Zwei Sorgenkinder der Pressefreiheit

Polen und Ungarn

Am 12. August 2021 titelte die “tagesschau”: “Sorge um die Pressefreiheit in Polen – Parlament stimmt für neues Mediengesetz”. Dieses Gesetz, dass kurz zuvor im polnischen Parlament verabschiedet wurde, könnte einschränkend auf die ortsansässigen Medien wirken. Angesichts der aktuellen Entwicklungen fragen sich vor allem Journalisten, innerhalb und außerhalb der EU, wie es mit der Pressefreiheit in Polen weitergehen soll. Doch nicht nur dort scheint es immer mehr Einschränkungen und Hürden für Reporter zu geben – auch aus Ungarn, genau wie Polen ein Mitgliedsland der Europäischen Union, kommt eine stetige Flut von schlechten Nachrichten fürJournalisten. Es stellt sich die Frage: Steht es in Polen und Ungarn wirklich so schlecht um die Pressefreiheit, wie es die deutsche Berichterstattung vermuten lässt?

Ervin Güth, Editor und Autor der ungarischen Online-Lokalzeitung „Szabad Pécs“, macht sich Sorgen um die Pressefreiheit in seinem Land. Bei einem Interview hat er uns von der Situation in seiner Heimat Ungarn erzählt. Güth ist Ende Dreißig und wenn er spricht, schwingt manchmal eine Art Galgenhumor in seinem Ton mit, hin und wieder kann er sich ein zynisches Lachen nicht verkneifen.

Szabad Pécs ist eine unabhängige lokale Online Zeitung in der Stadt Pécs. Die fünftgrößte Stadt Ungarns, in der etwa 140.000 Menschen leben, liegt im Süden des Landes im Komitat Baranya, nahe der kroatischen Grenze.


Ervin Güth ist seit dem ersten Jahr bei Szabad Pécs dabei. Die Zeitung wurde 2017 auf Anstoß des Journalisten Attila Babos gegründet. Laut Güth war der Grund dafür, dass sich die unabhängige Berichterstattung in Ungarn schon damals in Gefahr befand. Viele Gründungsmitglieder des Portals arbeiteten zuvor bei einer regionalen Print-Zeitung, die bis heute existiert. Doch diese ging im Jahr2016 an einen neuen Besitzer: den Oligarchen Lörinc Mészáros. Güth und seinen Kollegen war schon zu diesem Zeitpunkt klar, dass es nun nicht so weitergehen würde wie zuvor.

Lörinc Mészáros ist Milliardär, der reichste Mann Ungarns. Seinen Aufstieg hat er dem ungarischen Präsidenten und Vorsitzenden der Fidesz-Partei, Viktor Orbán, zu verdanken. Auch deren Werdegang und die Geschichte Ungarns selbst haben zur aktuellen Situation im Land beigetragen.

Mészáros kaufte 2016 Teile des Medienunternehmens Mediaworks, zu dem auch die Print-Zeitung aus Pécs und zahlreiche andere Medien gehören. Dank der neuen Inhaberschaft steht Mediaworks der Regierung inzwischen sehr nahe. Ervin Güth, seit 2014 Freelancer, kündigte nach dem Verkauf bei Mediaworks. Seine Kollegen wurde 2016 und Anfang 2017 entlassen und mit einer Vereinbarung abgefertigt, die eine weitere Zusammenarbeit mit Mediaworks indirekt unterband; die Journalisten wurden verpflichtet, bei der Zeitung zu kündigen. So wurde die Lokalzeitung auf Linie gebracht, und Szabad Pécs wurde gegründet.

Seit ihrer Initiation hat Szabad Pécs mehrere Skandale aufgedeckt, darunter einige Fälle, bei denen es Hinweise auf Korruption gab. Inzwischen ermittelt die ungarische Polizei.

Anders als in vielen anderen Orten in Ungarn, wo mehrheitlich die regierende Fidesz-Partei von Viktor Orbán dominierte, haben 2019 in Pécs die Oppositionsparteien mit einer „gravierenden Mehrheit“ gewonnen. Viele Menschen in Pécs glauben, dass Szabad Pécs mitverantwortlich für dieses Ergebnis ist.

