Viel Geld für nichts?

Viel Geld für nichts?

Das Nabelschnurblut des eigenen Kindes als persönliche Gesundheitsvorsorge aufbewahren – in der Medizin ein umstrittenes Unterfangen. Doch private Unternehmen verlangen viel Geld für diese Dienstleistung. Ein Geschäft mit den Ängsten werdender Eltern?

Carinas Hand liegt auf ihrem gewölbten Bauch – eine Geste, die in der 33. Schwangerschaftswoche schon völlig automatisch passiert. Ihr gegenüber sitzt ihre Schwester Isabel, Carinas Tochter Ida auf dem Schoß. Isabel sieht ihrer drei Jahre älteren Schwester Carina wie aus dem Gesicht geschnitten aus: Die braunen Augen mit dem fröhlichen Funkeln und die braunen, gelockten Haare sind unverkennbar. Doch während die 33-jährige Carina nachdenklich den Kopf hin und her wiegt, wirkt ihre drei Jahre jüngere Schwester wesentlich sicherer. Wenn Isabel spricht, klingt sie entschlossen: „Ich wollte diese einmalige Chance einfach nutzen. Man weiß nie, was im Leben noch so kommt.“ Die Schwestern möchten unerkannt bleiben, um ihre Privatsphäre zu schützen. Auf Nachnamen wird deshalb verzichtet, die Vornamen sind leicht abgeändert.

Das Thema an diesem sonnigen Freitagnachmittag im heimatlichen Garten in Amberg in der Oberpfalz: Lagere ich das Nabelschnurblut meines Kindes bei der Geburt ein, sodass ich im Bedarfsfall darauf zurückgreifen kann?

Lebensver(un)sicherung für werdende Eltern

Isabel stand vor einem Jahr vor der gleichen Entscheidung wie ihre ältere Schwester Carina nun. Für die heute 30-Jährige war damals klar, „ich möchte nur das Beste für mein Kind“. Für Isabel bedeutete „das Beste“, das Nabelschnurblut ihrer Tochter Maria nach der Geburt aufzubewahren. Nabelschnurblut ist das Blut, das nach der Entbindung und der Abnabelung in der Nabelschnur und der Plazenta zurückbleibt. Die Neugeborenen brauchen es nicht mehr – sie bekommen nun den notwendigen Sauerstoff über die eigene Atmung und die Nährstoffe über die Muttermilch. Dieses Plazentarestblut enthält Stammzellen – ein wertvolles Gut in der Medizin. „Ich würde sagen, das ist wie eine Versicherung, von der man hofft, dass man sie nie braucht. Aber im Zweifel haben wir sie“, sagt Isabel.

Carina steht vor der Wahl: Das Nabelschnurblut privat einlagern oder für die Allgemeinheit spenden

Was sind Stammzellen?


Stammzellen sind das natürliche Reservelager des Körpers. Sie können verbrauchte oder geschädigte Zellen ersetzt. Manche Zellen, wie Blutkörperchen oder Muskelzellen sind nicht in der Lage, durch Zellteilung Tochterzellen zu produzieren. Um diese spezialisierten Zellen zu erneuern, verwendet der Körper Stammzellen.

„Gerade bei Blut- und Krebserkrankungen – dem bekanntesten Einsatzfeld von Stammzellen – werden oftmals lebenswichtige Zellen durch aggressive Behandlungsmethoden, etwa Chemotherapien,  zerstört“, erzählt Marius Rüdiger, Leiter der Neonatologie und Pädiatrischen Intensivmedizin am Universitätsklinikum Dresden. Der Körper ist zu schwach, diese Zellen allein mit den eigenen Stammzellen zu ersetzen, sodass durch eine Transplantation fremde Stammzellen zugeführt werden.

Genau wie der menschliche Körper altern auch Stammzellen. “Je jünger Stammzellen sind, desto besser können sie geschädigte Zellen im Körper reparieren.” Laut Rüdiger sind Nabelschnurblutstammzellen deshalb Knochenmarksstammzellen oder peripheren Stammzellen in manchen Eigenschaften überlegen.

Was ist das Besondere an Stammzellen aus dem Nabelschnurblut?


