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Kunst im Blut und Blut in der Kunst

Blutige Transfusionsbeutel auf einer Leinwand, gehärtetes Schweineblut in Form eines Bestecks, Porträts aus Menstruationsblut. Unterschiedlicher können Kunstformen aus dem Material Blut kaum sein. Trotzdem haben die drei Künstlerinnen Nurhan Sidal, Paulina Heinz und Susanne Schulz etwas gemein – ihre Faszination für den roten Lebenssaft Blut.

Porträts aus Menstruationsblut

Konzentriert beugt sich Susanne Schulz über ein weißes Blatt Papier, den Pinsel in der Hand. Vor ihr das Foto einer Frau in Großformat. Eingehend betrachtet sie das Porträt der Frau, ihr Lächeln, ihre Augen, die kleinen Fältchen um den Mund. Auf dem Tisch steht ein filigranes Gläschen mit Goldrand und dunkelroter Flüssigkeit. Andächtig taucht sie den Pinsel in das Gefäß und streicht die rote Farbe in fließenden Bewegungen auf das Papier. Sie blendet alles um sich herum aus. Für diesen Moment gibt es nur das Bild dieser Frau, ihren Pinsel und die blutrote Farbe.

„Seitdem ich 15 Jahre alt bin, male ich Porträts. Ich interessiere mich einfach für Menschen und male sie gerne.“

Die 40-jährige Künstlerin aus Berlin sah man schon als Kind nur mit ihrem Zeichenblock und Stift. Sie porträtierte jedes Familienmitglied, alle Freunde und Bekannte. „Jeder bekam ein Bild von sich zu Weihnachten geschenkt – ob er wollte oder nicht”, erzählt die Künstlerin lachend. Auch heute noch malt Susanne Schulz leidenschaftlich gerne Menschen und übt seit zwei Jahren eine ganz besondere Form der Porträtkunst aus. Sie bildet Frauen mit deren eigenem Menstruationsblut ab. Inspiriert dazu wurde sie von der Schweizer Künstlerin Nicoletta Buri, die auf Facebook ein Video teilte, in welchem sie mit ihrem eigenen, frischen Menstruationsblut malte. „Sie hat das Blut direkt von ihrem Körper genommen und auf die Leinwand gebracht. Das hat mich ein bisschen schockiert, aber irgendwie fand ich es auch total spannend“, erzählt Susanne Schulz. Nach dieser ersten Begegnung mit Blutkunst kaufte sie sich eine Menstruationstasse, um ihr Blut aufzufangen und begann sich mehr mit ihrem Menstruationsblut zu befassen. „Wie sieht es aus? Wie fühlt es sich an?”, fragte sie sich.

Kunstfotografien des Menstruationsblutes von Susanne Schulz.

„Und dann dachte ich mir: Ich male ja Porträts. Ich male mich einfach mal mit meinem eigenen Blut“, erzählt Susanne Schulz. Ihr erstes Blutbild entstand also eher aus einem Impuls heraus und lange Blut sammeln musste sie dafür auch nicht. “Ungefähr zehn Milliliter reichen aus, um ein ganzes Porträt zu malen”, sagt sie. Eine Frau verliert während ihrer Regelblutung normalerweise 30 bis 80 Milliliter Blut, je nachdem wie stark ihre Blutung ist. Die Künstlerin nahm ihr eigenes Menstruationsblut, malte ihre Augen und war fasziniert davon.

Das erste Blutbild von Susanne Schulz: ihre eigenen Augen.

„Meine Augen mit meinem frischroten Blut zu sehen, war einfach wahnsinnig berührend für mich. Es ist, als würde ich mein inneres und gleichzeitig mein äußeres Ich abbilden.“

Die Erfahrung, sich selbst mit seinem eigenen Blut zu sehen, möchte Susanne Schulz auch anderen Frauen ermöglichen und bietet ihnen deshalb an, sie mit ihrem eigenen Blut zu porträtieren. Sie nennt diese Kunstwerke „Porträts der Weiblichkeit“.