Wir hatten Themen, die in den herkömmlichen Medien einfach nicht aufgekommen wären, wenn wir unsere Berichterstattung nicht so gemacht hätten, wie wir sie gemacht haben.

Ervin Güth

Sogar Gratulationen zur Wahl erreichte das Team in ihrem kleinen Büro. Der Journalist sieht das aber kritisch: „Wir sind keine Politiker, wir haben nicht gewonnen. Das war nicht sehr bequem für uns. Aber wir haben nur unsere Arbeit getan.“

Szabad Pécs ist zwar nicht das einzige journalistische Online Portal, allerdings sind, laut Güth, alle anderen, die es schon vorher gab, mit Parteien verknüpft. Das größte Problem in Ungarn sei, dass „die Medienlandschaft gestaltet wird, wie die Leute, die sie finanzieren, es wollen.“ Da viele Medien in Ungarn vom Staat und den Städten finanziert werden, spielen auch die Politiker und die verabschiedeten Gesetze eine große Rolle in der Medienlandschaft, wie man es am Beispiel Mediaworks sehen kann.

Ervin Güth wurde für seine kritische Berichterstattung zwar selbst noch nicht körperlich angegriffen, Beleidigungen hat er allerdings viele zu hören bekommen. Auch strukturell versucht man, es Szabad Pécs schwer zu machen: die Zeitung wartete, anders als regierungsnahe Medien, meist vergeblich auf offizielle Einladungen zu Presseevents. Inzwischen ist eine Verbesserung eingetreten, der optimale Zustand sieht jedoch anders aus. Eine andere ungarische Zeitung, „Pécsistop“, die den Sozialisten nahe steht, erstritt sich ihr Recht auf eine Einladungen mit Hilfe einer gewonnenen Diskriminierungsklage. Das Urteil kam aber erst nach den Lokalwahlen in der Region – zu spät also für eine ausgewogene Berichterstattung.

Die Beeinflussung des freien Journalismus durch die Politik ist aber nicht nur in Ungarn ein Problem. Auch Polen liebäugelt inzwischen mit der ungarischen Art. Die Regierungen der beiden Länder stehen sich sehr nah, sie verfolgen eine ähnliche Politik, vertreten eine ähnliche Weltanschauung und seien beide europakritisch, so Agnieszka Łada, Stellvertretende Direktorin des Deutschen Polen-Instituts. Der Vorsitzende der polnischen Regierungspartei, Jarosław Kaczyński, sehe Viktor Orbán als Vorbild, wie man Regelungen einführt. Schon die Geschichte Polens weist viele Gemeinsamkeiten zu der Ungarns auf, wie etwa den prägenden Kommunismus.

Polen und Ungarn sprechen oft eine Stimme und verteidigen sich gegenseitig. Ausnahmen bestätigen die Regel.

Agnieszka Łada

Die Lage in Ungarn zeigt sich meist dramatischer als in Polen, auch was die Pressefreiheit angeht. Doch derzeit zieht Polen nach; es ließ lange auf sich warten, fast hätte man glauben können, die polnische Regierungspartei PiS („Prawo i Sprawiedliwość“, zu Deutsch „Recht und Gerechtigkeit“) hätte es aufgegeben, doch nun ist es hier, das neue Mediengesetz in Polen.

Seit ihrem Wahlsieg 2015 verfolgt die PiS-Partei eine sogenannte Repolonisierungs-Strategie: Ziel ist sozusagen, Polen wieder nach Polen zu holen, unter anderem in Wirtschaft und Medien. Ein Schritt wäre im Zuge dessen die Medienreform, die PiS schon im selben Jahr ankündigte – jedoch ohne Erfolg. Die geplanten Abgaben für Sender, die diese schwer getroffen hätten, wurden bis heute nicht eingeführt. Stattdessen jetzt das: am 11. August 2021 verabschiedete der Sejm, die erste Kammer des Parlaments, ein neues Verbot von ausländischer Besitzerschaft polnischer Medienkonzerne. Offiziell richtet sich das Verbot nicht gegen ein konkretes Opfer, inoffiziell ist wohl vor allem einer betroffen: das Sender-Netzwerk TVN, Teil des amerikanischen Unternehmens „Discovery, Inc.”. Einer der letzten regierungskritischen Sender muss sich nun wohl in neue Hände begeben. Mit diesem Schicksal wäre TVN aber nicht allein: unabhängig von dem neuen Gesetz wechselte schon die Zeitungsgruppe „Polska Press“ im letzten Jahr den Besitzer. Sie ging von der Verlagsgruppe Passauer Presse über an den regierungsnahen Ölkonzern „PKN Orlen” – die Passauer Presse wollte sich auf unsere Nachfrage hin nicht zu dem Verkauf äußern.

