Author: Franziska Hofmann

Die Serie "der Tatortreiniger" finde ich echt klasse, hatte innerhalb weniger Tage alle Folgen durch. Deshalb musste ich bei unserem Thema sofort an Schotty denken. Die Recherche habe ich genutzt, um herauszufinden, wie reale Tatortreiniger*innen ticken. Ein echt schaurig faszinierender Beruf.

(K)ein normaler Job

„Den Menschen, den riechst du raus, das weißt du“, erklärt Andreas Vogt den Leichengeruch. Wenn man einmal eine menschliche Leiche gerochen hat, erkennt man den Geruch immer wieder. Süßlich soll er sein und sehr intensiv. Vogt kennt den Geruch gut – er ist Tatortreiniger.

Automatisch stellt das Hirn eine Verbindung zu Mord und Verbrechen her, zu einem richtigen Tatort eben. Das ist aber in den wenigsten Fällen so. Tatortreiniger*innen sind auch nach Suizid, natürlichem Tod, Tod durch Vorerkrankungen oder nach Unfällen mit viel Blutverlust im Einsatz. Die Bezeichnung Tatortreiniger*in ist deshalb laut Vogt „ein bisschen unglücklich“ gewählt. Fachlich korrekt wäre Leichenfundortaufbereiter*in oder Unfallortaufbereiter*in. Bezeichnungen, die den Beruf nicht weniger blutig und herausfordernd machen.

Die NDR-Serie „Der Tatortreiniger“ machte den Beruf in der Öffentlichkeit bekannt. Über sieben Staffeln hinweg ist Schauspieler Bjarne Mädel als Tatortreiniger „Schotty“ im Einsatz. In jeder Folge wird er mit einem neuen Tatort konfrontiert und macht dabei skurrile, oft lustige Bekanntschaften, während er nebenbei das Blut der Toten wegputzt – ein voller Erfolg.

Kollege Schotty

Mitverantwortlich dafür, dass die Serie möglichst realistisch wirkt, ist Christian Heistermann. Der 51-Jährige Berliner mit langjähriger Tatortreinigungserfahrung hat die  Drehbuchautorin Ingrid Lausund und die Requisite beraten. Er sieht Schotty als einen Kollegen an. Einen reinigenden Philosophen nennt er ihn, einen Betrachter, der seine Meinung sagt. Damit kann sich Heistermann identifizieren: „Ich bin ja auch so ein Quatscher“, berlinert er.

„Schotty geht an den Imbiss, isst seine Currywurst und trinkt sein Bier. Das hat was fürchterlich Normales. Das brauchen wir auch, um uns zu zeigen, dass das, was wir tun okay ist.“

Christian Heistermann

Heistermann findet, das Berufsbild wird durch die Serie „in die richtige Richtung“ gerückt. Auch wenn einiges anders ist in der Realität – „ist ja schließlich Fernsehen“. Und so kann er auch verstehen, dass am Set die Nebelmaschine zu Hilfe genommen wird, wenn Schotty einen Raum desinfiziert. „Dass dann einer kommt und da ein bisschen rumwischt“, ist aber nicht die Realität, meint Heistermann. Die Serie würde banalisieren – zur Tatortreinigung gehöre noch eine ganze Menge mehr. Die fachgerechte Entsorgung der menschlichen Überreste und Abfälle zum Beispiel oder die Einhaltung einer genauen Reihenfolge im Arbeitsprozess.

Auch wenn Andreas Vogt sich teilweise mit der Serie identifizieren kann und es „immer wieder Aspekte gibt, wo man sich selber sieht“, findet er die Serie verharmlosend – die Komik stehe klar im Vordergrund. Die Serie würde nur einen kleinen Ausschnitt des Berufs zeigen:

„Das, was im Fernsehen gezeigt wird, sind für uns die einfachen Arbeiten. Die schlimmen Sachen könnte man im Fernsehen nicht zeigen. Wenn sich jemand mit dem Schrotgewehr den Kopf wegschießt, dann kann man das nicht darstellen.“

Der 46-Jährige hat bereits vor 27 Jahren angefangen, als Schädlingsbekämpfer im Unternehmen „A.S.S. Schädlingsbekämpfung“ seines Vaters in München zu arbeiten. Zwei Jahre später kamen dann erste Erfahrungen in der Tatortreinigung dazu – zwei Tätigkeiten, die zusammengehören. Denn wo ein Mensch verwest und für längere Zeit unentdeckt liegt, ist auch Ungeziefer nicht weit.

