Die Corona-Pandemie hat der Integration von Zugewanderten in den letzten Monaten einen deutlichen Dämpfer gegeben. Während die Politik versucht hat, das Notwendigste aufrechtzuerhalten, treten aber auch gesellschaftliche Probleme auf.

Frühling 2020. Die Türen des Internationalen Begegnungszentrum Friedenshaus e.V. (IBZ) in der Bielefelder Innenstadt blieben aufgrund des Corona-Virus wie so vieles auf Weiteres geschlossen. Stattdessen gab es für Hilfesuchende vorrangig Online- und Telefonberatung. In besonders dringenden Fällen bot die Nichtregierungsorganisation aber auch Beratungsspaziergänge an. Bei Bedarf ging es dann bei Wind und Wetter drei Mal wöchentlich raus, um Probleme und Fragen von Migrant*innen zu lösen. Früher lief die Integrationsberatung anders. Wenn etwas war, konnten die Menschen einfach für ein persönliches Gespräch vorbeikommen und wenn mal gerade keine Zeit war, wurde eben ein Termin für die nächsten Tage verabredet. Durch die Pandemie war aber zumindest zu Beginn diese unbürokratische und einfache Hilfe nicht mehr möglich. Auch wenn das IBZ mit den Beratungsspaziergängen versucht hat, wenigstens etwas sozialen Kontakt aufrecht zu erhalten.

Das Internationale Begegnungszentrum Friedenshaus in Bielefeld wurde 1981 gegründet und soll den Zusammenhalt von Menschen unterschiedlicher Kulturen fördern
So wie dem Friedenshaus in Bielefeld ging und geht es vielen Hilfsorganisationen und Integrationsangeboten für Zugewanderte in ganz Deutschland. Zwar sind im ersten Corona-Jahr 2020 mit rund 122.000 Asylanträgen deutlich weniger Anfragen als im Vorjahr gestellt worden – zum Vergleich 2019 waren es ungefähr 165.000 Anträge. Dennoch ist der Arbeitsaufwand für eine erfolgreiche Integration deutlich höher. Schon ohne eine Pandemie gilt Integration oft als eine Mammutaufgabe, insbesondere in Zeiten wie in den letzten Jahren seit der großen Flüchtlingswelle 2015. Mehr Menschen bedeuten mehr unterschiedliche Kulturen, Denkweisen und natürlich auch mehr unterschiedliche und individuelle Schicksale der Geflüchteten. Für diese Betreuung bedarf es oftmals viel Aufwand und gesonderte Einzelgespräche. Mit einer Pandemie, welche die gesamte Bevölkerung in den letzten gut 15 Monaten immer wieder in Lockdowns geführt hat, wirkt eine erfolgreiche Integration gar unmöglich. Die so dringend benötigten Beratungs- und Hilfsangebote wurden auf ein Minimum reduziert oder ganz ins Internet verschoben, das zeigen auch die Zahlen:
Integrationskurse, welche Sprach- und Orientierungsangebote beinhalten, wurden 2020 von rund 106.000 Menschen genutzt, im Vorjahr lag die Teilnehmer*innenzahl noch bei 176.000. Die vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) erfassten Integrationskurse dienen seit 2005 als Grundlage für die erfolgreiche Eingliederung von Zugewanderten. Gerade die Sprachkurse sind dabei „der Schlüssel zur Integration“ , so die offizielle Bezeichnung. Allerdings treten teilweise schon in den Präsenzkursen Probleme auf. Laut einer Studie des Leibniz-Instituts für Deutsche Sprache sorgen vor allem die immer heterogener werdenden Kurseteilnehmer*innen und die zu hohen Anforderungen für einen geminderten Lernerfolg. Nur knapp die Hälfte aller Personen erreichte 2020 das höchste Niveau im Sprachtest, 2015 waren es noch gut 20 Prozent mehr. Auch wenn es zum jetzigen Zeitpunkt noch keine verlässliche Statistik zu den Auswirkungen der Pandemie auf diese Kurse im aktuellen Jahr gibt, ist es nur schwierig vorstellbar, dass ausgerechnet Onlinekurse diesen Trend stoppen, denn die Vorzeichen stehen alles andere als gut.
