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Steak? Bitte medium rare und vegan

Was haben das Grillen im Sommer, der Besuch im Wirtshaus und das Familienessen an Weihnachten gemeinsam? Mit etwas Glück: Geselligkeit und Gemeinschaft. Mit ziemlicher Sicherheit aber: Fleisch. Denn: «Fleisch steht fast in der gesamten Menschheitsgeschichte für Wohlstand, Überleben, Macht und das männliche Geschlecht», erklärt Ernährungspsychologe Christoph Klotter. Ist dieses Fleisch dann auch noch so richtig schön blutig, fühlen wir uns mächtig: Der archaische Reflex sagt uns: Wir sind das stärkere Tier gewesen.

Dabei muss heute niemand mehr stark sein, um an Fleisch zu kommen. Noch nicht einmal viel Geld muss man haben; die Auswahl an billigen Fleisch- und Wurstwaren im Supermarkt ist enorm. Der Triumph über Fleisch auf dem eigenen Teller ist verblasst, er wird überschattet von den gesundheitlichen und klimaschädlichen Folgen, die der übermäßige Fleischverzehr mit sich bringt. Ganz davon abgesehen, ist der historische Jagdinstinkt nur noch sehr einseitig vorhanden: Denn während beim Anblick des saftigen Steaks vielen das Wasser im Mund zusammenläuft, verdirbt allein der Gedanke an die blutige Schlachtung vermutlich mindestens genauso vielen wieder den Appetit.

Wie blutig soll das Fleisch der Zukunft also sein? Metzger*innen, Restaurantbetreiber*innen, Lebensmitteltechnologen*innen und viele weitere kreative Köpfe haben mögliche Antworten und Lösungen entwickelt, die einen Kompromiss versprechen: nachhaltiges Fleischessen. Sogar der archaische Jagdinstinkt kommt nicht zu kurz: Denn selbst, wenn das Produkt am Ende völlig fleischlos ist – „Blut“ gibt es trotzdem. Zum Beispiel als Rote Beete Saft. In der veganen Blutwurst.

Fleischqualität? Eine Frage der Schlachtung

Zunächst einmal gilt: Echtes Fleisch gibt es nicht ohne Blut. Genauer gesagt: Fleisch gibt es nicht ohne das Töten von Tieren. Das mag erst einmal nach einer recht simplen Erkenntnis klingen. Doch sind wir uns dieser Schuld, wie Ernährungspsychologe Klotter es nennt, wirklich bewusst? Wir finden Tiere einerseits süß und geben ihnen Namen; andererseits schlachten wir sie brutal und verzehren sie anschließend genüsslich in Würstchenform. Das funktioniert nur, weil wir das Töten und Schlachten „hinter die Kulissen legen“, sagt Klotter. Wer bewusst Fleisch konsumieren möchte, kann nicht erst im Supermarkt mit der Fleischwahl beginnen, sondern muss sich auch schon mit dem Akt der Schlachtung auseinandersetzen.

Todesangst schmeckt man

„Das Wichtigste ist das Schlachten“, sagt auch Rinderzüchter Coloman Wetterstetter. Wenn Tiere bei der Schlachtung Todesangst haben, schütten sie Adrenalin aus, das sich im Fleisch ablagert. Und das schmeckt man. Seine 16 Rinder können sich im Stall und auf der Weide frei in der Herde bewegen. Diese ursprüngliche Form der Tierhaltung geht sogar über die meisten Biostandards hinaus. Finanziert wird das Ganze durch sogenanntes Rinderleasing: Tier- und Fleischliebhaber können sich ein Rind in monatlichen Raten kaufen, um am Ende das qualitativ hochwertige Fleisch zu erhalten.

Bei dem Motto „vom Kalb bis zum Teller“ ist daher der Tötungsprozess entscheidend. Das Rind wird auf der Weide mit etwas Futter angelockt, fixiert und während es sich noch über sein Leckerli freut – zack – zwei Bolzenschüsse direkt ins Hirn und das Tier sackt leblos zusammen.

Was sich im ersten Moment brutal anhört, ist wohl die artgerechteste Schlachtung, die einem Rind passieren kann. Keine Trennung von der Herde, kein langer und anstrengender Transport und möglichst keine Angst. Das tote Tier wird anschließend an den Hörnern an einem Gabelstapler befestigt, hochgehoben und an der Halsschlagader aufgeschlitzt. Wenn das Rind seine 45 bis 55 Liter Blut in eine Metallwanne ausgeblutet hat, kann es im Anhänger des Metzgers abtransportiert werden. Innerhalb von drei Stunden muss der Metzger die Innereien entfernen, anschließend kann das restliche Rind weiter zu Fleisch verarbeitet werden.

Blut und Fleisch? Das geht auch ohne Tier

Wer trotz artgerechter Tierhaltung und Schlachtung lieber auf tierische Produkte verzichten möchte, muss trotzdem nicht völlig ohne „Fleisch“ auskommen. „Schnitzel nach Wiener Art“ aus Soja, Blutwurst aus Tofu und Roter Beete und sogar die bayerischen Weißwürste aus Weizeneiweiß bieten haufenweise kreative, rein pflanzliche Fleischalternativen. Zielgruppe der originalgetreuen Fleischersatzprodukte sind vor allem Fleischesser*innen, die der Umwelt und der Gesundheit oder vielleicht auch einfach den Enkel*innen zuliebe, mal etwas Veganes probieren wollen – ohne zu sehr von ihren Essgewohnheiten abweichen zu müssen.