Menstruationskünstlerin Susanne Schulz über die Entstehung ihrer Blutporträts.

Es kommen ganz unterschiedliche Frauen zu ihr, um sich porträtieren zu lassen. „Es sind Frauen allen Alters dabei. Frauen Mitte 20, aber auch Frauen mit Anfang 50. Die einen sind schon sehr vertraut im Umgang mit ihrem Menstruationsblut und ihrem Körper- und Zyklusbewusstsein, andere haben sich darüber jedoch noch kaum Gedanken gemacht und benutzen auch noch keine Menstruationstassen“, sagt Susanne Schulz. Trotzdem ist es nur ein kleiner Kreis von Menschen, den sie mit ihren Blutporträts anspricht. Ihr Ziel sei es nicht, dass alle Frauen zu ihr kommen, um sich ein Blutporträt malen zu lassen. „Ich möchte eine Inspiration dafür sein, sich dem Blut an sich mehr zu widmen und die Angst, die Scheu und den Ekel davor zu verlieren.

Abstrakte Kunst aus Eigenblut

Mit dem Menstruationsblut anderer Menschen zu malen, käme für die 68-jährige Künstlerin Nurhan Sidal nicht in Frage. „Ich kenne Arbeiten anderer Künstler, die mit Menstruationsblut oder anderem Blut malen. Aber das ist nicht mein Bereich. Meine Blutkunst ist eine ganz andere Geschichte“, sagt sie. Nurhan Sidal leidet an einer chronischen Knochenmarkerkrankung, ihr Körper kann keine roten Blutkörperchen mehr produzieren.

„Wenn ich zur regelmäßigen Blutkontrolle in die Klinik gehe und mir Blut abgenommen wird, nehme ich immer eine Tube eigenes Blut mit nach Hause.“

Sie bezeichnet die Klinik humorvoll als „Tankstelle“, bei der sie statt Benzin frisches Blut „auftankt“. Dies tut sie in zweifacher Hinsicht. Einerseits bekommt sie Transfusionen und andererseits erhält sie ihr eigenes Blut als Material für ihre Kunst.

Nurhan Sidal über ihre Abhängigkeit von Fremdblut und wie sich diese auf ihre Kunst auswirkt.

Neben ihrem eigenen Blut verwendet sie auch leere Transfusionsbeutel für Installationen und Collagen. Die Blutbeutel bezeichnet Nurhan Sidal als „Spur dieser anderen, fremden Menschen“. Sie begegnet ihren Spendern in ihrer Kunst – in Form ihres Blutes. „Das sind Situationen, in denen ich mein Blut nehme und es einfach auf die Leinwand schmeiße und gucke was passiert“, sagt Nurhan Sidal. Sie hat mit ihrer Kunst einen Weg gefunden, um mit ihren Krankheitserfahrungen und den damit einhergehenden Transfusionen zurecht zu kommen und das Blut fremder Menschen anzunehmen.

Acrylkunstwerk von Nurhan Sidal mit dem Titel „Leben ist sterben – sterben ist leben“.

Nurhan Sidal thematisiert in ihrer Blutkunst allerdings nicht nur ihre Krankheit. Wenn es zum Thema passt, verwendet sie ihr Blut auch gerne für gesellschaftskritische Werke. Zuhause in ihrem Atelier in Bad Säckingen oder in ihrem Zweitwohnsitz im italienischen Maccagno am Lago Maggiore entstehen abstrakte Kunstwerke aus Acryl und Eigenblut zu politischen Themen und Umweltfragen. “Blut ist essentiell für die ganze Welt und kann für die Darstellung vieler Themen verwendet werden”, sagt die Künstlerin.