Blutige Realität

Bevor die Tatortreiniger*innen gerufen werden, vergehen oft Wochen oder sogar Monate. Die Leiche wird abtransportiert – Schädlinge bleiben aber am Leichenfundort. So erzählt Vogt von einem Mann, der in Folge einer Leberzirrhose Blut erbrach und dieses in der ganzen Wohnung verteilte. Er stürzte und verstarb letztendlich eingeklemmt zwischen zwei Türen auf dem Weg zum Badezimmer. Dort lag der leblose Körper dann für sechs Wochen, bevor die Bestatter*innen ihn abtransportierten und dabei auseinanderrissen. Denn in der Zwischenzeit hatte der natürliche Verwesungsprozess eingesetzt: die Muskelspannung gibt nach und Körperflüssigkeiten laufen aus allen Öffnungen des Körpers. Zurück am Leichenfundort blieben ein übler Geruch, Blut, Urin, Fäkalien und zersetzte Innereien. Außerdem Aas-, Speckkäfer und Fliegenmaden, die sich dort in der Lache mit menschlichen Überresten tummelten. Die Nachbarn des Mannes wunderten sich über den strengen Geruch, klebten dem Toten Zettel mit Beschwerden an die Tür.

„Auf die Idee, dass der da seit Tagen und Wochen tot drin liegt, ist keiner gekommen.“

Andreas Vogt

In so einem Extremfall muss die Wohnung komplett desinfiziert, geräumt und dann entkernt werden. Die Schädlingsbekämpfung ist der erste Arbeitsschritt am Leichenfundort, den die Tatortreiniger*innen nur mit Schutzanzug betreten. Im Vordergrund einer jeden Tatortreinigung steht der Aspekt, sich und die anderen im Team zu schützen.

Teil der Ausrüstung beim ersten Betreten sind neben dem Schutzanzug mit Haube, Gebläse und Luftfiltern auch Überschuhe und stichfeste Handschuhe, die beispielsweise vor Infektionen durch Spritzen schützen. Danach folgen die Desinfektion und Reinigung des Tatorts mit verschiedenen Mitteln und Geräten, auch zur Geruchsneutralisierung. Oft müssen die Wohnungen dabei zusätzlich entrümpelt werden.

Was in der Serie nicht zur Sprache kommt, ist die Tatsache, dass der Beruf Tatortreiniger*in in Deutschland namentlich nicht geschützt ist – theoretisch könnte also jede*r zu Schotty werden und die Dienstleistung anbieten. Professionelle Tatortreiniger*innen kritisieren das.

Eine einheitliche Ausbildung gibt es in Deutschland nicht. Deshalb führt der Weg über Seminare und Weiterbildungen schließlich zum Ziel der Tatortreinigung.

Auf diesen Weg gelangen Tatortreiniger*innen auf unterschiedliche Weise. Den Berufswunsch Leichenfundortaufbereiter*in haben wohl die wenigsten. Die Vorstellung, Leichenflüssigkeiten, Maden und menschliche Überreste zu beseitigen, ist einfach nicht überzeugend. Kaum jemand kann sich vorstellen, in dem Bereich zu arbeiten, meint Andreas Vogt. Lachend fügt er hinzu: „Die wissen gar nicht, was sie hier Spannendes verpassen.“

Traumberufe

Er selbst wollte als Kind eigentlich Koch werden, machte dann aber eine Ausbildung in der Industrieelektronik mit Fachrichtung Robotertechnik. Hier wurde er nicht glücklich – wollte „was anpacken“ und landete schließlich, wie der Vater, bei der Schädlingsbekämpfung. Später kam noch die Tatortreinigung dazu. „Da bin ich hängen geblieben und nie wieder weggekommen.“ Vor allem die Komplexität und Vielseitigkeit des Berufs begeistern den Münchner:

