hatte Murat das „Glück“, bereits seit seiner Diagnose im Jahr 2001 prophylaktisch Faktorpräparate zu erhalten – er weiß: Das hätte auch anders laufen können. Andere Gleichaltrige haben ihre frühe Kindheit ohne Prophylaxe erlebt und waren somit einem höheren Blutungsrisiko ausgesetzt – dennoch gibt es aufgrund der hohen Kosten von Faktorkonzentrat in der Türkei nach wie vor eine Obergrenze bei der Vergabe. In Deutschland erfolgt die Versorgung hingegen nahezu unbegrenzt. Für jüngere Hämophile, denen sportliche Betätigung explizit ans Herz gelegt wird, stellt diese Obergrenze eine Hürde dar. 

Die Standarddosis der Faktorprophylaxe liegt in der Türkei unabhängig vom Körpergewicht bei 54 000 Einheiten für einen Zeitraum von 3 Monaten, erklärt Muhlis Cem Ar, Hämatologe und Professor an der Universitätsklinik Istanbul.  

Die benötigte Menge an Faktoreinheiten ist aber sehr wohl individuell – diese hängt von verschiedenen Faktoren wie dem Schweregrad der Krankheit, Körpergewicht und Lebensstil ab, erklärt Ar weiter. In der Praxis bedeutet die einheitliche Standarddosis eine Einschränkung für viele Betroffene: Einen Schutz im Alltag können die durchschnittlich 4 500 wöchentlichen Einheiten zwar abdecken, eine umfangreiche sportliche Freizeitgestaltung lässt dieses Limit jedoch kaum zu. Arni Lehmeier etwa verspritzt auf Basis seines sportlichen Lebensstils und Muskelgewichts wöchentlich circa 7 500 Einheiten. „Besonders bei höherem Körpergewicht und wenn man noch sportlich unerfahren ist und es doch einmal zu einer unvorhergesehenen Blutung kommt, kann der Faktorvorrat also knapp werden und sportliche Aktivität somit zu Gefahren führen“, erklärt Muhlis Cem Ar. Im Sport war und ist die Obergrenze definitiv ein Hindernis für ihn, erzählt Murat. Denn wenn er die Chance hätte, seine Faktorversorgung flexibler und ohne Limit zu gestalten, wäre seine Motivation und auch die vieler Hämophiler in der Türkei für sportliche Betätigung größer, da ist sich Murat sicher.

Murat lässt sich nicht unterkriegen und möchte in weiteren Aktionen von HOPE mitwirken – nicht allein, um seinen Bedenken gegenüber sportlicher Aktivität mehr und mehr den Rücken zu kehren und seinen Körper weiter zu stärken, sondern auch für die Außenwirkung.

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„Damals bei der ALS Ice Bucket Challenge wussten viele Menschen auch noch nichts über die Krankheit. HOPE ist für mich etwas Ähnliches.“

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Nicht nur könne durch die Videos besser über die Erkrankung aufgeklärt werden, auch für Hämophile selbst sei das Projekt sehr wichtig, sagt Murat. Er möchte anderen Hoffnung machen. Das Engagement als Hämophiler bei HOPE ist für ihn besonders entscheidend. „Nur wenn andere sehen, dass speziell Hämophile sportlich aktiv werden, kann man sie richtig motivieren.“ Er ist inspiriert von Lehmeiers Projekt, sieht Arni als großes Vorbild, betont er. Und er ist der Meinung, dass es ein solches Projekt auch in der Türkei geben sollte, erläutert er weiter. „Wer weiß.“ Da kommt Murat ins Grübeln.

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„Vielleicht kann ich irgendwann etwas Ähnliches in der Türkei starten und Arni ist dann mein deutscher Gast.“

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Arnis Unterstützung trägt beim türkischen Studenten Früchte – Murat ist auf einem guten Weg. Ihm, sowie allen Hämophilen, die sich sportlich betätigen, möchte Arni Lehmeier jedoch drei Spielregeln ins Gedächtnis rufen.

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Die Wahl einer geeigneten Sportart.
Das Meiden von Mannschaftssportarten.

