Der lange Kampf ums Leben

Der lange Kampf ums Leben

Yannik steht auf der Warteliste für eine Spenderniere. Mit ihm warten weitere 7148 Menschen. Bis ein passender Spender gefunden wird, ist sein Leben von der Hämodialyse abhängig.

Weltweit gibt es 850 Millionen Nierenkranke.

2020 werden in Deutschland 83.000 Hämodialysepatient*innen behandelt.

2019 wurden 2132 Nieren transplantiert.

7148 Menschen sind auf der Warteliste für eine Niere.

343 Menschen auf der Warteliste starben. 

Auch Yannik steht auf der Warteliste für eine Spenderniere. Seit seinem 13. Lebensjahr ist der Tod sein ständiger Begleiter. 2012 erkrankte Yannik an einer akuten Hochrisiko-Leukämie, doch nach sechs Monaten belastender Chemotherapie kam die Erlösung: ein passender Blutsfremdspender wurde gefunden und die Stammzelltransplantation war erfolgreich. Es folgten aber Komplikationen: Aufgrund einer Gehirnhautentzündung lag er vier Wochen im Koma, musste wie ein Kleinkind erneut lernen zu sprechen und zu gehen. Die Narbe an seinem Hinterkopf erinnert heute an ein Kavernom, eine Gefäßmißbildung, die operativ aus seinem Gehirn entfernt werden musste. All diese Schicksalsschläge prägten Yanniks Leben bevor er das 18. Lebensjahr erreicht hat und aus der Klinik entlassen werden konnte. Heute ist Yannik 21 Jahre alt und aufgrund der Therapien und nierenschädigenden Medikamente auf die Hämodialyse angewiesen. Zunächst war die Behandlung einmal wöchentlich ausreichend, mittlerweile muss Yannik dreimal wöchentlich über vier Stunden an die Dialyse. Yannik leidet aktuell auch an einer zunehmenden Herzinsuffizienz, die dazu führt, dass seine Nieren täglich weniger Leistung bringen. Darum musste auch die Frequenz der Hämodialyse schleichend erhöht werden, von einmal pro Woche auf nunmehr dreimal wöchentlich.

Vom alten Rom bis heute: Die historische Entwicklung der Hämodialyse

„Spätestens wenn die Restleistung der Nieren nur noch bei 10 Prozent liegt, ist eine Hämodialyse notwendig, um die Funktion der Nieren zu ersetzen und das Blut zu reinigen“, erklärt Dr. Strotmann, Leiter des Schwerpunktes Kindernephrologie am Klinikum München-Schwabing. Wenn die Nieren versagen, muss eine Maschine das leisten, wozu der eigene Körper nicht mehr in der Lage ist. Die Funktionen der Nieren sind vielfältig: Sie regulieren die Blutbildung, sind beteiligt am Stoffwechsel, regeln indirekt das Wachstum von Kindern, führen überschüssiges Wasser aus dem Körper und reinigen das Blut von Giftstoffen.

Dabei wird das Blut mithilfe eines Katheters, der als zentralvenöser Zugang am Hals oder Unterarm eingeführt oder bei längerer Behandlungsdauer operativ als arterio-venöse Fistel angelegt wird, aus dem Körper über einen Filter als Membran gepumpt. Über diesen Filter läuft eine Flüssigkeit, in die die Giftstoffe, die normalerweise die Nieren ausscheiden würden, transportiert werden. Anschließend wird das gewaschene Blut wieder zurück in den Körper gepumpt. „Den Filter kann man sich vorstellen wie einen Kaffeefilter“ erklärt Dr. Strotmann. „Auf der einen Seite werden die zellulären Bestandteile und das Plasma zurückgehalten und auf der anderen Seite wandern die Giftstoffe in die Flüssigkeit“. Dieses extrakorporale Verfahren dauert in der Regel vier bis fünf Stunden, dreimal die Woche. „Danach hat die Niere eine Funktion von 15 Prozent, damit kommt man gerade so hin“, betont Dr. Strotmann. 