“Es vergeht keine Woche, wo ich nicht irgendwo mindestens zwei, drei neue Sachen dazulerne, weil es einfach so umfassend ist. Und das macht es auch so spannend – es ist nie ein Trott da: jedes Objekt ist neu, man muss sich jedes Mal neu drauf einstellen.“

Die Begeisterung, immer neue Herausforderungen zu bewältigen, schätzt auch Özlem Kaya: „Jeder Tatort ist anders“, erklärt die 44-Jährige, die seit fünf Jahren als Tatortreinigerin in Frankfurt tätig ist. Sie ist eine der wenigen Frauen in der Branche und wurde auf ihrem Umweg zur Tatortreinigung von einem alten Bekannten beeinflusst.

Eigentlich ist Kaya Unternehmerin, hat eine kaufmännische Ausbildung und gründete 2009 mit ihrem Geschäftspartner die Reinigungsfirma KABO in Frankfurt. Sie kam, so verrückt es klingt, dank Schotty zu ihrem heutigen Traumjob. Vor einigen Jahren entdeckte sie die Serie und war sofort von Schotty und seiner Arbeit begeistert, sah darin eine weitere Dienstleistung für ihr Unternehmen. Fasziniert von der Tatortreinigung bildete sie sich weiter und wurde schließlich im Jahr 2015 Tatortreinigerin. Ihr Vater war zunächst nicht begeistert: „Kannst du keinen anständigen Beruf lernen?“, erinnert sie sich an seine erste Reaktion – mittlerweile ist er stolz auf seine Tochter und ihren außergewöhnlichen Beruf.

Es steht außer Frage, dass nicht jede*r für diese Tätigkeit geeignet ist. An ihrem ersten realen Tatort hatte Kaya kurz überlegt, das Handtuch zu werfen: „Oh Gott, was mache ich hier eigentlich?“ Am liebsten wollte sie es dem Hausmeister, der ihr die Tür aufschloss, gleichtun und vor dem Verwesungsgeruch der drei Monate alten Leiche fliehen. Sie tat es aber nicht, blieb und kann heute sagen: „Ich liebe meinen Job“ – Tatortreinigerin in einer sonst männerdominierten Branche.

Kaya hat langes, schwarzes Haar, ist gepflegt, selbstbewusst und trägt aufwendiges Make-up. Immer wieder stößt sie auf Vorurteile: „Eine Frau, die so gestylt ist, würde doch nie im Leben was mit Blut anfassen.“

„Männer denken oft, das krieg ich nicht hin, nehmen mich teilweise nicht ernst. Aber ich krieg das hin. Ich kann das und hab dafür hart gearbeitet.“

Özlem Kaya

Und sie kann die grausamen Anblicke am Tatort verarbeiten. Schafft es, diese von ihrem Privatleben fernzuhalten. Ein Grund dafür ist Kommunikation: „Man muss lernen, darüber zu reden, ohne dass man es zu sehr emotional an sich ranlässt. Sonst würde ich keine weitere Tatortreinigung mehr schaffen.“ Am Tatort schaltet Kaya ab: „Da mache ich nur meine Arbeit. Wenn ich abgeschlossen hab, gehe ich raus und lass das hinter mir.“Sie erzählt von Kolleg*innen, die diesen Spagat nicht schaffen, die der Beruf krank gemacht hat, weil sie die Schicksale zu nah an sich heranließen und die blutigen Bilder immer wieder vor Augen hatten.

Der Beruf geht an die Substanz. In der Serie kennt man Schotty als Einzelkämpfer mit einer mehr oder weniger stabilen Beziehung zu seiner Freundin Merle. Am Tatort ist er immer allein im Einsatz. Einzelkämpfer*in als Tatortreiniger*in? Im realen Leben, weder am Leichenfundort, noch im Privaten möglich. Allein schon wegen der körperlichen Anstrengung – desinfizieren, reinigen, schrubben, menschliche Überreste beseitigen, Wohnungen entrümpeln und das alles schwitzend, sicher verpackt unter Schutzanzug und Atemmaske, ist Tatortreinigung Teamarbeit. Meistens zu viert oder fünft.