„Nabelschnurblut weist so gut wie keine Schäden auf. Die Zellen im Nabelschnurblut haben noch keine Toxine aus der Umgebung oder andere Schädigungen erfahren. Krankheitserreger, die die Mutter hat, werden aufgrund der Dichte der Plazentaschranke nicht übertragen“, erklärt Gesine Kögler. Die Naturwissenschaftlerin arbeitet am Institut für Transplantationsdiagnostik und Zelltherapeutika am Universitätsklinikum Düsseldorf und leitet die José Carreras Stammzellbank. Seit fünfundzwanzig Jahren beschäftigt sie sich mit den Möglichkeiten, die Nabelschnurblutstammzellen für die Medizin bieten. 

Nabelschnurblutstammzellen gelten als besonders verträglich. „Die Transplantation von Nabelschnurblutstammzellen geht mit einer wesentlich geringeren Graft-vs.-Host-Reaktion einher,“ erklärt Kögler. Das heißt, im Körper der Empfänger*innen werden weniger zelluläre Immunreaktionen durch das Transplantat ausgelöst, die dem Organismus der Empfänger*innen schaden. Folgen dieser Immunreaktionen können schwere Erkrankungen des Darms, der Leber oder der Haut sein. Werden Nabelschnurblutstammzellen transplantiert, trete die Reaktion nur bei wenigen Ausnahmen auf.

Ein gravierender Nachteil von Stammzellen aus Nabelschnurblut sei allerdings die begrenzte Menge, sagt Kögler. Nabelschnurblut ist nicht so zellreich wie ein unverwandtes Stammzelltransplantat aus dem peripheren Blut oder dem Knochenmark. Eine „Portion“ Nabelschnurblut besteht im Mittel aus 80 bis 100 ml, könne aber auch zwischen zehn und 200 ml variieren. Das reicht zwar für die Behandlung eines Kindes, aber nur selten für die eines Erwachsenen. „Hier muss man dann meist auf zwei Präparate ausweichen,“ erklärt die Naturwissenschaftlerin. Dies sei aber möglich, wenn das Nabelschnurblut sehr stammzellenreich ist. Dann würde man dem Erwachsenen neben seinen eigenen Nabelschnurblutstammzellen auch fremde zuführen.

Private Unternehmen bezeichnen diese Dienstleistung als persönliche Gesundheitsvorsorge für das eigene Kind. Das stärkste Argument dieser Blutbanken: „Stammzellen aus dem Nabelschnurblut kann man nur einmal im Leben des Kindes gewinnen. Verpasst man diese Chance, hat man diese Therapiemöglichkeit vertan“, betont Marion Bartel, wissenschaftlich-medizinische Fachberaterin bei der privaten Blutbank vita34. Sollte das Kind erkranken, könne man auf die im Nabelschnurblut enthaltenen Stammzellen zugreifen und diese zur Behandlung einsetzten. So zumindest die Theorie. Die Wahrscheinlichkeit, eine Transplantation der eigenen Stammzellen zu benötigen, ist geringer als 1 zu 20 000. Sollte dieser Fall eintreten, können auch Stammzellen aus dem Knochenmark oder periphere Stammzellen verwendet werden. Nabelschnurblut habe viele Vorteile, sei aber nicht die einzige Therapiemöglichkeit, stellt Mario Rüdiger, Leiter der Neonatologie und Pädiatrischen Intensivmedizin am Universitätsklinikum Dresden, klar. Er würde keinesfalls von einer verpassten Chance sprechen, sollten Eltern das Nabelschnurblut nicht privat einlagern. “Noch gibt es keine wissenschaftlichen Studien, die eindeutig belegen, dass der Einsatz von eigenen Nabelschnurblutstammzellen besser als fremde Stammzellen sind.” Der Mediziner betont:

„Der privaten Einlagerung von Nabelschnurblut fehlt die Sinnhaftigkeit.“

Mario Rüdiger, Universitätsklinikum Dresden

Im Garten der beiden Schwestern wird gleich zu Beginn des Gesprächs deutlich: Für die Gesundheit ihrer einjährigen Tochter Maria würde Isabel alles tun. Zumal sie aus eigener Erfahrung weiß, dass es nicht selbstverständlich ist, ein Leben lang gesund zu sein. Seit mehreren Jahren leidet die junge Frau an einer neurologischen Erkrankung, auf welche sie aber nicht näher eingehen möchte. Diese ist zwar nicht genetisch bedingt, habe aber durchaus eine Rolle bei der Entscheidung für eine private Einlagerung gespielt. „Ich habe Gesundheit einfach viel mehr schätzen gelernt. Egal, was Maria im Leben passiert, wir können auf diese Stammzellen zurückgreifen. Und das ist einfach ein schöner und tröstlicher Gedanke.“

