Beim Blutspenden kommt immer was dazwischen. Diesmal habe ich es durchgezogen. Nur Spenden reicht mir nicht, ich will wissen: Was passiert mit meinen Blut? Wem kommt es zugute?
50 ml pro Minute – so viel Blut sollte durch den Schlauch neben mir fließen. „Sie müssen die Hand fest zusammendrücken, damit das Blut besser fließt“, sagt die Ärztin und verweist auf den Bildschirm neben mir. Hier kann ich genau sehen, wie schnell mein Blut fließt – Tracking ist auch beim Blutspenden die Regel.
Ich will Blutspenden gehen, um Menschen zu helfen, die darauf angewiesen sind. Felix Brunner ist einer dieser Menschen: Er war mit bereits 16 Jahren der jüngste fertig ausgebildete Bergretter in ganz Deutschland. Er wollte das auch hauptberuflich machen – doch dann kam alles ganz anders. Beim Abstieg von einer Bergtour rutschte er aus und fiel circa 30 Meter tief in ein Bachbett. Dass er schwer verletzt ist und innere Blutungen hat, bemerkte der junge Bergretter schnell. Nun musste er gerettet werden. Was in den folgenden Monaten geschah, war auch für die behandelnden Mediziner*innen verwunderlich. “Ich war dann acht Monate im künstlichen Koma, wurde 70-mal operiert und brauchte 800 Bluttransfusionen, um zu überleben”, erzählt mir der mittlerweile wieder gesunde Felix Brunner. Seit einigen Jahren setzt er sich auch viel für die Blutspende ein: “Ohne die Spender hätte ich nicht überlebt.”
Bei dem Thema Blutspenden denken die meisten Leute an Unfälle oder Geschichten, wie die von Felix Brunner. So ging es auch mir. Tatsächlich werden jedoch nur zwölf Prozent der Blutspenden bei Verletzungen verwendet, wie ich während meiner ersten Recherchen erfahre. Besonders in der Krebstherapie, aber auch bei vielen anderen chronischen Krankheiten ist die Spende notwendig, um Patient*innen zu behandeln. Viele Therapiemöglichkeiten mit Blut wurden erst durch neue medizinische Erfindungen möglich. Medikamente aus Plasma können zum Beispiel Menschen mit Blutgerinnungsstörungen helfen, Blutungen zu stoppen.
13. Juli Grundschule Thyrnau, nun bin ich dran mit der Blutspende: Die Frau am Eingang fragt mich nach meinen Blutspendeausweis. Als ich ihr entgegne, dass ich keinen besitze, grinst sie mich an und fragt: “San Sie Erstspender?”. Das bin ich in der Tat. In der Universität gab es oft die Möglichkeit Blut zu spenden, aufgrund meiner Angst vor Nadeln habe ich mich bis jetzt aber nie getraut. Die Frau gibt mir vier Dokumente in die Hand und bittet mich alles gründlich auszufüllen. Gefühlt 40 Kreuze und zwei Unterschriften später werde ich zur nächsten Station geschickt. Hier hat alles eine feste Ordnung. An der nächsten Station wird mein Hämoglobinwert gemessen und meine Blutgruppe ermittelt, AB positiv. Das ist eine seltene Blutgruppe, welche nur für Patienten mit der gleichen Blutgruppe verwendet werden kann. Dafür habe ich das Glück, dass ich jedes Blut empfangen kann. Der Gegensatz dazu sind Spender mit der Blutgruppe 0 negativ. Diese ist sehr gesucht, da sie jeder empfangen kann.
Im Gespräch fragt mich der Arzt nach meinem hohen Blutdruck. Vielleicht die Aufregung? Egal, ich denke nicht weiter drüber nach, bevor er noch höher wird. Nach ein paar weiteren Fragen und Fiebermessung darf ich endlich zum Spenden. Zehn Minuten soll das ganze dauern. Ich werde noch einmal gefragt, wie ich heiße, nicht dass meine Spende vertauscht wird. Ich bin schon ein bisschen aufgeregt, aber bevor ich mich noch auf den Stich vorbereite ist die Nadel bereits in meinen Arm. Gar nicht so schlimm wie gedacht.