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Denkt man in diesem Zusammenhang an Fußball, so liegt der Schluss nahe, dass Hämophile gänzlich auf die Sportart verzichten müssen. Umso verwunderlicher, dass es ein spezielles Fußballtraining für Kinder und Jugendliche mit Bluterkrankheit gibt – eine Hämophilie-Gruppe des Berliner Fußball-Verbandes, bestehend aus hämophilen Jungs im Alter von 8 bis 14 Jahren.

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Fußball und Hämophilie?

Wie soll das funktionieren? Das erfahrt ihr nun im Podcast!

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Die Reise durch das Thema Sport und Hämophilie – begonnen beim Neuling Murat, der sich allmählich an Bewegung herantastet, hinweg über Arni als erfolgreichen und erfahrenen Sportler, bis hin zu einem wegbereitenden Angebot im Fußball – sie hat die Suche nach Antworten auf die Frage „Sind Sport und Hämophilie vereinbar?“ verdichtet. Das Projekt hat mögliche Hürden, Einschränkungen und Vorsichtsmaßnahmen von Sportler*innen mit Bluterkrankheit aufgezeigt. Doch auch der positive Effekt von Sport für Menschen mit Hämophilie ist deutlich geworden. Schließlich können sich in der Sportwelt von Hämophilen auch Wege zu Sportarten auftun, die auf den ersten Blick unerreichbar scheinen.

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Blut, Schweiß und Tränen.

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Die klassische Erfolgsgeschichte von Sportler*innen gewinnt im Zusammenhang mit der Hämophilie eine völlig neue Bedeutung. Letztlich ist dem medizinischen Fortschritt zu verdanken, dass Blut in diesem Kontext symbolisch bleibt und Hämophile beim Sport meist kein Blut vergießen.

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Nicht die Regel

Eine von zehn Frauen in Deutschland leidet an Endometriose – doch über die Krankheit ist erschreckend wenig bekannt. Eine Spurensuche.

“Stellen Sie sich nicht so an, Regelschmerzen hat jede Frau”. Diesen Satz hat Jessica Bäumler in den vergangenen Jahren hassen gelernt. Das erste Mal bekam sie ihn von ihrem Frauenarzt gesagt, fünf weitere Ärzt*innen sollten mit diesem oder ähnlichen Ratschlägen folgen. Dabei will sie nur wissen, was los ist. Warum die ausgebildete Fotografin während ihrer Periode teilweise eine ganze Woche lang nicht arbeiten kann. Warum die Schmerzen bis in den Rücken reichen. Warum sie nur mit Abführmitteln normal auf Toilette gehen kann. Im Kontrast zu ihren rot gefärbten Haaren und dem bunten Tattoo auf dem Oberarm trägt sie heute ein graues Pink-Floyd-Shirt und eine schwarze, enge Jeans. Vor ein paar Monaten noch undenkbar: “Ich hab meinen kompletten Kleiderschrank umgekrempelt, auf Stoffhosen, Schwangerschaftsjeans, teilweise Leggings, weil der Blähbauch immer da war”, erzählt die 24-Jährige.

Eine ebenfalls betroffene Arbeitskollegin rät ihr, sich auf die Krankheit Endometriose untersuchen zu lassen und der Ärztemarathon beginnt. Erst in Burglengenfeld, 45 Minuten von ihrem Wohnort entfernt, nimmt sich eine junge Frauenärztin eineinhalb Stunden Zeit für ein Gespräch. “Ich hab mich von einem Doktor noch nie so aufgehoben und verstanden gefühlt wie von dieser Frau”, sagt die 24-Jährige heute. In Burglengenfeld bekommt sie nämlich die Diagnose, auf die sie so lange gewartet hat: Endometriose.

Will man verstehen, was hinter diesem Namen steht, hilft ein Anruf in Berlin. Sylvia Mechsner leitet dort das Zentrum für Endometriose und forscht seit knapp 20 Jahren zu der Krankheit. “Endometriose beschreibt das Vorkommen von Gebärmutterschleimhaut-ähnlichem Gewebe außerhalb der Gebärmutter”, erklärt sie. Häufig befinden sich diese verschleppten Zellen im Bauchraum, aber auch an Darm, Eierstöcken oder Blase können sich Endometriose-Herde bilden. Man müsse sich die Herde vorstellen wie “Mini-Uteri”, die, wie der normale Uterus auch, zyklisch bluten. Und genau das sorgt dann für enorme Schmerzen, unter denen Betroffene wie Jessica Bäumler leiden. 