Eltern, die ähnlich denken wie Isabel und sich eine private Einlagerung des Nabelschnurblutes wünschen, bekommen von privaten Blutbanken bereits vor dem eigentlichen Geburtstermin ein Paket zugesendet. “Das müssen die Eltern bei der Geburt mit in das Krankenhaus nehmen”, erzählt Marion Bartel von vita34. In diesem Paket befindet sich unter anderem der Plastikbeutel, in dem das Nabelschnurblut des Kindes gesammelt wird. Ist er mit dem Blut gefüllt, wird er an die private Blutbank gesendet und dort bei -196 Grad in flüssigem Stickstoff eingefroren. Laut Bartel bewahrt vita34 über 230 000 Nabelschnurblutpräparate auf. Bisher gab es 42 Anwendungen, die Hälfte davon erfolgte bei Geschwisterkindern.

Eine Sache der Aufklärung

„Als ich davon erfahren habe, war mir sofort klar: Diese Sicherheit will ich auch für mein Kind!“

Isabel hat die Nabelschnur ihrer Tochter privat eingelagert

Von der Möglichkeit einer privaten Einlagerung hat Isabel schon vor ihrer Schwangerschaft durch einen Arbeitskollegen erfahren. „Er hat mir damals erzählt, dass er und seine Frau das Nabelschnurblut ihres Kindes nach der Geburt haben aufbewahren lassen. Der Gedanken, das eigene Kind auf diese Weise schützen zu können, hat mich einfach begeistert.“ Als Isabel erfährt, dass sie selbst ein Kind erwartet, war die Frage weniger, ob sie einlagert, sondern bei welchem Anbieter. “Mein Mann Stefan hat sogar einen eigenen Ordner für das Thema Nabelschnurblut angelegt.” Bei diesen Worten muss Isabel lachen. Schlussendlich haben sich Isabel und Stefan für die private Blutbank eticur) aus München entschieden, die mit dem Uniklinikum in Erlangen zusammenarbeitet.

Doch werdende Eltern können sich nicht nur für das Wegwerfen der Nabelschnur oder die private Einlagerung entscheiden. Eine weitere Möglichkeit ist das Spenden des Nabelschnurblutes an eine öffentliche Spende-Einrichtung. Dort wird das Nabelschnurblut eingelagert, bis es einem akut Erkrankten weitergegeben wird. Öffentliche Organisationen wie die Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Knochenmark- und Blutstammzelltransplantation und die American Academy of Pediatrics sprechen sich klar gegen eine private Einlagerung von Nabelschnurblut aus und empfehlen werdenden Eltern die Spende an eine öffentliche Nabelschnurblutbank. „Wenn Eltern das Nabelschnurblut spenden, dann wissen sie sicher, dass dieses Blut Erkrankten helfen wird“, erzählt Rüdiger. „Bei der privaten Einlagerung ist es unwahrscheinlich, dass das eigene Kind von dem Nabelschnurblut profitiert. Deshalb halte ich die Spende auf jeden Fall für sinnvoller.“ Laut Angaben des Zentralen Knochenmarkspender-Register Deutschland, standen dem Register 2019 17.733 Nabelschnurblutspenden zur Verfügung, im gleichen Jahr wurden neun dieser Spenden an Patient*innen weitergegeben.

Wer nicht zwischen privater Einlagerung und altruistischer Spende wählen will, dem bieten manche privaten Blutbanken eine Kombi-Variante an. In Kooperation mit öffentlichen Einrichtungen werden die Daten des eingelagerten Nabelschnurblutes für eine potentielle Spende erfasst. Sollte das eigene Kind der genetische Zwilling eines akut erkrankten Menschen sein, so können die Eltern entscheiden, ob sie das Blut spenden wollen. Laut Marion Bartel bietet vita34 werdenden Eltern mit diesem Konzept einen möglichen Lösungsweg an. Doch was halten Spende-Einrichtungen von der Kombi-Variante? Wie ist ein solches Konzept ethisch zu bewerten? Ist die Kombi-Variante wirklich die Lösung? Antworten auf diese Fragen gibt es in einer neuen Folge blutrauschen.