Ressourcenmangel auf allen Ebenen
Während das Lernen und Arbeiten im Homeoffice für fast alle eine große Herausforderung ist, haben es Zugewanderte besonders schwer, dies legte eine Studie der Universität Erlangen-Nürnberg offen. Menschen mit Migrationshintergrund kommen oftmals aus sozial benachteiligten Familien, in denen es an WLAN, Computern und sonstigen Lern- und Arbeitsmitteln mangelt. Und auch an der benötigten Ruhe zum Lernen fehle es häufig. Insbesondere trifft dies Flüchtlingsunterkünfte, wo nur knapp 56 % Zugang zum Internet haben und nur 14 % einen eigenen Laptop. Auf dem Arbeitsmarkt sieht Lage ebenfalls nicht sonderlich besser aus: Viele Geflüchtete arbeiten in den von der Corona-Pandemie besonders betroffenen Branchen, wie der Gastronomie oder in Hotels. So stieg die Arbeitslosenquote von Migrant*innen während der ersten Corona-Welle um fünf Prozent in knapp drei Monaten (März bis Mai 2020). All diese Einschränkungen werden zu einer großen Hürde für eine Eingliederung in die deutsche Gesellschaft. Das Experten*innenteam rund um Projektleiterin Prof. Dr. Petra Bendel macht sich dabei nicht nur Sorgen um die Integration der Migrant*innen aus diesem Jahr, sie sieht das ganze Integrationssystem gefährdet:
„Errungenschaften, die wir in den vergangenen sechs, sieben Jahren erzielt haben, drohen zu versanden, wenn wir nicht entsprechend gegensteuern“
Prof. Dr. Petra Bendel, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Sie sind nicht die Einzigen, die die brenzlige Lage erkennen. Auch die Bundesregierung wusste um die Dringlichkeit Lösungen zu finden und gegenzusteuern. Im Mittelpunkt des zwölften Integrationsgipfels im Oktober vergangenen Jahres stand deutlich die Digitalisierung, um die zuvor heruntergefahrenen Integrationskurse irgendwie wieder aufzufangen. Schon zuvor wurden von BAMF über 40 Millionen Euro investiert, um rund 7.000 Online-Tutorien anbieten zu können. Im Mittelpunkt des digitalen Ausbaus steht der „Nationale Aktionsplan“, welcher von „Vor der Zuwanderung“ über fünf Phasen bis zum Punkt „Zusammenhalt“ eine Art vorgegebener Integrationsweg werden solle.
Auch wenn die Bundesregierung und die zuständigen Behörden schnell reagiert haben, können aber nicht alle erreicht werden. Denn die schnell aufgebauten Online-Angebote scheinen zwar zu funktionieren, allerdings bleibe die technische Infrastruktur im bei den Menschen zu Hause ein großes Problem, so die Industrie und Handelskammer. Die Angebote stehen also theoretisch zur Verfügung, die Nutzung dieser bereitet aber immer noch große Probleme.
Dennoch könnte die Pandemie auch positive Züge nach sich ziehen. Integrationsstaatsministerin Annette Widmann-Mauz, die sich laut Aussage des BAMF schon vor der Pandemie für mehr Digitalisierung in der Integrationspolitik eingesetzt hat, sieht in den vergangenen Monaten sogar eine Chance. Durch gezielte Kommunikation mit den zuständigen Verbänden und Organisationen könne man aus der Pandemie lernen und Erfahrungen sammeln, um in Zukunft das digitale Integrationssystem auch in Nicht-Corona-Zeiten erfolgreich zu gestalten.

Annette Widmann-Mauz (CDU), seit März 2018 Staatsministerin der Bundeskanzlerin und Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration
Vereinsamung im Homeoffice
Auch die sozialen Folgen bleiben durch die Corona-Pandemie nicht Außen vor. Viele Hilfsorganisation waren mit der Lage während den harten Lockdown-Phasen oftmals überfordert. Vor allem Jugendliche mit Migrationshintergrund plagten im Verlauf des ersten Shutdowns Anfang 2020 über psychische Probleme. So verdreifachte sich die Zahl der jungen Migrant*innen mit depressiven Symptomen auf 33 % – zum Vergleich, bei Jugendlichen ohne Migrationshintergrund stieg der Wert von 9 auf 21 %. Die Beratungsangebote der Hilfsorganisation waren dabei teils überlastet und platzten aus allen Nähten, wie zum Beispiel die Beratungsangebote der Caritas: „Unsere Ressourcen reichen kaum, um so vielen Menschen zu helfen“, resümierte beispielsweise der Münchener Caritas Streetworker Nedialko Kalinov. Und wenn doch noch ein Termin frei war, lief es ausschließlich mit voriger Terminabsprache oder eben telefonisch sowie online – Schwierig, wenn es Sprachbarrieren gibt, die normalerweise durch die persönlichen Gespräche überwunden werden sollen.