 

Der Frankfurter Metzgermeister Michael Spahn geht sogar noch einen Schritt weiter: „Fleisch ist kein Nahrungsmittel. Es ist ein Genussmittel.“ Archaische Blutrünstigkeit hin oder her – niemand muss heute noch Tiere töten oder überhaupt Fleisch essen, um überleben zu können. Dabei hat Michael Spahn früher selbst leidenschaftlich gerne Fleisch gegessen: Seit über 40 Jahren arbeitet er als Metzger, vor 20 Jahren stellte er auf Bio um und vor sieben Jahren kam dann der radikale Wandel: Von einem Tag auf den anderen begann er eine komplett vegane Ernährung.

Alleine mit den Wurstverköstigungen hat Spahn früher pro Woche rund drei Kilogramm Fleisch gegessen – reguläre Mahlzeiten nicht dazugerechnet. Die Folge waren starkes Übergewicht, Bluthochdruck und Diabetes Typ 2. Er stellte schnell fest, dass medikamentöse Dauerbehandlung nicht die beste langfristige Lösung sei.

Metzger Spahn präsentiert seine veganen Rouladen.

Also beschloss Spahn alle tierischen Produkte von seinem Speiseplan zu streichen. Um sich selbst den Verzicht zu erleichtern und um anderen Menschen mit ähnlichen Beschwerden bei ihrer Ernährung helfen zu können, hat er kurzerhand auch die komplette Metzgerei umgekrempelt. Seitdem werden nur noch Reiswaffeln mit Tomatensoße durch den Fleischwolf gedreht („Hackepetra“ nennt sich der vegane Brotaufstrich, der dabei rauskommt) und die Blutwürste werden aus schwarzen Linsen zubereitet.

Der Erfolg gibt Irene Schillinger und Michael Spahn recht: Veganismus ist kein kurzfristiger Trend, sondern erlangt immer mehr Beliebtheit. Etwa 0,1 bis 1 Prozent Menschen ernähren sich in Deutschland vegan. Doch spätestens die Begeisterung für den Beyond Meat Burger und andere vegane Burgerpattys hat gezeigt: Mit pflanzlichen Fleischersatzprodukten kann man auch Nicht-Veganer*innen überzeugen.

Authentisches Aussehen hat dabei Priorität. In puncto Geschmack setzen Schillinger und Spahn vor allem auf gute Gewürze und kurze Zutatenlisten. Das ist ein wichtiges Merkmal, sagt Silke Restemeyer von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung. Wenn die Zutatenliste besonders lang ist und auf Zusatzstoffe hinweist, sollten Verbraucher*innen stutzig werden: “Je höher verarbeitet das Produkt ist, desto ungünstiger ist es – auch unter Nachhaltigkeitsaspekten.“

Beim Impossible Burger ist man dagegen ganz klar auf eine „magische Zutat“ stolz: Häm. Hinter diesen drei Buchstaben stecken der Blutfarbstoff (Hämoglobin) und der Eisengeschmack, die im Fleisch natürlicherweise vorhanden sind, erklärt Christian Zacherl, Geschäftsfeldmanager im Bereich Lebensmittel beim Fraunhofer Institut. Dass dieser Stoff in den USA mittels Gentechnik gewonnen wird, sieht Zacherl kritisch. „Es hat jetzt noch diesen Hype, weil es eben der tolle neue Burger aus Amerika mit dem pflanzlichen Blutfarbstoff ist. Sobald dann aber auf der Verpackung ‘gentechnisch modifiziert’ draufsteht, schreckt es die Konsumenten ab.“

Echtes Fleisch und Blut aus der Petrischale

Doch aus den USA kommen nicht nur mit Pflanzenblut getränkte Burger, es weht noch ein anderer verheißungsvoller Wind, der echtes Fleisch ganz ohne Tierleid – ja sogar ohne Tiertöten verspricht. In-Vitro-Fleisch, auch Laborfleisch oder Clean Meat genannt, soll es ermöglichen, Fleischzellen eines Tieres in der Petrischale zu züchten. Bisher ist es noch nicht gelungen, die faserige Struktur von einem ganzen Fleischstück nachzuahmen. Hackfleisch konnte man damit allerdings schon herstellen – das erste Burgerpatty, das mit diesem aufwändigen Verfahren zubereitet wurde, hat schlappe 250.000 Euro gekostet. Mittlerweile ist man bei etwa neun Euro pro Stück und die Hersteller hoffen, dass es bald markt- und massentauglich ist und dadurch noch günstiger wird.

Christian Zacherl erwartet jedoch so bald keine großen Erfolge: „Wir beschäftigen uns oft mit den Ökobilanzen und Stoffströmen. In-Vitro-Fleisch ist hochgradig unwirtschaftlich, weil sehr viel Energie und Nährstoffe in diese Nährlösungen eingebracht werden müssen.“ Die rein pflanzlichen Produkte seien da immer „um Welten besser”: „Sie sind günstiger, regional zu beschaffen, schmecken gut und werden in Zukunft vielleicht noch besser schmecken.”

Wenn es also auf der nächsten Grillfeier die Frage aufkommt, wie blutig das Steak sein soll, kann die Antwort auch heute schon lauten: „Medium rare und vegan, bitte.“