„Die Option der Spende war mir bis heute gar nicht bekannt“, sagt Carina. Auch mit der privaten Einlagerung habe sie sich nie näher beschäftigt. Bei ihren ersten beiden Schwangerschaften sei das Thema gar nicht im Gespräch gewesen. Als sie 2015 mit ihrer Tochter Ida schwanger wurde, kannte sie diese Möglichkeit damals noch nicht und ihre Gynäkologin hat sich dazu auch nicht geäußert. Bei ihrem Sohn Ludwig, zwei Jahre später, wurde ihr dann von einer Arzthelferin „einfach ein ganzer Stapel an Flyern in die Hand gedrückt“, darunter auch Werbung verschiedener privater Blutbanken. Doch wirklich darüber gesprochen habe ihre Frauenärztin nicht mit ihr. Fairerweise müsse sie aber sagen, dass sie selbst keine Initiative ergriffen und sich eigenständig informiert hat. Auch abseits von Besuchen bei Frauenärzt*innen, mit Freunden und in ihrem Bekanntenkreis, sei über Nabelschnurblut nie gesprochen worden. Einfach, weil kaum jemand davon weiß, erzählt Carina.

Auch Gesine Kögler, Leiterin der José Carreras Stammzellbank in Düsseldorf, versteht nicht, warum das Thema Nabelschnurblut so „stiefmütterlich behandelt wird.“ „Viele Ärzt*innen wollen das gar nicht ansprechen, weil sie die Eltern nicht beeinflussen oder ihnen ein schlechtes Gewissen einreden wollen, wenn sie es nicht machen“. Für die Naturwissenschaftlerin ist es wichtig, bei der der Aufklärung werdender Eltern harte Zahlen aufzuzählen. „Nur so können sich werdende Eltern ein Bild davon machen, was mit Nabelschnurblut heute möglich ist“, sagt Kögler. Dabei ist auch klar zu kommunizieren: „Die private Einlagerung ist kein Heilmittel für das Kind.“

Ungewissheit in der Forschung

In einem anderen Garten, 400 Kilometer von Isabel und Carina entfernt, in der Nähe von Berlin: Janett lehnt sich in ihrem Stuhl zurück, die hohe Kinderstimme ihres kleinen Sohnes ist zu hören. „Mama kann jetzt nicht, Liebling. Mama telefoniert gerade,“ antwortet die 32-Jährige ihrem Sohn Silas. Auch Janett hat sich vor knapp vier Jahren für eine private Einlagerung entschieden. Doch im Gegensatz zu Isabels Tochter Maria ist „die Chance, dass Silas sein Nabelschnurblut einmal brauchen wird, hoch.“ Sein Großvater väterlicherseits verstarb kurz vor Silas Geburt an Leukämie. Eine Krankheit, von der auffällig viele Mitglieder der Familie betroffen sind. Bei Leukämie ist die Gefahr einer genetischen Vererbung besonders groß. „Wir wollen, wenn der schlechteste Fall eintritt, weil gerade Kinder anfälliger für Leukämie sind, dafür sorgen, dass wir nicht auf Fremdstammzellen angewiesen sind,“ erzählt Janett. „Ich habe Angst, dass mein Sohn erkrankt und es keine*n Stammzellspender*in für ihn gibt.“ Also hat Janett sich vor ihren Laptop gesetzt und angefangen zu suchen. Die große Frage, die sie sich und dem Internet stellte, lautete: Was kann ich tun, um mein Kind zu schützen? Die Antwort, die das Netz Janett lieferte – private Einlagerung. Doch gerade bei Leukämie wird bevorzugt auf die Transplantation fremder Stammzellen statt eigener zurückgegriffen.

Janett, ihr Mann Sascha und ihr Sohn Silas

„Ich wollte meinen Sohn einfach auf irgendeine Weise schützen. Selbst, wenn das Ganze noch nicht wissenschaftlich erwiesen ist.“