Dr. Peter Strotmann über die Hämodialyse.

Dafür bekomme ich sofort die Quittung.

Die Hämodialyse bestimmt den Alltag des Jugendlichen nicht nur was seine freie Zeit angeht. Wegen des Ausfalls der Nieren muss Yannik viele weitere Einschränkungen in kauf nehmen. Er muss streng Diät halten und darf nicht zu viel Flüssigkeit trinken, was ihm sehr schwer fällt. Ab und zu bricht er diese Regeln. „Dafür bekomme ich dann sofort die Quittung“. Wenn Yannik beispielsweise zu viel Flüssigkeit zu sich nimmt, ist sein Natriumwert im Blut zu niedrig und er erleidet einen epileptischen Anfall. Diese Beeinträchtigungen einem Kind oder Jugendlichen zu vermitteln, ist schwierig, weiß Dr. Strotmann. Trotzdem ermöglicht er ihnen ab und zu, diese „verbotenen“ Lebensmittel zu sich zu nehmen. 

Dr. Peter Strotmann über die Beeinträchtigungen von Dialysepatienten.

Einfach mal in den Urlaub fahren ist nicht möglich.

Einfach mal in den Urlaub zu fahren ist für Yannik und seine Familie nicht möglich. Jeden Montag, Mittwoch und Freitag muss er regelmäßig zu den Dialysebehandlungen. Ohne Ausnahme, ohne Wenn und Aber. Als eine von drei Kinderdialysen hat das Klinikum München-Schwabing ein Einzugsgebiet von 150 Kilometern. Viele Familien müssen dreimal die Woche hunderte Kilometer zurücklegen, um zu ihren Behandlungen zu kommen. Dr. Strotmann trifft täglich Familien, die versuchen müssen, Krankheit und Alltag gleichzeitig zu meistern, egal ob Schule, Weihnachten oder ein Geburtstag ansteht. 

Dr. Peter Strotmann über den Alltag mit der Hämodialyse.

Trotz seiner Krankheitsgeschichte hat Yannik den Schulabschluss nachgeholt. Das war nicht einfach, da die Dialyse viel Zeit und Kraft in Anspruch nimmt und er oft fehlte. Seit drei Jahren versucht Yannik, eine Ausbildung im Einzelhandel zu absolvieren, doch leider ist sein Körper noch zu schwach und nun auch angegriffen durch die fortschreitende Herzinsuffizienz. „Ich konnte in den letzten drei Jahren nicht mal das erste Lehrjahr abschließen.“ Um mehr Rücksicht auf seine Gesundheit zu nehmen, hat Yannik beschlossen im August 2020 eine Lehre zum Bürokaufmann zu beginnen. „Das wird im Homeoffice stattfinden, da ich bei Corona als Hochrisikopatient gelte“. Er kann unter diesen Umständen nicht in einem Geschäft stehen, wo er mit vielen Menschen in Kontakt kommt. Das Coronavirus macht ihm dabei aber keine Angst, aus eigener Erfahrung der langwierigen Isolationszeiten unter der Leukämie-Behandlung weiß er besser damit umzugehen als andere. „Ich habe schon so vieles überstanden. Quarantäne und Mundschutz kenne ich schon zu Genüge.“ Yannik ist einer von rund 80.000 Menschen, die in Deutschland auf eine Hämodialysebehandlung angewiesen sind. Sind gelten als höchst gefährdete Risikogruppe und eine Infektion mit Covid-19 nimmt häufig einen schweren Verlauf. Da die Patient*innen mehrmals die Woche zur Behandlung in ein Dialysezentrum müssen, ist eine Ausgangssperre oder Quarantäne also ausgeschlossen. Doch gerade diese lebensrettende Behandlung bedeutet in ihrem Fall auch eine große Infektionsgefahr. Sowohl beim Transport als auch beim Aufenthalt in den Dialysezentren ist Kontakt mit anderen Menschen unabdingbar, und die Gefahr, sich mit dem Virus zu infizieren, nicht auszuschließen. Eine Quarantäne oder Isolation zuhause ist nicht möglich, denn ohne die Therapie sterben die Betroffenen. Inwieweit die Niereninsuffizienz alleine eine Rolle spielt, ist noch unklar, doch meist gehören dazu auch Begleiterkrankungen wie Diabetes, Herzerkrankungen oder Bluthochdruck, die als Risikofaktoren gelten. Auch am Klinikum München-Schwabing hat man Corona “gesehen” sagt Dr. Strotmann. Es sei schwer, den Patient*innen, die auf eine Behandlung angewiesen sind, vor einer Infektion zu schützen. Sobald ein Kontakt- oder Verdachtsfall auftritt, müssen die betroffenen Patient*innen isoliert werden. Das stellt das Klinikum vor große Herausforderungen: „Es ist natürlich personell und auch räumlich hoch anspruchsvoll. Und wenn wir größere Patientenmengen hätten, die isoliert werden müssen, dann würden wir ganz schnell an unsere Grenzen kommen“. 