Zum Zeitpunkt unseres Interviews mit Dr. Agnieszka Łada war das neue Verbot noch nicht verabschiedet, und die gebürtige Polin blickte kritisch auf die deutsche Berichterstattung über ihr Heimatland. Sie sieht die dortige Lage insgesamt etwas entspannter als in den deutschen Medien dargestellt, denn obwohl die öffentlich-rechtlichen Medien stark gefährdet seien, könne man immer noch objektive Berichterstattung von den privaten Medien bekommen.

Aleksandra Tulej zumindest, ebenfalls gebürtige Polin und heute Journalistin in Österreich, stimmte Ladas Einschätzung der Presse in Polen vor wenigen Wochen noch zu. Bei einem Instagram-Chat empfiehlt sie uns für freie und offene Berichterstattung beispielsweise „OKO.press“– eine unabhängige Rechercheplattform. Nichtsdestotrotz sieht auch sie die Entwicklungen in Polen mit Bedenken. „Seitdem die jetzige Regierung [die Partei „PiS“] seit 2015 an der Macht ist, ist das Staatsfernsehen […] sehr geframt und in eine Richtung gelenkt. Sie nutzen teilweise bestimmte Narrative und eine bestimmte Wortwahl.“

Doch nicht nur die Polen und Ungarn selbst machen sich Sorgen um den Zustand der Pressefreiheit ihrer Länder. Auch das unabhängige Recherchenetzwerk „Reporter ohne Grenzen“ hat Polen und Ungarn schon länger im Blick. Um einen näheren Einblick in die Einschätzung von Reporter ohne Grenzen zu bekommen, haben wir ein Interview mit Christopher Resch geführt, einem dort beschäftigten Journalisten. Er stimmt den Platzierungen Polens (Platz 64) und Ungarns (Platz 92) auf der jährlich erscheinenden Rangliste der Pressefreiheit zu. Auch mit Dr. Agnieszka Łada ist er sich einig: Ungarn habe eine negative Vorbildfunktion – er fügt aber noch hinzu, dass dies auch verstärkt für Slowenien gilt.

Eine Verbesserung ist, laut unseren Gesprächspartnern, in naher Zukunft in den beiden Ländern nicht zu erwarten. Ervin Güth, Autor bei der ungarischen „Szabad Pécs“, würde Ungarn gerne verlassen. „Eigentlich mag ich es hier, aber was zurzeit läuft ist glaube ich zu viel“. Das Einzige, was ihn derzeit in Ungarn hält, sei seine Familie. Güth meint, auch wenn sich die Politik ändert, würden sich nicht die Gesellschaft und die Strukturen ändern. Die Fidesz Partei und Orbán seien nur ein Symptom von etwas Größerem. In Ungarn herrscht seiner Meinung nach

keine konservative Meinung, sondern Populismus

Ervin Güth

Es klingt, als wäre Journalist zu sein aktuell einer der härtesten Jobs des Landes.

Freie, unabhängige Informationen sind in Polen und besonders in Ungarn schwerer zu bekommen als in anderen europäischen Staaten. Szabad Pécs bildet hierbei eine Ausnahme, und markiert gleichzeitig einen Schritt in die richtige Richtung. Doch vereinzelte Medien wie Szabad Pécs allein reichen nicht aus für eine faire, objektive Berichterstattung, die Pressefreiheit im Land ist trotzdem massiv gefährdet. Wichtig für die außenstehenden Länder, besonders die Mitglieder der EU, ist jetzt, die letzten unabhängigen Medien in Polen und Ungarn zu unterstützen, und die Situation im Auge zu behalten. Christopher Resch von Reporter ohne Grenzen verweist dabei auf die Pressefreiheit als einer „der elementaren Werte der EU“. Aus diesem Grund sind erste Schritte durch das Europäische Parlament und die europäische Kommission zur Maßregelung der beiden Regierungen bereits im Gange. Ob diese Maßnahmen letztendlich ausreichen, bleibt fraglich. Fest steht: die Lage ist kritisch, sowohl in Ungarn als auch in Polen. Die deutsche Berichterstattung konzentriert sich meist auf negative Meldungen, übertreibt aber trotzdem nur selten. Bei den beiden Ländern handelt es sich in jedem Fall um zwei Sorgenkinder der Pressefreiheit.