Blutiges Besteck

Gesellschaftskritische Themen spricht auch die 23-jährige Paulina Heinz in ihrer Blutkunst an. Die Studentin für Produkt- und Prozessgestaltung an der Universität der Künste in Berlin (UdK) steht noch ganz am Anfang ihrer künstlerischen Karriere. Sie arbeitete letztes Semester im Rahmen eines Seminars über Alchemie zum ersten Mal mit dem Material Blut. „Ziel des Seminars war es, aus wertlosen Materialien etwas Wertvolles künstlerisch aufzubereiten“, sagt sie. Nach dem Vorbild des französischen Materials „Bois Durci“ aus dem 20. Jahrhundert fertigte Paulina Heinz ihr individuelles Designobjekt aus Schweineblut und feinen Sägespänen.

Bois Durci (gehärtetes Holz) ist ein natürlicher Kunststoff aus getrocknetem Rinderblut und Sägemehl. Als einer der ältesten Biokunststoffe wurde es bis ins 20. Jahrhundert zur Herstellung von luxuriösen Gebrauchsgegenständen verwendet.

„In meiner Arbeit habe ich versucht, das Blut wieder in den Fokus zu rücken. Als  ein Material, mit dem man eigentlich nie arbeitet.“

In dem alten Material „Bois Durci“ diente Blut lediglich als Bindemittel und wurde nur in geringen Mengen verwendet. Paulina Heinz verwendete für ihr neues Material mehr Blutpulver und kein Rinder-, sondern Schweineblut. Sie nannte es „San Durci“, angelehnt an das alte Material „Bois Durci“. Das Blutpulver mischte sie mit fein gesiebtem Holzstaub und etwas Wasser zu einer dickflüssigen Masse und ließ es im Ofen zu einem Block trocknen. Als das Material getrocknet war, schliff und feilte sie es in die Form eines Besteck-Sets.

Paulina Schulz erklärt, warum sie die Form eines Bestecks für ihr Kunstobjekt gewählt hat.

Warum ausgerechnet Blutkunst?

Die Studentin Paulina Heinz kritisiert mit ihrem blutigen Kunstobjekt den Fleischkonsum in unserer heutigen Gesellschaft. Durch die Verwendung von echtem Blut, wollte sie eine möglichst starke Reaktion der Betrachter hervorrufen und provozieren. „Blut ist eine Substanz, auf die jeder mit irgendeinem Gefühl reagiert. Es gibt niemanden, der nicht irgendeine emotionale Reaktion darauf hat“, sagt sie. Das bestätigte sich auch, als das Blutprojekt an ihrer Universität ausgestellt wurde. „Manche waren begeistert, andere eher skeptisch und wieder andere fanden es richtig eklig und haben den Sinn nicht verstanden“, erzählt Paulina Schulz. „Blut wird eben auch in unserer Gesellschaft oft nur mit Ekel oder Schmerz verbunden.“

Die Menstruationskünstlerin Susanne Schulz kann dem nur zustimmen: „Blut wird eigentlich immer mit Verletzungen assoziiert. Wir können es ja nur sehen, wenn es irgendwo einen Unfall gab und es wahrscheinlich jemandem schlecht geht.“ Aufgrund dieser Assoziationen finden viele Menschen auch Menstruationsblut eklig. Menstruationsblut hat für Susanne Schulz eine ganz andere Bedeutung als Tierblut. Als überzeugte Veganerin kann sie sich nicht vorstellen mit Tierblut zu malen. „Da wird mir irgendwie ganz bang“, sagt sie. „Ich spüre bei dem Gedanken daran Emotionen in mir, die mir signalisieren, dass ich das nicht möchte.“ Sie malt mit ihrem Blut und dem Blut anderer Frauen, um auf das Tabuthema Menstruation aufmerksam zu machen. „Ich möchte, dass Frauen und auch Männer davon Wind bekommen, anfangen sich mit dem Thema Menstruation zu beschäftigen und genauer auf ihren Körper hören.“ Den einzelnen Frauen möchte sie mit ihren Blutbildern eine neue Sichtweise auf sich selbst und ihre Weiblichkeit geben. 

Selbstporträt von Susanne Schulz mit ihrem eigenen Menstruationsblut.