Später lerne ich, dass man eine schnelle Spende hier in Thyrnau einen „Fünf-Minuter“ nennt.
Nachdem das Kontrollröhrchen, welches eine Blutprobe für spätere Tests enhält, voll ist, beginnt die eigentlich Blutspende. Nach sechs Minuten ist der Mann neben mir schon fertig, obwohl er nach mir angefangen hat. Ich dagegen habe erst die Hälfte geschafft – wie macht er das? Die Hand drückt er auf jeden Fall nicht zusammen. Später lerne ich, dass man eine schnelle Spende hier in Thyrnau einen „Fünf-Minuter“ nennt.
So schnell bin ich heute nicht, vielleicht ja beim nächsten Mal. Nach elf Minuten habe ich es auch geschafft, der Beutel ist voll. “Wie geht es Ihnen?”, fragt mich die Krankenschwester. “Ein bisschen mulmig ist mir schon”. “Können sie das ein bisschen genauer beschreiben?”, hakt sie nach. “Ja ich hab so ein Drücken im Kopf”. Mit einer Bewegung kippt sie meine Liege nach hinten und das Blut fließt in meinen Kopf zurück.
Nach fünf Minuten und einen Orangensaft an der Liege später, geht es mir wieder besser. “Das passiert oft bei Erstspendern“, sagt die Ärztin. „Bei der nächsten Spende hat sich der Körper mehr daran gewöhnt”, wird mir versichert. Erst war ich skeptisch, ob das stimmt, aber viele Spender haben mir versichert, dass es beim ersten Mal ungewohnt für den Körper seien kann. Der 500 ml große Beutel gefüllt mit meinem Blut wird in einen Schrank gelegt, wo er bis in den späten Abend gelagert wird.
Meine Blutspende liegt im Regal. Ich esse ein Snickers und darf mir ein Glas Honig als kleines Dankeschön für meine Spende mitnehmen. Bei einigen privaten Anbietern bekommt man sogar Geld für die Blutspende. Auf die Frage, wieso es auf die Vollblutspende beim Bayerischen Roten Kreuz (BRK) kein Geld gibt, entgegnet der Pressesprecher Patric Nohe, “Blut kostet kein Geld, das ist richtig, aber der Service, der kostet Geld.” Mit ihm habe ich telefoniert, um mehr darüber zu erfahren, was mit meinen Blut passiert. Außerdem könne man bei den anderen Anbietern meist nur in Großstädten spenden, wobei das Rote Kreuz vor allem mit der mobilen Blutspende die ländlichen Regionen erreicht. Diese sind laut Nohe besonders wichtig für die Versorgung, da “in ländlichen Regionen tendenziell mehr gespendet wird als in Städten.”
Hier in Thyrnau macht sich die Spendenbereitschaft auch bemerkbar. Als ich das Gebäude verlasse, stehen die Leute mittlerweile Schlange. Für mich ist die Blutspende schon vorbei, aber mein Blut hat noch eine lange Reise vor sich, bis es Leuten helfen kann. Gegen 22 Uhr wird meine Spende abgeholt und zum Produktions- und Logistikzentrum nach Wiesentheid bei Würzburg gebracht. Hier landen alle Spenden vom BRK.
Um drei Uhr morgens beginnen die Mitarbeiter*innen in Wiesentheid mit der Filterung des Blutes, hierbei werden die weißen Blutkörperchen entfernt, da diese unerwünschte Nebenwirkungen bei Bluttransfusionen erzeugen können. Die Arbeit beginnt so früh, weil das Blut innerhalb von 24 Stunden weiterverarbeitet werden muss, um länger haltbar zu bleiben. “Wir betreiben hier eine komplexe 24-Stunden-Logistik”, sagt Nohe. Das von den weißen Blutkörperchen befreite Blut wird bei 4000 G, also dem 4000-fachen der Erdanziehungskraft zentrifugiert und damit in die einzelnen Bestandteile, also in die Thrombozyten (Blutplättchen), Blutplasma und Erythrozyten (roten Blutkörperchen) aufgeteilt. Besonders überrascht hat mich, dass Blut nie rein wiederverwendet wird sondern immer erst in 3 Konzentrate getrennt wird.