Autoren: Carolin Gruber, Louisa Schmidt, Jana Schiener

Ervin Güth über Szabad Pécs und die ungarischen Medien:

Ungarns Vorgeschichte

Ungarns Geschichte ist geprägt von Eroberungen und Besetzungen. Es war bis 1918 Teil der österreichischen Habsburger Monarchie und war 1867 fast vollständig autonom. Im Vertrag von Trianon, welcher Teil des Versailler Vertrags nach dem ersten Weltkrieg war, musste Ungarn viele Gebiete abtreten. Bis heute wird diese Gegebenheit als „das Trauma Ungarns“ bezeichnet. Dieses belastet seitdem die Regierungsbildung und unterstützt durch seine Härte die Stärkung von „ revanchistischen und autoritären Tendenzen“

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Bis 1944 regierte Admiral Miklós Horthy Ungarn mit nationalistischen Tendenzen, auch näherte sich Ungarn dem nationalsozialistischen Deutschland an und kämpfte an seiner Seite im zweiten Weltkrieg. Hier war ähnlich wie in Deutschland die Pressefreiheit und die politische Opposition unterdrückt und ausgeschaltet. Nach dem Sieg der Alliierten gelangte Ungarn in den Aufsichtsbereich der sowjetischen Besatzungsmacht. Die rote Armee eroberte 1945 das Land.

Stalinnahe, sozialistische Regierungen wurden nun gebildet und wechselten sich ab durch Putsche und Aufstände, wie den Ungarnaufstand 1956. Auch wenn Ungarn (und auch Polen) nach dem Tod Stalins keine Regierung in der gleichen diktatorischen Strenge wie die der Sowjetunion hatten, etablierte sich nach einiger Zeit die kommunistische Partei als einzige Führungsmacht. Dazu verhalfen unter anderem auch blutige Niederschlagungen der Proteste.

Nach 1988 begann ähnlich wie in Deutschland ein Wandel und die stetige Auflösung der kommunistischen Partei. Im Oktober 1989 wurde schließlich eine neue Verfassung verabschiedet.

Zunächst gewann nun 1994 die oppositionelle, konservative Partei die Wahlen in Ungarn, wenige Jahre später gelangte jedoch auch die sozialistische Nachfolgepartei der Kommunisten an die Macht. 1998 wurde erstmals Viktor Orbán mit der Fidesz Partei das Oberhaupt des Landes. 1999 trat das Land der NATO bei und 2002 verlor Orbán überraschend die Wahlen gegen die Sozialisten. 2005 wurde Ungarn Teil der europäischen Union. Doch die Schwäche der Linken und des Zentrums, die Wirtschaftskrise 2008/9 und viele weitere Faktoren ließen 2010 Orbán erneut die Wahlen gewinnen. Bürgerliche Parteien, die nach der Wende vom Kommunismus in die Demokratie entstanden sind, haben sich seitdem fast vollständig aufgelöst oder sind zersplittert. [4]Seitdem regiert Orbán in einer Koalition mit der Christlich-demokratischen Volkspartei.

Insgesamt fällt auf, dass Ungarn seit dem ersten Weltkrieg von der einen autoritären Regierung in die nächste gewechselt hat: Von links-kommunistisch zu rechts-autoritär und umgekehrt.

Ob dies jedoch der Grund für die Tendenz zu Orbán und seiner Partei ist, ist unsicher.

Warum die Demokratie so gefährdet ist und häufig wahr in diesem Land, lässt sich nicht klar sagen. Doch erkennbar ist, dass dem einen Extrem häufig das Nächste folgt.