Dr. Peter Strotmann über die Gefahr durch Covid-19.

Mir ist bewusst, dass ich diese Jahre verloren habe.

Die Jahre des jungen Erwachsenen Yannik  werden wie die Kindheit  noch immer von seiner Krankheit und ihren Folgen bestimmt. Wichtige Phasen in seinem jungen Leben sind nicht existent oder waren belastet durch Angst, Schmerz und Leid. „Mir wird oft bewusst, dass ich diese Jahre verloren habe. Sie sind aus meiner Sicht nicht aufzuholen.“ Natürlich würde er gerne wie andere Jugendliche leben, doch das würde sein Körper nicht überleben. „Trotzdem mache ich auch ab und zu etwas Verbotenes. Dann trinke ich ein Bier oder rauche eine Zigarette mit“. 

Yannik lebt im Hier und Jetzt. „Große Lebenspläne zu schmieden habe ich aufgegeben, der Weg zurück ins normale Leben hat sich zu schwierig gestaltet. Stattdessen versuche ich, jeden Tag so schön wie möglich zu verbringen“. Dazu gehört, Zeit mit seiner Familie und Freunden zu verbringen und Fußball zu spielen. Ein wenig Hoffnung hat Yannik: Eine erfolgreiche Nierentransplantation würde seinen Gesundheitszustand deutlich verbessern. Doch der Weg dorthin ist lang und ein Wettlauf gegen die Zeit. Im Durchschnitt wartet ein Patient in Deutschland acht Jahre auf die Niere eines Verstorbenen. Und dann müssen Spender und Empfänger auch perfekt „matchen“, also zusammenpassen. Ansonsten besteht ein hohes Risiko für eine Abstoßung des Organs. „Ich lasse das auf mich zu kommen und betrachte die Wartezeit einfach mit Gelassenheit”.

Angesichts des erheblichen Mangels an postmortalen Organen wird heute im Einzelfall auch die elektive Lebendspende in Betracht gezogen. Yanniks Mutter hat sich dazu bereit erklärt, ihrem Sohn eine Niere zu spenden. Dieser Tage konnten die umfangreichen Voruntersuchungen mit dem Ergebnis abgeschlossen werden, dass eine Nierenspende durch Yanniks Mutter medizinisch möglich wäre. Eine solche Entscheidung bleibt grundsätzlich sorgfältig abzuwägen, aber die Option schenkt Zuversicht. Und die kann Yannik wirklich gebrauchen.

Weitere Informationen rund um das Thema Blut und die Hämodialyse, erfahrt ihr hier im Podcast. Ich habe mit Herrn Prof. Stefan Burdach, Ärztlicher Direktor des Klinikums München-Schwabing über seinen Alltag als Arzt, die Gefahr durch Corona und über den Begriff Blut gesprochen.

hat sich als Kind Ketchup auf die Kleidung geschmiert, damit es nach Blut aussieht. Zu meiner Verteidigung: Ich bin eins von vier Kindern, da gelten andere Regeln, wenn es um den Kampf um Aufmerksamkeit geht.

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