Dabei ist der Ort, an dem sich diese Herde bilden, genauso unterschiedlich wie die Art der Beschwerden. Diese reichen von Schmerzen beim Stuhlgang, Wasserlassen und Geschlechtsverkehr bis hin zur Unfruchtbarkeit. Doch klar ist auch: “Es müssen nicht alle Frauen so starke Schmerzen haben, man kann auch Endometriose haben und wenig Beschwerden. Aber die, die so starke Schmerzen haben, sollten das auf jeden Fall abklären”, rät die Expertin. Vollständig entfernt werden können diese Herde selten, Endometriose ist chronisch, auch nach mehreren Operationen sind oft noch Schmerzen da.

Doch nicht nur Betroffene, sondern auch Frauenärzt*innen oder Gynäkolog*innen wissen oft zu wenig über das Thema. Mechsner kennt das Problem: “Endometriose? Da hab ich damals, 2001, in mein Buch geschaut und gedacht ‘Hä, Gebärmutterschleimhaut irgendwie, ja was soll das sein, das interessiert doch keinen Menschen’”.

Heute weiß Sylvia Mechsner, dass Endometriose sehr wohl Menschen interessiert und vor allem auch betrifft. In Deutschland erkranken 30.000 – 40.000 Menschen jedes Jahr an der Krankheit, rund zehn Prozent aller Frauen im gebärfähigen Alter sind betroffen, am Endometriosezentrum der Uniklinik Erlangen spricht man von vier bis 30 Prozent. Bei Frauen, die Probleme damit haben, schwanger zu werden, liegt der Anteil noch deutlich höher. 

Bis zur diagnostizierten Endometriose kann es allerdings dauern, in Fachkreisen ist die Rede von sieben bis zehn Jahren, die vom Auftreten erster Symptome bis hin zur Diagnosestellung vergehen.

Tabuthema Periode

Doch das Problem liegt nicht nur auf medizinischer Seite, auch gesellschaftlich ist das Wissen über Endometriose, gelinde gesagt, ausbaufähig. “Ich finde, das Thema Periode ist noch ein wahnsinnig großes Tabuthema in unserer Zeit und ich glaube, dass es daran liegt, dass viele Frauen nicht so stark sind und darüber reden können, so wie ich es jetzt kann”, sagt Jessica Bäumler.

https://wp.zim.uni-passau.de/blutjung/2020/07/23/blut-ist-rot-und-glitzert-nicht/

Doch es tut sich was, denn in Leipzig klingelt im Moment häufig das Telefon von Anja Moritz und ihren Kolleginnen. Moritz leitet die Geschäftsstelle der Endometriose-Vereinigung in Deutschland und freut sich gerade über steigende Aufmerksamkeit für die Krankheit. Mit ihrer telefonischen Beratung ist die Vereinigung seit 1996 die erste Anlaufstelle für Betroffene und informiert von der Diagnostik über Behandlungsmöglichkeiten bis hin zu Rehakliniken. Die Wartezeit für einen Beratungstermin habe sich inzwischen auf etwa fünf Wochen verdoppelt. 

Von GNTM zur Aktivistin

Das wohl prominenteste Mitglied der Endometriose-Vereinigung heißt Anna Wilken. Die 24-Jährige nahm 2014 an der neunten Staffel von Germany’s Next Topmodel teil und ist seitdem als Model und Influencerin erfolgreich. Knapp 300 000 Menschen folgen Wilken auf Instagram, wo sie ihre Erkrankung öffentlich macht und immer wieder thematisiert. Sogar ein Buch über das Thema veröffentlicht sie 2019. Für Moritz ein Glücksfall: “Mit ihrer Art und persönlichen Geschichte transportiert sie das Thema ganz anders und hat natürlich auch auf sehr, sehr junge Frauen einen großen Einfluss”. 