Wachsende „Ablehnungskultur“
Während verschlechterte Arbeits- und Lernbedingungen nicht schon Integrationshürde genug sind, wächst in Deutschland laut neusten Forschungen (erhoben durch die Universität Bielefeld und der Mercator Stiftung aus Essen) der Anteil der Menschen, die sich gegen die Integration von Migrant*innen aussprechen. Wie die Mitte August veröffentlichten Ergebnisse der „ZuGleich“ (Zugehörigkeit und Gleichwertigkeit) Studie zeigen, glauben nur noch 48 % der Bevölkerung, dass Integration von Zugewanderten die beste Lösung sei. 2016 waren es noch 60 %. Zwar gebe es einen Großteil derjenigen, die der Einwanderung Fremder offen gegenüberstehen, aber eben nicht der Integration dieser, erklärte Studienautor Prof. Andreas Zick. Grundsätzlich sprechen sich dabei drei Viertel der Befragten dafür aus, dass Migrant*innen am gesellschaftlichen Leben teilnehmen sollen, wenn es aber um konkrete Akzeptanz-Fragen und Zugeständnisse gehe, gebe es immer noch viele Vorurteile. Grund für die gestiegene Ablehnung im letzten Jahr sei laut Zick der „Corona-Effekt“. Interkulturelle Begegnungen fanden aufgrund der Pandemie kaum bis gar nicht statt. Dazu kamen viele persönliche und soziale Belastungen. Erfahrungsgemäß steige in solchen Zeiten die Ablehnung gegenüber Fremden.
Besserung in Sicht



Doch auch wenn die Corona-Pandemie in den letzten Monaten viel durcheinander geworfen und Integration erschwert hat, machen gerade die Sommermonate wieder Hoffnung auf Besserung. Vielleicht aufgrund der immer noch andauernden Pandemie nicht mit offenen Armen, aber immerhin mit offenen Türen. So kann beispielsweise das IBZ in Bielefeld seit Längerem wieder Veranstaltungen in Präsenz anbieten: Workshops gegen Rassismus, Jugendprojekte für mehr Austausch untereinander und seit Ende Juli auch wieder das „Sprachcafé“ zum Deutsch lernen und üben. Meist natürlich unter freiem Himmel und drinnen nur mit begrenzter Teilnehmer*innenzahl, aber eben besser als gar nicht. Denn für eine erfolgreiche Integration braucht es vor allem eines: Kontakt und Austausch untereinander.
Textnachweise:
- Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Forschung/Kurzanalysen/kurzanalyse4-2021_iab-bamf-soep-befragung-4te-welle.pdf?__blob=publicationFile&v=5, 16.08.2021
- Bundesregierung, https://www.nationaler-aktionsplan-integration.de/napi-de/aktionsplan, 12.08.2021
- FrankfurterRundschau, https://www.fr.de/politik/integrationskurse-schwierig-13238521.html, 09.08.2021
- Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg, https://www.covid-integration.fau.de, 22.08.2021
- Handbookgermany, https://handbookgermany.de/en.html, 15.08.2021
- Internationales Begegnungszentrum Bielefeld, https://ibz-bielefeld.de, 23.08.2021
- Mediendienst-Integration, https://mediendienst-integration.de/migration/corona-pandemie.html, 21.08.2021
- Neue Westfälische, https://www.nw.de/nachrichten/nachrichten/23071248_Studie-Integrationsfeindliche-Einstellungen-wachsen.html, 19.08.2021
- Süddeutsche Zeitung, https://www.sueddeutsche.de/muenchen/dachau/sozialpolitik-in-dachau-caritas-fordert-mehr-geld-fuer-migrationsberatung-1.5339203, 15.08.2021
- Tagesschau, https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/integration-zuwanderer-coronakrise-101.html, 08.08.2021
- WDR, https://www1.wdr.de/nachrichten/westfalen-lippe/migranten-kultur-anpassen-studie-bielefeld-100.html, 19.08.2021
Bildnachweise:
- Abb.1: Pixaby, https://pixabay.com/de/photos/willkommen-welcome-kreide-malkreide-3363654/, 19.08.2021
- Abb.2: IBZ Friedenshaus e.V., https://ibz-bielefeld.de, 19.08.2021
- Abb.3: Maximilian König, 23.08.2021
- Abb. 4,5,6: Instagram, https://www.instagram.com/ibzbielefeld/, 18.08.2021