Für Kaya ist es wichtig, offen miteinander zu reden, sich gegenseitig zu unterstützen: „Ich habe gelernt, darüber zu sprechen. Dass das einfach zum Leben dazugehört.“

Wenn sie spürt, dass die Arbeit eine*n Kolleg*in mitgenommen hat, versucht sie, sich und den anderen klar zu machen: „Das ist ihr Schicksal. Wir haben gereinigt, jetzt ist es vorbei und morgen wird ein neuer Tag sein.“

Offen über die Szenen am Leichenfundort zu reden, fällt Christian Heistermann schwer. In der Öffentlichkeit lehnt er es ab, detailliert von seinen Einsätzen zu berichten. Er möchte „Verhütung“ betreiben, sagt er. Das Hirn anderer nicht „verschmutzen“. Der Beruf und das Gesehene könnten einen unheimlich runterziehen:

„Es gibt Sachen, die will man einfach nicht sehen und die will man auch der Gesellschaft ersparen. Es tut einem nicht gut. Das sollte man mal verstehen.“

Andreas Vogt wurde schon früh mit blutigen Bildern konfrontiert. Er sah als Kind bei Schlachtungen auf dem Bauernhof des Großonkels zu, begleitete den Opa bei der Jagd und schlich mit einem Schulfreund, dessen Vater Bestatter war, ins Krematorium des Nordfriedhofes. Wie er es schafft, die Schicksale an den Leichenfundorten nicht an sich heranzulassen, kann der 46-Jährige nicht genau sagen. Vielleicht sind diese Erinnerungen ein Grund dafür, haben ihn schon früh an Extreme gewöhnt. Er geht seine Arbeit pragmatisch an, denkt an die fachlichen und spannenden Aspekte seines Jobs: „In dem Moment, wo ich das mit nach Hause mitnehme und Albträume hätte oder sonst was, höre ich mit dem Beruf auf.“

Das heißt nicht, dass er die Bilder völlig ausblendet, im Gegenteil. Er sitzt an seinem Glasschreibtisch und erzählt detailliert von blutgetränkten Autositzen, aufgeschlitzten Pulsadern, einem Selbstmord mit Großkaliberwaffe und einem Mann, der drei Jahre unentdeckt tot und mumifiziert unter seiner Wärmedecke auf dem Sofa lag. Er kann offen über diese Leichenfundorte sprechen und schafft es trotzdem, Abstand zu wahren.

Viel schwieriger ist für Kaya und Vogt die Begegnung mit Angehörigen. Ganz anders als für Schotty, den regelmäßig die verschiedensten Personen bei der Arbeit überraschen. Dem Comedy-Charakter der Serie entsprechend philosophiert Schotty. Führt mal lustige, mal nachdenkliche Gespräche.

„ »Der Tatortreiniger« lockert den Beruf auf und man lacht darüber. Aber die Realität ist wirklich sehr weit davon entfernt.“

Özlem Kaya

Die realen Tatortreiniger*innen müssen sehr sensibel sein. Oft sind die Hinterbliebenen beim Erstkontakt in einer Notsituation und auf Hilfe angewiesen. Keine Komik, sondern Einfühlsamkeit, Professionalität und Trauerbewältigung. Hier wird der Tatortreiniger auch schon mal zum Psychologen, erklärt Vogt.

Trotzdem: „Es ist nicht verboten, lustig zu sein“, stellt Christian Heistermann klar. Mit Kolleg*innen gehe man anders um als mit Kund*innen. Manchmal passieren auch skurrile Dinge am Tatort.

Humor kann helfen, zu verarbeiten. Allgemein sind Positivität und Selbstsicherheit für Andreas Vogt wichtige Eigenschaften für den Job: „Man muss eine sehr positive Einstellung zum Leben haben und man darf sich im Endeffekt auch nicht vorm Tod fürchten. Sonst hätte man da ein Problem.“

Blutlachen, Leichengeruch, Maden und ein Hinrichtungsmord – Zumindest für die Aussage „Meine Arbeit fängt da an, wo sich andere vor Entsetzen übergeben“, hat Schotty den Realitätscheck ohne Zweifel bestanden.