Auch Sylvia Mechsner sieht die Dringlichkeit zur Aufklärung über Endometriose bei jungen Mädchen: “Es ist oft so, dass das von der Gesellschaft erstmal heruntergespielt wird, auch von der Familie. Die Mutter sagt ‘Ah, das ist nicht so schlimm, da musst du durch’, die Lehrer sagen ‘Na, wo gibt’s denn sowas, du hast nur kein Bock Sport mitzumachen’. Und dann gewöhnen sich Mädchen daran und denken, das ist normal.”

„Hört doch den Frauen zu!“

Für Christian Albring, Präsident des Berufsverbandes der Frauenärzte ist das Problem jedoch komplexer. Denn die einzige Möglichkeit zur zuverlässigen Diagnose sei eine Bauchspiegelung, im Ultraschall sind die Herde oft nicht sichtbar. Vorab müssen alle anderen Ursachen ausgeschlossen werden, erklärt Albring. Endometriose-Symptome sind jedoch “unspezifisch und können auch bei vielen anderen Erkrankungen auftreten.” Suchen Frauen dann einen Hausarzt oder Internisten auf, “wird es noch schwieriger”. Sylvia Mechsner weiß um die Problematik der Diagnose und appelliert deswegen: “Hört doch denn Frauen zu! Ob jetzt Endometriose sichtbar ist oder nicht, sie haben doch die Beschwerden und müssen dann auch entsprechend beraten werden.” 

Für das Zuhören und ein ausführliches Gespräch, wie es Jessica Bäumler schließlich bekommen hat, fehlt in vielen Arztpraxen jedoch die Zeit. Und auch das Geld, denn die Gespräche werden von den Krankenkassen nicht bezahlt.

Tragen Frauenärzte die Beschwerden nämlich nicht als “Endometriose”, sondern beispielsweise als “Bauchschmerzen” ein, taucht das bei den Krankenkasse nicht auf. Die Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns bestätigt den Eindruck: Der Anteil Patientinnen mit einer Diagnose Endometriose an allen gesetzlich versicherten Frauen, die im Jahr 2019 in Bayern vertragsärztlich behandelt wurden, liegt bei unter einem Prozent. Die Situation ist diffus, das sagt auch Anja Moritz von Endometriose-Vereinigung. “Man spricht bei der Endometriose vom ‘Chamäleon der Gynäkologie’”. Die Symptome sind vielschichtig, die Probleme bei Diagnose und Behandlung ebenfalls und zur Entstehung gibt es lediglich Modelle und Erklärungsansätze.

Jessica Bäumler hat eine Kombination aus verschiedenen Aspekten entwickelt, um mit der Krankheit umzugehen: “Sport, Radfahren, Yoga, das sind alles Dinge, die mir brutal viel helfen.” Zusätzlich hat sie ihre Ernährung umgestellt, isst seitdem bewusster, verzichtet öfter auf Fleisch. Am meisten Linderung bringen ihr jedoch Musik und Konzerte: “Einfach die Ablenkung vom Kopf, nicht ständig dran denken, dass man Schmerzen hat”.

Wenn ihr mehr von Jessicas Geschichte wissen wollt, dann hört doch mal in den Podcast rein. Hier erzählen drei Betroffene, wie sie mit ihrer Endometriose umgehen:

Das glaubt man der 24-Jährigen sofort, Platten von Eskimo Callboy stehen in einer Vitrine, auf ihrer Hüfte ist eine Songzeile tätowiert und die Wände zieren Bilder des Metal-Festivals Full Force. Dort lernt sie im vergangenen Jahr auch ihren jetzigen Freund kennen und man merkt ihr an, wie dankbar sie für ihn ist: “Es hat nicht jeder so einen verständnisvollen Partner wie ich, wenn ich dann einfach mal, zwei, drei, vier Wochen keinen Sex haben kann, weil ich Schmerzen habe. Die schönste Nebensache der Welt wird irgendwie jedes mal zur Qual, wenn man niemanden hat, der das versteht und akzeptiert”.

Verständnis und Akzeptanz sind jedoch nur mit einem entsprechenden Wissen über die Krankheit möglich. Das hat Jessica Bäumler inzwischen, viele andere Betroffene sind jedoch noch auf der Suche und wollen, genau wie Bäumler damals, einfach nur wissen was los ist. Für all diejenigen hat die 24-Jährige einen Rat: “Einfach nicht aufzugeben. Irgendwann lohnt es sich, irgendwann versteht dich jemand und unterstützt dich dabei.”