„Die Stammzellen, die ich dem Erkrankten zuführe, dürfen nicht von der Krankheit befallen sein, die ich heilen möchte“, erzählt Mario Rüdiger vom Universitätsklinikum Dresden. „Wenn Kinder in jungen Jahren an Leukämie erkranken, ist es wahrscheinlich, dass sich die schädlichen Krebszellen bereits im Nabelschnurblut befinden.“ Dieser Tatsache war sich Janett zwar bewusst, als sie sich für eine private Einlagerung entschieden hat, aber „prinzipiell gibt es die Möglichkeit einer Eigentransplantation, selbst wenn sie nicht oft genutzt wird.“ Außerdem gebe es noch andere Krankheiten, bei welchen das eigene Nabelschnurblut vielleicht helfen könnte, meint Janett. Auch Marion Bartel von vita34 betont, dass „sich neu entwickelnde Therapien viel entscheidender für die Zukunft sind.“ Vor allem bei der Behandlung von Autismus, einer neurologischen Entwicklungsstörung, und Hirnschäden könnte eigenes Nabelschnurblut laut Bartel eine große Chance sein. Durch Studien wissenschaftlich erwiesen ist der Nutzen von eigenem Nabelschnurblut bei diesen beiden Erkrankungen jedoch nicht.

klinische Studien zum Einsatz von eigenem Nabelschnurblut bei Autismus und Zerebralparese


Man forsche zwar bei Krankheiten wie Autismus oder Zerebralparese, Bewegungsstörungen, deren Ursache in einer frühkindlichen Hirnschädigung liegen, zu dem Einsatz von eigenem Nabelschnurblutstammzellen. „Aber diese klinischen Studien befinden sich alle noch in Phase 1 oder Phase 2. Es wird noch Jahre dauern, bis diese Studien Phase 3 erreichten“, erzählt Gesine Kögler von der José Carreras Stammzellbank. In Phase 2 wird das Therapiekonzept geprüft und untersucht, ob das eigene Nabelschnurblut zu positiven Effekte führt. Diese Phase umfasst meist zwischen zwanzig und achtzig Probanden. Erst in Phase 3 wird die Therapie an mehreren hundert bis tausend Probanden angewendet, um einen signifikanten Wirksamkeitsnachweis zu erbringen. „An diesem Nachweis scheitern viele Therapien und werden nicht als Arzneimittel zugelassen“, sagt Kögler. Fremdes gespendetes Nabelschnurblut für die Transplantation hat diese Zulassung bereits und gilt als Fertigarzneimittel. Studien mit eigenem Nabelschnurblut konnten diesen Wirksamkeitsnachweis noch nicht erbringen.

Bisherige Studien mit eigenem Nabelschnurblut zu Autismus widersprechen sich in ihren Ergebnissen. Bei manchen klinischen Studien wurden Verbesserungen in Sprache, (Lern-)Verhalten und logischem Denken festgestellt, bei anderen wiederum blieben diese Veränderungen aus oder waren so gering, dass sie nicht als signifikant angesehen wurden. Bisher blieb auch der Nachweis aus, dass eigenes Nabelschnurblut ein besseres Therapiemittel für als fremdes Nabelschnurblut ist. „Bei der Erkrankung Autismus werden genetische Veranlagungen nicht ausgeschlossen, weshalb eine Transplantation von eigenem Stammzellen kontraproduktiv sein kann“, erzählt Kögler. „Aus diesem Grund verwenden immer mehr Studien fremdes Nabelschnurblut.“ Bei der Krankheit Zerebralparese konnte man in einer Studie feststellen, dass Nabelschnurblutstammzellen motorische Fähigkeiten und die Gerhinrkonnektivität verbessern. Allerdings fehlt auch hier der Beweis, dass eigenes Nabelschnurblut fremden Nabelschnurblut vorzuziehen ist.

Wörter, die in dem Zusammenhang mit der Forschung an Nabelschnurblut häufig fallen – „vielleicht“, „könnte“, „prinzipiell ist es möglich“. Auch den beiden Müttern aus Amberg ist bewusst, dass eigenes Nabelschnurblut nur höchst selten in der Behandlung von Krankheiten zum Einsatz kommt. „Die ganze Forschung steckt ja noch in den Kinderschuhen“, sagt Isabel. Das habe ihr eticur) bei einem Beratungsgespräch auch so gesagt. „Aber ich glaube innerlich ganz fest daran, dass die Forschung kurz vor dem Durchbruch steht. In 20 oder 30 Jahren werden Nabelschnurstammzellen das Mittel der Wahl in der Medizin sein.“ Auch das haben ihr private Blutbanken versichert.