Was passierte seit Orbans Amtsantritt?

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk und Ungarns einzige Nachrichtenagentur MTI sind seit Orbáns Amtsantritt in der staatlichen Medienholding MTVA zentralisiert worden.  2017 ist auch die regionale Presse vollständig im Besitz Orban freundlicher Unternehmer gelangt. Ein Jahr später wurden 500 weitere regierungsnahe Medienunternehmen in der Holding zusammengefasst. Wichtige kritische und überregionale Zeitungen sind inzwischen nicht mehr existent, die großen Nachrichtenportale sind redaktionell nun auf eine Linie gebracht. Regierungsnahe Medien veröffentlichen schwarze Listen kritisch berichtender Journalisten und diffamieren sie damit, setzen sie der Öffentlichkeit aus. Seit Jahren finden Demonstrationen gegen die Regierung statt.

Warum hatte Orban einen solchen Erfolg?

Nach der Finanzkrise 2008/9 gewann Orban viele Stimmen durch seine wirtschaftspolitische Agenda. Durch ihn wurde außerdem das Mitte-Rechts Lager geeint. Davor waren lange Zeit sozialistische Parteien führend, während die Fidesz Partei 8 Jahre lang in der Opposition war.

Die Zersplitterung der Linken Parteien, des Zentrums und der Mitte bilden eine schwache Opposition gegen die Fidesz Partei. Das ungarische Wahlrecht begünstigt außerdem die relativ stärkere Partei: Diese ist derzeit die von Orbán.[5] Auch seinen Einsatz für Sport und Religion hat ihm eine breite Wählerschaft geschaffen: Wer an Gott glaubt wählt Orbán, er präsentiert sich als ein christlicher Anführer. [6][7] Seine Unterstützung ungarischer Sportgruppen hat ihm sowohl auch Sympathie als auch Wähler gebracht.[8]

Ein weiterer Schachzug für die Wahlen, war die Instrumentalisierung der Flüchtlinge. [9] Durch Schürung der Angst vor unkontrollierter Einwanderung und Selbstdarstellung als der, der die Nation und die Heimat davor beschützt[10] bietet er eine einfache Lösung für schwierige politische Fragen. Die Europäische Volkspartei EVP verschließt Augen und akzeptiert Orbán, auch wenn er problematische Dinge vornimmt und äußert.

Seine Position festigt er durch seine Kontrolle über die Medien. Dort kommen keine oppositionellen Meinungen zu Wort: Wer damit aufwächst, glaubt womöglich das, was in der Zeitung steht. So festigt er seine Anhänger auch für zukünftige Generationen.

Autor: Louisa Schmidt

Polens Vorgeschichte

Das Schicksal Polens im 2. Weltkrieg ist den meisten Menschen bekannt: Deutschland marschierte am 1. September 1939 in Polen ein und brach damit den 1934 ausgehandelten Nichtangriffspakt der beiden Länder. 1943 wurde der Aufstand im Warschauer Ghetto gegen die Besatzer brutal niedergeschlagen, die Rückeroberung Warschaus durch die Polen scheiterte an der fehlenden Unterstützung durch die Sowjetunion. Was die meisten allerdings nicht wissen, ist, wie es danach in Polen weiter ging.

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Gegen Ende des zweiten Weltkriegs und der Niederlage Hitlers setzt die Sowjetunion in Polen das „Lubliner Komitee“ ein: dies bezeichnet den Beginn des Kommunismus in Polen. Dominiert vom Stalinismus wird das Land ein Teil des russisch-dominierten Warschauer Pakts und einer der „Satellitenstaaten“ der Sowjetunion – ein Teil des Ostblocks, ohne direkt Mitglied der Sowjetunion zu sein. Das Einzige, was die SU in Polen mehr schwächt als in anderen Satellitenstaaten, ist die starke Stellung der katholischen Kirche.

Bereits im Jahr 1953 regen sich dank der schlechten wirtschaftlichen Lage erste Proteste gegen die kommunistische Führung; 1956 werden Arbeiterproteste gewaltsam niedergeschlagen. Was folgt ist erst eine liberale Phase der Regierung, bevor sich die Wirtschaft 1970 erneut verschlechtert. 