Transparenz: Endometriose kann nicht nur Frauen, sondern auch Trans-/Non-binäre-Personen mit Uterus betreffen. Somit wäre die korrekte Bezeichnung auch „Menschen mit Uterus“. Aufgrund der besseren Lesbarkeit habe ich mich im Text jedoch dazu entschieden, den Begriff „Frauen“ und entsprechende Pronomen zu verwenden.

Quellen und weiterführende Links:

Der Weg vom Blut

Beim Blutspenden kommt immer was dazwischen. Diesmal habe ich es durchgezogen. Nur Spenden reicht mir nicht, ich will wissen: Was passiert mit meinen Blut? Wem kommt es zugute? 

50 ml pro Minute – so viel Blut sollte durch den Schlauch neben mir fließen. „Sie müssen die Hand fest zusammendrücken, damit das Blut besser fließt“, sagt die Ärztin und verweist auf den Bildschirm neben mir. Hier kann ich genau sehen, wie schnell mein Blut fließt – Tracking ist auch beim Blutspenden die Regel.

Ich will Blutspenden gehen, um Menschen zu helfen, die darauf angewiesen sind. Felix Brunner ist einer dieser Menschen: Er war mit bereits 16 Jahren der jüngste fertig ausgebildete Bergretter in ganz Deutschland. Er wollte das auch hauptberuflich machen – doch dann kam alles ganz anders. Beim Abstieg von einer Bergtour rutschte er aus und fiel circa 30 Meter tief in ein Bachbett. Dass er schwer verletzt ist und innere Blutungen hat, bemerkte der junge Bergretter schnell. Nun musste er gerettet werden. Was in den folgenden Monaten geschah, war auch für die behandelnden Mediziner*innen verwunderlich. “Ich war dann acht Monate im künstlichen Koma, wurde 70-mal operiert und brauchte 800 Bluttransfusionen, um zu überleben”, erzählt mir der mittlerweile wieder gesunde Felix Brunner. Seit einigen Jahren setzt er sich auch viel für die Blutspende ein: “Ohne die Spender hätte ich nicht überlebt.”



Bei dem Thema Blutspenden denken die meisten Leute an Unfälle oder Geschichten, wie die von Felix Brunner. So ging es auch mir. Tatsächlich werden jedoch nur zwölf Prozent der Blutspenden bei Verletzungen verwendet, wie ich während meiner ersten Recherchen erfahre. Besonders in der Krebstherapie, aber auch bei vielen anderen chronischen Krankheiten ist die Spende notwendig, um Patient*innen zu behandeln. Viele Therapiemöglichkeiten mit Blut wurden erst durch neue medizinische Erfindungen möglich. Medikamente aus Plasma können zum Beispiel Menschen mit Blutgerinnungsstörungen helfen, Blutungen zu stoppen.

13. Juli Grundschule Thyrnau, nun bin ich dran mit der Blutspende: Die Frau am Eingang fragt mich nach meinen Blutspendeausweis. Als ich ihr entgegne, dass ich keinen besitze, grinst sie mich an und fragt: “San Sie Erstspender?”. Das bin ich in der Tat. In der Universität gab es oft die Möglichkeit Blut zu spenden, aufgrund meiner Angst vor Nadeln habe ich mich bis jetzt aber nie getraut. Die Frau gibt mir vier Dokumente in die Hand und bittet mich alles gründlich auszufüllen. Gefühlt 40 Kreuze und zwei Unterschriften später werde ich zur nächsten Station geschickt. Hier hat alles eine feste Ordnung. An der nächsten Station wird mein Hämoglobinwert gemessen und meine Blutgruppe ermittelt, AB positiv. Das ist eine seltene Blutgruppe, welche nur für Patienten mit der gleichen Blutgruppe verwendet werden kann. Dafür habe ich das Glück, dass ich jedes Blut empfangen kann. Der Gegensatz dazu sind Spender mit der Blutgruppe 0 negativ. Diese ist sehr gesucht, da sie jeder empfangen kann. 