Thrombozytenkonzentrat
Erythrozytenkonzentrat
Blutplasma
Seit einigen Jahren steigt der Bedarf an Plasma stark an.
Die Beutel mit den drei getrennten Bestandteilen werden dann in den Komponententrennern endgültig separiert. Am Ende entsteht ein Beutel gefüllt mit Erythrozyten und einer mit Blutplasma, welches eine Reihe von Stoffen zum Schutz unseres Körpers und des Gerinnungssystem enthält. Seit einigen Jahren steigt der Bedarf an Plasma stark an, da auch viele neuartige Medikamente darauf bei der Herstellung angewiesen sind. Die Haltbarkeit unterscheidet sich stark zwischen den Präparaten. Während die Thrombozyten nur vier Tage haltbar sind, können die Erythrozyten 42 Tage lang aufgehoben werden. Blutplasma kann eingefroren sogar drei Jahre lang gelagert werden.
“Meistens werden die Präparate innerhalb von 24 Stunden verbraucht”, erklärt Nohe, aber nur, wenn die Tests auf Basis des Kontrollröhrchens vom Beginn der Spende keine Auffälligkeiten zeigen. Diese Röhrchen nehmen nach der Blutspende einen anderen Weg. Sie werden in das Labor des BRK in München transportiert, dort wird das Blut mit einem Virusdirektnachweis-Test auf verschiedenste Krankheiten wie Hepatitis, HIV und Syphilis untersucht. “Wenn es da Auffälligkeiten gibt, bekommen die Patienten da auf jeden Fall Bescheid”, versichert mir Nohe. Diese Tests können jedoch die Krankheiten oft erst Wochen nach der Ansteckung feststellen, deswegen ist es bei der Blutspende besonders wichtig, die Fragebögen sorgfältig und wahrheitsgemäß auszufüllen. Wenn alle Tests negativ ausfallen, werden die Blutspende Präparate freigegeben und in den Instituten bis zur Verwendung gelagert. Ich habe bislang noch nichts gehört, das ist hoffentlich ein gutes Zeichen.
„Was dann passiert, ist wirklich Wahnsinn, da gab es eine riesengroße Welle der Solidarität”
Besonders jetzt ist der Bedarf an Spenden laut Nohe sehr hoch, da “die Kliniken ihre verschobenen Operationen nachholen, die sie während der Corona Pandemie verschoben” haben. Die Corona-Pandemie hat den Blutspendediensten zuerst große Sorgen bereitet. „Was dann passiert, ist wirklich Wahnsinn, da gab es eine riesengroße Welle der Solidarität”, freut sich Nohe. Während des Lockdowns gab es keinerlei Engpässe bei der Versorgung, und dies sei “ausschließlich den Menschen zu verdanken, die dann zur Blutspende gegangen sind”. Aber vor allem jetzt, wo das Wetter besser ist, die Ausgangsbeschränkungen gelockert werden und die Kliniken Operationen nachholen, ist es wichtiger denn je, Blutspenden zu gehen.
Erfreulich ist es laut Nohe, dass “vor allem junge Erstspender zur Spende gegangen sind.” Dazu zähle dann wohl auch ich. Seit 2011 ist der Trend eigentlich rückläufig, da immer mehr Spender aufgrund ihres Alters nicht mehr spenden dürfen und zu wenig Junge nachkommen. Wer am Ende von meinem Blut profitiert, wem ich vielleicht das Leben gerettet habe und wo, das konnte ich leider nicht herausfinden – aber sicher ist es, dass jemand damit geholfen wurde und deswegen, hat es sich für mich gelohnt. Eines steht fest – Ich komme wieder.