Die Wende für Polen beginnt im Jahr 1980: es gibt Streiks, und die wichtige Oppositionsbewegung „Solidarnosc“ wird gegründet; ihr Vorsitzender Lech Wałęsa soll später Präsident des Landes werden. Von 1981 bis 1989 wird die Gewerkschaft Solidarnosc zwar verboten, gewinnt dafür nach ihrer Freigabe `89 sofort die Wahlen. Mit dem Fall der Berliner Mauer endet auch in Polen die sozialistische Ära. 

Zwei Jahre soll es noch dauern, bevor die Polen zum ersten Mal frei ihr Parlament wählen dürfen. Sie bestimmen den Staatsratsvorsitzenden Jaruzelski zum 1. Präsidenten und Tadeusz Mazowiecki zum 1. Ministerpräsidenten des Landes. Was folgen sind Wirtschaftsreformen und eine Umgestaltung der Strukturen zu einer sozialen Marktwirtschaft, sowie die Einbindung Polens in die NATO (1994) und die EU (2004).

Maßgeblich zur Gestaltung Polens beigetragen hat, besonders in den letzten Jahren, vor allem eine Partei: „Prawo i Sprawiedliwość“ („Recht und Gerechtigkeit“), kurz PiS. Die Partei gilt als rechtskonservativ, nationalistisch, populistisch sowie EU-skeptisch. Sie wurde 2001 von den Kacyński-Zwillingen gegründet, von denen einer, Jarosław Kacyński, sie bis heute prägt. Viele Politiker der „Wahlaktion Solidarność“ sowie der „Bewegung für den Wiederaufbau Polens“ zählen inzwischen zu ihren Mitgliedern. Bereits 2005-2007 führte die PiS als stärkste Partei im Sejm, dem polnischen Parlament, eine Minderheitsregierung an, wobei es 2006 zum Bruch der Regierungsmehrheit kam. In diesen Jahren kam es zu Verbesserungen in mehreren Bereichen; unter anderem wurde eine Abrechnung mit dem Kommunismus angestrebt. Nach dem Verlust der Regierungsmehrheit geriet die PiS bis 2015 in die Opposition, erlangte dann aber einen eindeutigen Sieg: sie schwang sich zur stärksten Partei im Sejm und im Senat auf und lag bei allen Altersgruppen der Wählerschaft auf Platz 1. 

Am 30. Dezember 2015 verkündete die Partei ihren Plan für eine Medienreform, die die Unabhängigkeit der Medien gefährden sollte: vorgesehen war, eine Abgabe für Sender einzuführen, und einen „Rat Nationaler Medien“ zu gründen. Bis heute wurde diese Medienreform allerdings nicht durchgeführt. Zuletzt fuhr die PiS erneut Wahlrekorde ein: sie erlangte 2019 zwar nicht mehr die Mehrheit im Senat, dafür aber erneut im Parlament und erzielte mit 43,6% der Stimmen die höchsten Wahlergebnisse in der Geschichte Polens.

Die Beliebtheit der Partei lässt sich, trotz ihrem problematischen Umgang mit den Medien, recht einfach erklären: historisch gesehen wurde das polnische Sozialsystem immer weiter abgebaut, es gab Probleme auf dem polnischen Arbeitsmarkt und sinkende Löhne. Die PiS begann mit dem Aufbau eines Sozialsystems, erhöhte den Mindeststundenlohn und führte Kindergeld ein. Sie setzt sich zudem für kleine Unternehmen ein, die einen großen Teil der polnischen Wirtschaft ausmachen. Einfach gesagt: sie erfüllt ihre Wahlversprechen. Die PiS bindet ihre Wähler an sich, es soll das Bild entstehen, dass „wahre Polen“ PiS wählen. Als christliche Partei kommt ihr auch die wichtige Stellung der katholischen Kirche in Polen zugute. Die Partei fährt derzeit allerdings schwankende Umfragewerte bezüglich der Regierung ein; Im Mai 2021 lagen diese mit ca. 32% deutlich unter dem Wahlergebnis von 2019.