Im Gespräch fragt mich der Arzt nach meinem hohen Blutdruck. Vielleicht die Aufregung? Egal, ich denke nicht weiter drüber nach, bevor er noch höher wird. Nach ein paar weiteren Fragen und Fiebermessung darf ich endlich zum Spenden. Zehn Minuten soll das ganze dauern. Ich werde noch einmal gefragt, wie ich heiße, nicht dass meine Spende vertauscht wird. Ich bin schon ein bisschen aufgeregt, aber bevor ich mich noch auf den Stich vorbereite ist die Nadel bereits in meinen Arm. Gar nicht so schlimm wie gedacht.

Später lerne ich, dass man eine schnelle Spende hier in Thyrnau einen „Fünf-Minuter“ nennt.

Nachdem das Kontrollröhrchen, welches eine Blutprobe für spätere Tests enhält, voll ist, beginnt die eigentlich Blutspende. Nach sechs Minuten ist der Mann neben mir schon fertig, obwohl er nach mir angefangen hat. Ich dagegen habe erst die Hälfte geschafft – wie macht er das? Die Hand drückt er auf jeden Fall nicht zusammen. Später lerne ich, dass man eine schnelle Spende hier in Thyrnau einen „Fünf-Minuter“ nennt.

So schnell bin ich heute nicht, vielleicht ja beim nächsten Mal. Nach elf Minuten habe ich es auch geschafft, der Beutel ist voll. “Wie geht es Ihnen?”, fragt mich die Krankenschwester. “Ein bisschen mulmig ist mir schon”. “Können sie das ein bisschen genauer beschreiben?”, hakt sie nach. “Ja ich hab so ein Drücken im Kopf”. Mit einer Bewegung kippt sie meine Liege nach hinten und das Blut fließt in meinen Kopf zurück.

Nach fünf Minuten und einen Orangensaft an der Liege später, geht es mir wieder besser. “Das passiert oft bei Erstspendern“, sagt die Ärztin. „Bei der nächsten Spende hat sich der Körper mehr daran gewöhnt”, wird mir versichert. Erst war ich skeptisch, ob das stimmt, aber viele Spender haben mir versichert, dass es beim ersten Mal ungewohnt für den Körper seien kann. Der 500 ml große Beutel gefüllt mit meinem Blut wird in einen Schrank gelegt, wo er bis in den späten Abend gelagert wird.

Meine Blutspende liegt im Regal. Ich esse ein Snickers und darf mir ein Glas Honig als kleines Dankeschön für meine Spende mitnehmen. Bei einigen privaten Anbietern bekommt man sogar Geld für die Blutspende. Auf die Frage, wieso es auf die Vollblutspende beim Bayerischen Roten Kreuz (BRK) kein Geld gibt, entgegnet der Pressesprecher Patric Nohe, “Blut kostet kein Geld, das ist richtig, aber der Service, der kostet Geld.” Mit ihm habe ich telefoniert, um mehr darüber zu erfahren, was mit meinen Blut passiert. Außerdem könne man bei den anderen Anbietern meist nur in Großstädten spenden, wobei das Rote Kreuz vor allem mit der mobilen Blutspende die ländlichen Regionen erreicht. Diese sind laut Nohe besonders wichtig für die Versorgung, da “in ländlichen Regionen tendenziell mehr gespendet wird als in Städten.”



Hier in Thyrnau macht sich die Spendenbereitschaft auch bemerkbar. Als ich das Gebäude verlasse, stehen die Leute mittlerweile Schlange. Für mich ist die Blutspende schon vorbei, aber mein Blut hat noch eine lange Reise vor sich, bis es Leuten helfen kann. Gegen 22 Uhr wird meine Spende abgeholt und zum Produktions- und Logistikzentrum nach Wiesentheid bei Würzburg gebracht. Hier landen alle Spenden vom BRK.