„Es ist schön, Blut auf eine andere Art und Weise sichtbar zu machen. Und nicht einfach nur als Klecks, sondern etwas Schönes, kreiert aus Blut.“

Etwas Ästhetisches aus Blut zu kreieren, war auch das Ziel der UdK-Studentin Paulina Heinz. Trotzdem sieht sie in ihrem designten Besteck aus Schweineblut auch eine Funktionalität. „Ich glaube, man kann sogar damit essen. Es wäre dann allerdings so, dass sich dabei immer etwas abtragen würde“, sagt sie. Bei jedem Essen würde ein bisschen etwas verloren gehen vom Material, bis irgendwann nichts mehr da wäre. „Das ist eine ganz neue Form des Bestecks. Ein Besteck, das zum Essritual dazugehört und nicht abgetrennt vom Essen gesehen wird“, erklärt die 23-jährige Studentin. Für die Zukunft kann sie sich vorstellen, das Ganze weiterzudenken und funktionale Gegenstände aus gehärtetem Blut zu gestalten. „Ich finde, Blut ist ein sehr großes Thema und wird dafür viel zu wenig verwendet – vor allem im Produktdesign. Es muss ja nicht immer in dieser übertragenen künstlerischen Rolle sein, wie in diesem Projekt. Es könnte auch einfach nur ein Rohstoff sein, den wir benutzen.“  

Das neue Material „San Durci“ aus Schweineblut und gesiebtem Holzstaub in Form eines Besteck-Sets.

In der Kunst ist Blut nicht einfach nur ein Rohstoff. Der symbolische Charakter des Materials spielt in den Kunstwerken fast immer eine bedeutende Rolle. So auch für die Künstlerin Nurhan Sidal: „Blut ist für mich ein ganz besonderes Material. Es ist ein lebendiges Material und Träger meines Ichs.“ Auch diejenigen, die ihre Blutbilder kaufen, entscheiden sich ganz bewusst für ein Kunstwerk mit ihrem Blut.

„Sie freuen sich, dass ich mit meinem Blut und meiner Seele in ihren Bildern auftauche. Sie wissen dann, dass sie einen Teil von mir immer bei sich haben.“

Blut bedeutet Leben

Nurhan Sidal, Paulina Heinz und Susanne Schulz haben auf unterschiedliche Art und Weise zur Blutkunst gefunden. Sie verwenden verschiedene Blutarten, individuelle Mal- und Gestaltungstechniken und verfolgen unterschiedliche Ziele mit ihrer Kunst. In einem sind sie sich jedoch einig: Blut ist das Symbol des Lebens und deshalb so faszinierend. „Für mich steht Blut weniger für Tod, Abgestorbenheit und Ekel, sondern viel mehr für Lebendigkeit und Energie“, sagt Paulina Schulz. Auch für Nurhan Sidal ist die rote Körperflüssigkeit ein Lebenssaft. „Ohne Blut gibt es kein Leben. Blut ist das Leben in sich“, philosophiert sie. Susanne Schulz ist fasziniert davon, dass sich ihre DNA und eigentlich fast alle Informationen über ihren Körper in ihrem Blut wiederfinden. „Alle meine Daten, alles was mich ausmacht, steckt in meinem Blut“, sagt sie. „Das Blut, das durch mich fließt, hat total viel gemeinsam mit mir als lebendiges Wesen. Das ist ganz nah dran an mir – näher dran geht gar nicht.“


Faszination Blut in der Kunst

Auch dem Kunstwissenschaftler Friedrich Weltzien geht die rote Flüssigkeit sehr nahe. Ihm wird schummrig, wenn er Blut sieht. „Auf mich hat es einen Effekt, wenn ich Blut sehe und deshalb finde ich es auch so faszinierend“, erzählt er. „Ich kann Blutkunst nicht abstrakt betrachten, sondern das macht was mit mir.“ Friedrich Weltzien kennt sich aus mit Körperflüssigkeiten wie Blut. Er ist Kunsthistoriker und Flecken-Spezialist. Im Podcast philosophiert er über die Faszination der Blutkunst und berichtet von seinen ganz persönlichen blutigen Kunsterfahrungen.