Mario Rüdiger ist, was einen Durchbruch der Forschung anbelangt, weniger zuversichtlich als die Mütter. „Die Heilung mit eigenen Nabelschnurblutstammzellen bietet zum jetzigen Stand der Forschung keinen Vorteil gegenüber der Therapie mit fremdgerichtetem Nabelschnurblut.“ Ob Stammzellen aus dem eigenen Nabelschnurblut im Erwachsenenalter heilen können, ist allein deshalb schon ungewiss, weil niemand weiß, wie lange die Stammzellen in kryokonservierter Form funktionstüchtig bleiben. Gesine Kögler kann dem Mediziner nur zustimmen:

„Wann und vor allem ob es jemals medizinisch vorteilhaft sein wird, mit eigenem Nabelschnurblut zu therapieren, kann niemand sagen. Das wird sich auch so schnell nicht ändern.“

Gesine Kögler, José Carreras Stammzellbank

Trotz der Möglichkeit einer lebenslangen Einlagerung, hat sich Isabel erst einmal für den Zeitraum von 25 Jahren entschieden. Danach könne man den Vertrag entweder verlängern oder kündigen. Bei einer Auflösung des Vertrages würden die Stammzellen weggeworfen werden. „Nach diesen 25 Jahren übergeben wir den Vertrag wahrscheinlich an Maria und sie kann entscheiden, was sie mit ihren Stammzellen machen will.“ 2595 Euro hat die private Einlagerung Isabel und ihrem Mann gekostet. „Der finanzielle Aspekt hat bei dieser Entscheidung keine Rolle gespielt“, erzählt die junge Mutter. Sie arbeitet als Verwaltungsangestellte, ihr Mann ist Ingenieur. Eines macht sie während des Gespräches deutlich:

„Ich finde, Geld und Gesundheit kann man nicht gegeneinander aufwiegen. Geld, wenn es knapp wird, kann man sich leihen. Ich kann mich an die Bank oder an den Staat wenden, die mir Sicherheit bieten. Bei Gesundheit habe ich diese Sicherheit nicht.“

Isabel, Mutter einer einjährigen Tochter

Doch nicht jeder ist in der Lage, diese Kosten zu tragen – selbst mit Ratenzahlung. Aus diesem Grund hat sich Janett in Berlin für die private Firma vita34 entschieden – „einfach, weil das der günstigste Anbieter war.“ Janett zahlt eine jährliche Gebühr von 70 Euro. Die private Einlagerung kann je nach Länge des Vertrages und Anbieter zwischen 2000 und 5000 Euro kosten. Mit jeder Zahlung wird der Vertrag automatisch um ein Jahr verlängert. „Wir hätten es auch bei höheren Kosten möglich gemacht. Aber dann hätten wir uns etwas einfallen lassen müssen, um das bezahlen zu können.“

3D-Ultraschallbild in Carinas 33. Schwangerschaftswoche

Trotz der fehlenden wissenschaftlichen Beweise für die Sinnhaftigkeit einer privaten Einlagerung, bereut Isabel ihren Entschluss nicht. „Jetzt, ein Jahr später, bin ich noch viel stolzer auf meine Entscheidung”, sagt Isabel. Carina nickt bei den Worten ihrer kleinen Schwester und streichelt ihrem Sohn Ludwig nachdenklich über den Kopf. „Bei Ida und Ludwig habe ich die Chance verpasst, egal ob ich jetzt gespendet oder privat eingelagert hätte“, sagt Carina. Doch sich im Nachhinein darüber zu ärgern, das sei sinnlos. Zumal es auch noch keine Situation gab, in der sie die Stammzellen für eines ihrer Kinder benötigt hätte. „Wenn diese Situation da wäre, würde ich mich sicher fragen, ob das Nabelschnurblut, das wir damals so leichtfertig weggeworfen haben, helfen könnte.“ Ob Carina das Nabelschnurblut ihres dritten Kindes privat einlagern lässt oder spendet, weiß sie noch nicht. Was sie allerdings bei dieser Schwangerschaft anders machen möchte: Sich wirklich mit dem Thema Nabelschnurblut auseinandersetzen, um nicht aus Unwissenheit eine Entscheidung zu treffen. 

Quellen und weiterführende Literatur

Bei meinen Interviews mit Mediziner*innen wurde ich mehrmals darauf angesprochen, ob ich mir sicher bin, dass ich diesen Artikel nicht doch für den eigenen Zweck mache. Zumindest nicht, dass ich wüsste!

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