Um drei Uhr morgens beginnen die Mitarbeiter*innen in Wiesentheid mit der Filterung des Blutes, hierbei werden die weißen Blutkörperchen entfernt, da diese unerwünschte Nebenwirkungen bei Bluttransfusionen erzeugen können. Die Arbeit beginnt so früh, weil das Blut innerhalb von 24 Stunden weiterverarbeitet werden muss, um länger haltbar zu bleiben. “Wir betreiben hier eine komplexe 24-Stunden-Logistik”, sagt Nohe. Das von den weißen Blutkörperchen befreite Blut wird bei 4000 G, also dem 4000-fachen der Erdanziehungskraft zentrifugiert und damit in die einzelnen Bestandteile, also in die Thrombozyten (Blutplättchen), Blutplasma und Erythrozyten (roten Blutkörperchen) aufgeteilt. Besonders überrascht hat mich, dass Blut nie rein wiederverwendet wird sondern immer erst in 3 Konzentrate getrennt wird.

Filtern der weißen Blutkörperchen
Zentrifugation der Blutspende

Seit einigen Jahren steigt der Bedarf an Plasma stark an.

Die Beutel mit den drei getrennten Bestandteilen werden dann in den Komponententrennern endgültig separiert. Am Ende entsteht ein Beutel gefüllt mit Erythrozyten und einer mit Blutplasma, welches eine Reihe von Stoffen zum Schutz unseres Körpers und des Gerinnungssystem enthält. Seit einigen Jahren steigt der Bedarf an Plasma stark an, da auch viele neuartige Medikamente darauf bei der Herstellung angewiesen sind. Die Haltbarkeit unterscheidet sich stark zwischen den Präparaten. Während die Thrombozyten nur vier Tage haltbar sind, können die Erythrozyten 42 Tage lang aufgehoben werden. Blutplasma kann eingefroren sogar drei Jahre lang gelagert werden.

“Meistens werden die Präparate innerhalb von 24 Stunden verbraucht”, erklärt Nohe, aber nur, wenn die Tests auf Basis des Kontrollröhrchens vom Beginn der Spende keine Auffälligkeiten zeigen. Diese Röhrchen nehmen nach der Blutspende einen anderen Weg. Sie werden in das Labor des BRK in München transportiert, dort wird das Blut mit einem Virusdirektnachweis-Test auf verschiedenste Krankheiten wie Hepatitis, HIV und Syphilis untersucht. “Wenn es da Auffälligkeiten gibt, bekommen die Patienten da auf jeden Fall Bescheid”, versichert mir Nohe. Diese Tests können jedoch die Krankheiten oft erst Wochen nach der Ansteckung feststellen, deswegen ist es bei der Blutspende besonders wichtig, die Fragebögen sorgfältig und wahrheitsgemäß auszufüllen. Wenn alle Tests negativ ausfallen, werden die Blutspende Präparate freigegeben und in den Instituten bis zur Verwendung gelagert. Ich habe bislang noch nichts gehört, das ist hoffentlich ein gutes Zeichen.

Kontrollröhrchen im Labor

„Was dann passiert, ist wirklich Wahnsinn, da gab es eine riesengroße Welle der Solidarität”

Besonders jetzt ist der Bedarf an Spenden laut Nohe sehr hoch, da “die Kliniken ihre verschobenen Operationen nachholen, die sie während der Corona Pandemie verschoben” haben. Die Corona-Pandemie hat den Blutspendediensten zuerst große Sorgen bereitet. „Was dann passiert, ist wirklich Wahnsinn, da gab es eine riesengroße Welle der Solidarität”, freut sich Nohe. Während des Lockdowns gab es keinerlei Engpässe bei der Versorgung, und dies sei “ausschließlich den Menschen zu verdanken, die dann zur Blutspende gegangen sind”. Aber vor allem jetzt, wo das Wetter besser ist, die Ausgangsbeschränkungen gelockert werden und die Kliniken Operationen nachholen, ist es wichtiger denn je, Blutspenden zu gehen.



Erfreulich ist es laut Nohe, dass “vor allem junge Erstspender zur Spende gegangen sind.” Dazu zähle dann wohl auch ich.  Seit 2011 ist der Trend eigentlich rückläufig, da immer mehr Spender aufgrund ihres Alters nicht mehr spenden dürfen und zu wenig Junge nachkommen. Wer am Ende von meinem Blut profitiert, wem ich vielleicht das Leben gerettet habe und wo, das konnte ich leider nicht herausfinden – aber sicher ist es, dass jemand damit geholfen wurde und deswegen, hat es sich für mich gelohnt. Eines steht fest – Ich komme wieder.