Autor: Carolin Gruber

Interview mit Christopher Resch

Christopher Resch arbeitet für Reporter ohne Grenzen. Er ist Journalist und Arabist, studierte in Leipzig und Istanbul. Er kam über das Goethe-Institut in arabischen Ländern zurück zum freien Journalismus in Deutschland. Bei Reporter ohne Grenzen ist er Ansprechpartner für Westasien und Nordafrika (WANA), befasst sich jedoch auch mit Süd-Osteuropa. 

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Louisa: Reporter ohne Grenzen setzte zuletzt Ungarn auf Platz 92 – von 180 Plätzen – auf der Rangliste der Pressefreiheit, Polen auf Platz 64. Würdest Du mit dieser Platzierung übereinstimmen? Sind die Kriterien richtig gesetzt? 

Christopher: Im Grunde muss ich und würde ich, dieser Rangliste zustimme. Diese Ranglistenplätze sind eine Momentaufnahme, die sich aus der Beurteilung des zurückliegenden Jahres speist. Der Stichtag ist Mitte/Ende April, zu diesem Zeitpunkt halten wir es für gültig, aber das ist dann natürlich dynamisch. Hoffentlich passiert sowas nie, aber wenn in Polen 17 Journalisten am selben Tag ermordet werden, würde Polen drastisch abfallen, da die Kategorie Übergriffe stark gewertet wird. 

Interessant sind die Vergleiche und die Entwicklungen über die Jahre hinweg. Polen und Ungarn sind einige Plätze nach hinten gefallen und dies korrespondiert mit der politischen Entwicklung in beiden Ländern. Seit Orbáns Amtsantritt hat sich Ungarn dramatisch verschlechtert. Ungarn lag vor Orbán  auf Platz 23, 2013 nach Orbans Amtsantritt auf Platz 56, heute Platz 92. Kein Land hat in dieser Zeit so viel Plätze verloren.

Die Entwicklung in Polen ist weniger dramatisch, aber ähnlich. 2013 hat Polen 40 Plätze verloren. Dies wurde befeuert durch die Verabschiedung verschiedener Gesetze und der Repolnisierungsstrategie. 

Zusammenfassend gibt es harte Fakten, die die Rangliste von Reporter ohne Grenzen unterstützen. 

Louisa: Wie würdest Du die weitere Entwicklung einschätzen? Die deutsche Berichterstattung zeichnet ja ein eher düsteres Bild. Polen folgt Ungarn.

Christopher: Ja, wir beobachten schon eine gewisse negative Vorbildfunktion Ungarns, nicht nur auf Polen. In beiden Ländern sind Dinge auf der Ebene der Medienfreiheit passiert, die nicht positiv in die Zukunft blicken lassen. In Ungarn ist es vor allem die Unabhängigkeit. In dieser Kategorie schneidet Ungarn immer schlecht ab. Die Regierung versucht durch direkten Zugriff oder durch Zugriff über regierungsfreundliche Unternehmer die Medien zu kontrollieren. In Polen ist es abgeschwächt ähnlich. Besiegelt durch die aktuellste Entwicklung: Verkauf der Polska Press an einen staatlichen Ölkonzern, übrigens vorbei an der polnischen Rechtsprechung. Der Chef des Ölkonzerns ist sehr eng mit Parteichef Jaroslaw Kaczynski verbunden, sie sind Freunde. Hier entsteht eine Nähe zur Macht die wir als sehr problematisch betrachten. 

Louisa: Gehört Polen und Ungarn überhaupt noch in die EU?

Christopher: Pressefreiheit ist einer der elementaren Werte in der EU. Ziel kann jedoch nicht sein diese Länder rauszuwerfen, aber man muss auf sie einwirken. Es gibt Werkzeuge und Mittel auf politischer Ebene wie z.B. den EU Rechtsstaats Mechanismus, den aber Ungarn und Polen nicht unterzeichnet haben – nicht unterzeichnen wollen. 

Louisa: Ist es gefährlich für Journalisten in Polen/Ungarn?

Christopher: Grundsätzlich schwer zu sagen. In den Bereichen `organisierte Kriminalität` und `Korruption` ist es generell gefährlich zu berichten, aber da geht es in beiden Ländern eher um Repression und Einschränkung, also noch auf einer humanen Ebene. Die Entwicklung ist jedoch nicht minder problematisch.

Verfasser: Jana Schiener

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